Politisches Streiten und Widerstand von Frauen in der Nazi-Zeit

Über Brunhild Müller-Reiß’ Studie zu weiblichem Antifaschismus in Hannover

Von Heinz-Jürgen VoßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heinz-Jürgen Voß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die gesellschaftliche Position und das politische Streiten von Frauen

Frauen in gesellschaftlichen Kämpfen, Frauen im Widerstand gegen Krieg, Frauen im Widerstand in der Nazi-Zeit wurden lange Zeit selbst in der Erinnerungskultur emanzipatorischer Bewegungen kaum zur Kenntnis genommen. Stattdessen wurde auch dort das Bild des ‚heldenhaften Mannes‘ gepflegt, der als Revolutionär, als Pazifist, als Antifaschist die wesentlichen Handlungen vollbracht habe. Die Situation ist paradox: Einerseits wurden bedeutsame historische Ereignisse zentral von Frauen gemacht – so bestand der Demonstrationszug nach Versailles, mit dem in der Französischen Revolution die Unterzeichnung der Erklärung der Menschenrechte und Preisbeschränkungen für Brot durchgesetzt wurden, etwa aus tausenden Frauen. Auch das Streiten für den Frieden wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg entscheidend von Frauen geprägt. In der Bundesrepublik war die „Frauenfriedensbewegung“ eine zentrale Protestkultur gegen die Aufrüstung. Ebenso waren Frauen im Widerstand gegen die deutschen Nazis aktiv, obgleich auch für die weißen, mehrheitsdeutschen Frauen in der Nazi-Zeit zu konstatieren ist, dass die allermeisten von ihnen, wie die Männer auch, zu den Unterstützer/innen und Nutznießer/innen des Nazi-Regimes gehörten.

Brunhild Müller-Reiß liefert mit ihrem Band „Antifaschistische Frauen in Hannover: Zwischen selbständigem Handeln und Frauensolidarität“ einen zentralen Beitrag zu den beiden aufgeworfenen Dimensionen der Frage. 1) In einem exzellenten ersten Kapitel überblickt sie die Geschichte seit dem Deutschen Kaiserreich bis hin zur Weimarer Republik und der Nazi-Zeit, mit Fokus auf die Rolle der Frauen. Sie sieht dabei auf die Position der bürgerlichen Frau und untersucht, wie dieses Frauenbild in der Zeit auch für Arbeiterfamilien in zunehmendem Maße attraktiv wird (und gemacht wird). Dabei liefert Müller-Reiß einen Überblick über die relevante Literatur und erläutert, wie trotz erbärmlicher Bedingungen für die Frauen, Männer und Kinder der Arbeiterfamilien, für Erstere – die Frauen – schon deutlich mehr Belastungen zu konstatieren sind als für die Männer. 2) Die Autorin erläutert die Kämpfe von Frauen, also diejenigen der bürgerlichen und der proletarischen Frauenbewegung, mit ihren je unterschiedlichen Zielen.

Während der große Teil „der bürgerlichen Frauenverbände“ dem Kriegspatriotismus zum Beginn des Ersten Weltkriegs „huldigte[]“, wurden die Proletarierinnen „gegen ihren Willen zur Kriegsarbeit verpflichtet und ausgebeutet“. Die Autorin wendet sich so der vielfach widersprüchlichen Position von Frauen zu: zwischen Streiten und Zwang, für und gegen Krieg, für ein bürgerliches Bild der Rolle der Geschlechter und dagegen. Insbesondere Hungerrevolten führten schließlich dazu, dass das gegenseitige Abschlachten im Ersten Weltkrieg ein Ende fand – diese Hungerrevolten gingen auf Frauen zurück, wie die Autorin im Blick auf die Lokalgeschichte in Hannover schildert. Auch dies ist für die Bewertung widersprüchlich: Einerseits ist es ein Indiz für die Rolle der Frauen in der Familie, andererseits zeigt sich auch hier deutlich die Initiation von Widerstand durch Frauen.

Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Frauenbildes erhöhte sich (dennoch) im Ersten Weltkrieg – teils von Frauen nicht gewollt – auch die Zahl der erwerbstätigen Frauen. Waren viele der proletarischen Frauen ohnehin erwerbstätig, allein schon deshalb, weil nur so eine kümmerliche Ernährung und Unterkunft der Familie gesichert werden konnte, so weitete sich nun die Erwerbsarbeit von Frauen weiter aus. Die im Krieg befindlichen und damit abwesenden Männer wurden durch billige weibliche Arbeitskraft ersetzt. Zudem werden Frauen nun mehr und mehr zu einem ‚Puffer‘ für den Arbeitsmarkt. Mit Ende des Ersten Weltkriegs und der Demobilisierung der Männer ging die Frauenerwerbsarbeit deutlich zurück, wobei die ‚Boomjahre‘ 1926 bis 1928 wieder zu einer steigenden Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften führten. Auch bezüglich der – männlich dominierten – Arbeiterbewegung, der SPD/USPD, der KPD und den Gewerkschaften erläutert die Autorin die widersprüchliche und oft zurückhaltende Position bezüglich der ‚Frauenfrage‘, gleichzeitig auch das Engagement proletarischer Frauen, schon bevor und insbesondere nachdem das politische Versammlungsverbot für Frauen im Jahr 1908 im Deutschen Reich aufgehoben wurde. Auch das politische Betätigungsverbot für Frauen gibt überdies einen Hinweis darauf, dass es von der Obrigkeit im Staat offenbar als besonders gefährlich angesehen wurde, wenn sich Frauen politisch betätigten.

In der Nazi-Zeit wird, im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Ideologie, auf ein neues Rollenbild der Geschlechter abgezielt. Frauen werden nun mehr an „Heim und Herd“ verwiesen, „wo sie dem Mann durch Liebe und Sorglichkeit die Basis zum Schaffen bereiten“ sollten. Aber auch hier gab es „abhängig von der jeweils politischen und historischen ‚Großwetterlage‘“ unterschiedliche Phasen, in denen auch im NS zunehmend weiße, mehrheitsdeutsche Frauen in die Erwerbsarbeit integriert wurden, wenn die Autorin auch in diesen Fällen einen „Dequalifizierungsprozess für erwerbstätige Frauen“ konstatiert. Andere Frauen – insbesondere jüdische, Romnja und Sintize – wurden völkisch-rassistisch verfolgt, in Konzentrationslager verschleppt, ermordet.

Widerstand von Frauen im Nationalsozialismus

Nach dem einführenden Teil zur gesellschaftlichen Position von Frauen, gerade mit Bezug zu sozialistischen Bewegungen, erläutert die Autorin den von Frauen geleisteten Widerstand. Das geschieht auch im Hinblick auf ihre auf Interviews basierende Forschungsmethode (Oral history). Bei dem widerständigen Handeln von Frauen ist dabei ihre gesellschaftliche Position zu berücksichtigen, die die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten einschränken konnte. Damit stellt sich die Frage, was eigentlich als ‚Widerstand‘ zu verstehen ist. Müller-Reiß verweist u.a. auf die Unterscheidung von Sigrid Matzen-Stöckert in Bezug auf die Begriffe ‚Widerstand‘, ‚Opposition‘, ‚Verweigerung‘ und ‚Protest‘. Sie schreibt: „Ein Bemühen um begriffliche Klärung müsste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die unzähligen individuellen Handlungen und Haltungen von Menschen, die ‚kleinen Störungen‘ im Alltag des Faschismus wie zum Beispiel die Unterstützung von Angehörigen Verhafteter oder Ermordeter, das Unterlassen einer Denunziation und vor allem Widerstandshandlungen waren [Sigrid Matzen Stöckert] betont aber gleichzeitig, dass Richter und Machthaber im nationalsozialistischen Deutschland keineswegs an Unterscheidungen interessiert waren.“

Für die vielen ‚kleineren‘ und ‚größeren‘ Widerstandshandlungen hat Brunhild Müller-Reiß zahlreiche Interviews geführt. Inhaltlich geordnet, stellt sie den Widerstand der Frauen (und in deren Berichten auch Männer) vor und zeichnet auch biografisch ein plastisches Bild der berichtenden Frauen. Sehr gut aufgearbeitet, lässt uns die Autorin an dem Ertrag aus 42 Interviews und intensiven Literaturrecherchen teilhaben; die Interviews wurden dabei schon in den 1980er-Jahren geführt und harrten seitdem der – arbeitsaufwändigen Auswertung – und Veröffentlichung. In dem zweiten Teil des Buches gibt Müller-Reiß zunächst einen Überblick über die Interviewten und ihren Widerstand, um abschließend im Buch drei ausführliche Porträts zu zeichnen.

