Hauen und Stechen

Dietrich Heither gibt einen Überblick zur Geschichte der Deutschen Burschenschaft

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stehen die Burschenschaften, wie sie selbst meinen, am Beginn der deutschen Demokratie? Oder sind diejenigen im Recht, die bei studentischen Korporationen an Saufgelage, zerschnittene Gesichter und einen radikalen Nationalismus denken? Dietrich Heither beantwortet diese Fragen in seinem einführenden Buch bezogen auf Burschenschaften „in einem engen und eigentlichem Sinne“, das heißt auf jene Verbände, die in der Tradition der Jenaer Urburschenschaft von 1815 heute in der Deutschen Burschenschaft zusammengeschlossen sind. Das Bild, das von ihrer Geschichte und gesellschaftlichen Funktion entsteht, ist fast durchgehend schwarz. Nähme man die zahlreichen konfessionellen oder landsmannschaftlichen Korporationen in den Blick, die nicht der Deutschen Burschenschaft angehören, so würde sich zwar der eine oder andere Grauton hinzugesellen. Auf eine weiße Stelle hoffte man aber wohl weiterhin vergeblich.

Zwei große Teile des Buchs sind außerordentlich instruktiv, ein anderer Teil etwas weniger. Zu den gelungenen Teilen gehört die Analyse burschenschaftlichen Brauchtums. Heither vermag zu zeigen, dass die zuweilen befremdlichen Riten der Korporationen wohlbegründet sind – jedenfalls gemessen an den gesellschaftlichen Zielvorgaben. Es mag ja nicht in jedermanns Sinne sein, sich mit dem Säbel das Gesicht zerhauen zu lassen und vernarbt durch den Rest des Lebens zu marschieren. Allerdings ist das studentische Fechten eng verbunden mit einer kriegerischen Ideologie, die in einem ersten Schritt Härte gegen sich selbst verlangt. Der Verletzung ohne Klage standzuhalten, ist Opfer und Eintrittskarte in die gesellschaftliche Elite zugleich. Wer hart gegen sich selbst ist, leitet daraus den Führungsanspruch und das Recht zur Härte gegen andere ab. Der Mann mit Schmiss zögert nicht mehr, seine Untergebenen, wenn es sein muss, in den Tod zu schicken. Und natürlich handelt es sich um einen Mann. In dieser Aufteilung der Geschlechter käme keine Frau auf die Idee, ihr Gesicht zerhacken zu lassen. Die Burschenschaften (und mit wenigen Ausnahmen auch die anderen Korporationen) nehmen keine Frauen auf. Zugang zu Karrierenetzwerken erhalten nur Männer.

Eine vergleichbare Funktion wie das Blutvergießen hat das Saufen. Das Bier wird nicht genossen, sondern nach festen Regeln und Kommandos in die Mäuler gekippt. Dies geschieht häufig in solchen Mengen, dass der Gebrauch der bereitstehenden Eimer unvermeidlich wird. Wenn dann spätnachts der Hausdiener aus dem Schlaf gerissen wird, um die Kotze zu entsorgen, so üben dadurch die künftigen Führer ihre künftige gesellschaftliche Rolle ein. Doch auch hier gilt, dass, was das normale Empfinden anwidert, einer pervertierten Pädagogik folgt. Das Trinken auf Befehl bedeutet, die Signale des eigenen Körpers zu missachten und sich einer äußeren Autorität zu unterwerfen. Es ist dies die ideale Welt für verunsicherte Menschen, denen man sagt, was zu tun ist und die aus ihrem Gehorsam das Recht auf künftige Befehlsgewalt herleiten.

Dies gegeben, mutet Heithers Darstellung der burschenschaftlichen Frühgeschichte inkonsequent an. Offensichtlich irritiert es ihn, dass die Burschenschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts tatsächlich in einem oppositionellen Verhältnis zu den herrschenden Monarchien standen. So finden sich in seinem Buch an mehreren Stellen Kompromissformeln. Zwar erkennt Heither den völkischen Nationalismus, der in den Burschenschaften seit ihrer Gründung vorherrschte und der ihren späteren Antisemitismus und Militarismus konsequent erscheinen lässt. Doch betont er immer wieder liberal-demokratische Ansätze, die sich tatsächlich höchstens bei Einzelpersonen nachweisen lassen, nicht aber in der Gesamtorganisation.

Heithers Unsicherheit in diesem Punkt wird in seiner Darstellung der Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest 1817 besonders deutlich. Wurden „rückständige Schriften aus den Bereichen Staatswissenschaften, Geschichte, Militär- und Polizeiwesen“ in die Flammen geworfen oder war, wie es im gleichen Absatz heißt, „fast alles, was in den Wartburgflammen verrauchte, vom Geist des für die damalige Zeit fortschrittlichen Kaisers der Franzosen“ – nämlich Napoleon – „zumindest aber von dessen Auffassungen und Zielen geprägt“? Die Verwirrung erklärt sich aus dem Fehler, Opposition an sich für fortschrittlich zu nehmen. Zu fragen wäre hingegen, Opposition wogegen und mit welchem Ziel. Die burschenschaftliche Opposition war von Beginn an die noch schlechtere Variante als die herrschende Repression. Der absolutistische Staatsapparat sollte durch eine rücksichtslose, nationalistische Elite ersetzt werden.

Weitaus besser wird Heithers Darstellung für die Jahre nach 1871. Nun sahen sich die Burschenschaften im Einklang mit dem geeinten deutschen Reich. In knapper Form ist überzeugend dargestellt, wie die Burschenschaften im Wilhelminismus eine aggressive Außenpolitik beförderten, wie eng sie mit Militarismus und Judenfeindschaft verknüpft waren. Die Weimarer Republik lehnten die Burschenschaften entsprechend ab. Sie standen stets und im Sinne ihrer Geschichte konsequent auf der Seite der Republikgegner und begrüßten früh den Aufstieg der NSDAP. Heither belegt, dass Konflikte mit dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund lokal begrenzt waren und eher von Stilfragen und Führungsstreitigkeiten begründet wurden als von Unterschieden in der Sache. Entsprechend gliederte sich 1935 die Deutsche Burschenschaft begeistert in die Nazi-Organisation ein, wobei ihr lokales Vereinsleben kaum beeinträchtigt wurde. Es gab zwar einzelne Burschenschaftler, die in Opposition zum „Dritten Reich“ gerieten – die Burschenschaften insgesamt erwiesen sich als Stütze eines Regimes, das tatsächlich alle ihre nationalistischen Träume in die Tat umzusetzen unternahm.

1945 verboten, konnten sich die Burschenschaften ab 1950 wieder konstituieren. An ihrer politischen Haltung hatte sich wenig geändert – allenfalls wurde sie etwas vorsichtiger vertreten. Bis heute gilt ein biologisches Volkstumsprinzip: Burschenschaften sind für Deutsche, und Deutscher ist, wer deutsche Vorfahren hat und möglichst auch so aussieht. Zwar muss man sich nicht mehr – wie schon lange vor 1933 – der Mitgliedschaft von Juden erwehren: Es gibt ja in Deutschland ohnehin nicht mehr so viele, und von denen dürften aufgrund der Vorgeschichte die wenigsten die Neigung verspüren, ausgerechnet in eine Burschenschaft einzutreten. Doch als 2011 eine Burschenschaft einen Deutschen mit chinesischen Vorfahren aufnehmen wollte, sollte sie aus dem Dachverband der DB ausgeschlossen werden. „Besonders in Zeiten fortschreitender Überfremdung“ gelte es, Angehörige einer „außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung“ fernzuhalten.

Allerdings ist die Lage der Korporationen nicht ganz einfach. Gehörte ihnen um 1930 weit mehr als die Hälfte der Studierenden an, so war ihr Anteil schon 1960 auf 17 Prozent gefallen. Eines der wichtigsten Argumente für einen Beitritt, nämlich den Zugang zu einem Karrierenetzwerk zu erhalten, hatte bereits damals an Bedeutung verloren. Auf die Reform der Universitäten um 1968 und neue studentische Lebensweisen fanden die Korporationen insgesamt und besonders die Deutsche Burschenschaft keine brauchbare Antwort. 2013 gehörten gerade noch 0,8 Prozent der Studierenden einer Korporation an, und nach mehreren Abspaltungen weit weniger als ein Zehntel davon der Deutschen Burschenschaft. Diese vertritt einen strikten völkisch-nationalen Kurs, in einzelnen Burschenschaften bis hin zur Zusammenarbeit mit dem organisierten Rechtsextremismus. Nach der Abspaltung einiger liberal-konservativer Burschenschaften blieben die Hardliner unter sich.

Heithers Fazit fällt denn auch gemäßigt optimistisch aus: „Biertrunkene Burschenschafter, deren Gesichter durch Mensuren verstümmelt sind, widersprechen auch den Vorstellungen heutiger Eliten, die in der durch Internationalisierungsprozesse bestimmten Ökonomie des Finanzmarktkapitalismus nicht nur auf die Mobilität von Kapital und Personal, sondern auch auf eine entsprechende kulturelle Offenheit setzen.“ Es mag erfreuen, dass die Deutsche Burschenschaft immer mehr zum Unterthema der Frage, wie man den Rechtsextremismus bekämpft, verkommt. Ob es angenehmer ist, statt wie früher durch brutale Nationalisten heute durch multikulturell gewandte Pragmatiker zur Schlachtbank geführt zu werden, sei dahingestellt.

Eine andere Frage ist, ob es klug war, das Thema dieses Buchs mit einführendem Charakter auf die Burschenschaften im engeren Sinne zu beschränken, die kaum je mehr als 15 Prozent aller korporierten Studenten ausmachten. Zwar betrachten sie sich als die Elite innerhalb der Elite und hatten auch lange Zeit Zugriff auf viele der einflussreichsten gesellschaftlichen Positionen. Doch spielten auch andere Verbände eine gewichtige Rolle, wie in der Frühzeit der Bundesrepublik katholische Verbindungen. Eine erweiterte Themenstellung hätte zwar kaum Entlastendes zutage gebracht, doch ein breiteres Spektrum der Strategien gezeigt, mit denen das studentische Verbindungswesen Deutschland auf Irrwege brachte.

Titelbild

Dietrich Heither: Burschenschaften.
PapyRossa Verlag, Köln 2013.
127 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783894385316

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