In dem Überblick charakterisiert die Autorin die Befragten als aus Arbeiter/innenhaushalten stammende Frauen, die politisch sozialisiert wurden und, im individuellen Fall mehr oder weniger, politisch tätig waren. In einzelnen Abschnitten wird die Sozialisation in den Familien und die Bedeutung des Elternhauses thematisiert und der Beziehung zu beiden Elternteilen nachgespürt. Die Autorin ermöglicht uns einen Einblick in die Betätigungen der jungen Frauen in der Jugendverbandsarbeit sozialistischer und kommunistischer Organisationen, wie auch den Einfluss der „Jugend- und Freizeitarbeit“, Tanzen und Demonstrieren. Schließlich – und auch hier sind Geschlechterrollenvorstellungen relevant – wird das (spätere) Verhältnis zu den Ehemännern und in den politischen Bewegungen charakterisiert. „Wenn Hermann Barche sagt: ‚Wie ein Magnet zog […] Hannover-Zentrum die hübschesten Mädel aus der Arbeiterbewegung an‘, dann sind dies die ‚Mädel‘, die die sozialistischen Männer (wenn sie die Chance bekamen) zu ihren Ehefrauen und den Müttern ihrer Kinder machten, nicht die, die sich mit den Genossen um Inhalte, Funktionen und Protestformen stritten. Bei Jugendlichen und Erwachsenen der Arbeiterbewegung […] spielen tradierte Geschlechterklischees und Verhaltensweisen eine große Rolle. Der starke Mann, zu dem die Frau bewundernd aufschaut, und die ‚weibliche‘ Frau, zu deren Reizen und Schutzbedürfnis sich der Mann hingezogen fühlt.“

Durch ansozialisierte ‚weibliche Bescheidenheit‘ marginalisieren die politisch aktiven Frauen nachträglich in den Interviews ihre teils zentrale Rolle in Widerstandshandlungen oft selbst.

Für den Widerstand ist auch die Bedeutung der Familie als Gegenwelt zum Faschismus (und sonst auch als Bestandteil des Faschismus) zu betrachten. In der Familie konnte Unterstützung stattfinden und sie konnte einen teilweise sicheren Hintergrund darstellen. Der ‚Schutzraum‘ Familie – und vielmehr sein Entzug durch Ehescheidung – spielte in krasser Weise für Berta Makowski, die einzige jüdische Frau unter den Interviewten, eine Rolle: „1941, nach der Scheidung von ihrem Mann, wird sie von den Verfolgungsbehörden in der Gartenbauschule in Ahlem interniert. Dort muss sie schwer arbeiten, erlebt, wie ein jüdischer alter Mann brutal erschlagen wird, weil er aus furchtbarem Durst einen Apfel vom Baum genommen hat, kann selbst aber über Nacht nach Hause zu ihren Kindern, weil die ‚zur Hälfte arisch‘ sind. Am 1. Februar 1945 sollte Berta noch nach Theresienstadt deportiert werden. Deshalb haben verschiedene Genossinnen sie bei sich versteckt“.

Die Widerstandshandlungen der mehrheitsdeutschen, christlich-atheistischen Frauen konnten sehr vielgestaltig sein. Sie reichten von Verweigerungshandlungen, die bedeuteten, gerade keine „Löffelspende“ (Mehl für Kuchen für deutsche Soldaten) abzugeben, ebenso das Verweigern des Hitlergrußes oder das Zurückweisen oder Wegwerfen eines Blumenstraußes der NS-Frauschaft. Organisierte Widerstandsarbeit der interviewten Frauen bedeutete oft „Kleinarbeit“, wie „tippen, abziehen, transportieren“, die konkret und gefahrvoll war. Brunhilde Bennecke führte etwa aus: „…er wollte ne Sozialistische Front aufziehen […] ob ich bereit wär, Matrizen zu schreiben und da hab ich ‚ja’ gesagt…“. Schließlich konnte die Widerstandsarbeit bedeuten, das Ausfahren von Brot als ‚Tarnung‘ zu verwenden, um Flugzettel zu verbreiten und Vernetzung von Widerstand zu fördern. Möglicherweise aufgespürt von der Gestapo hieß Widerstand auch, niemanden zu verraten: „Scheinheilig versprachen mir die Gestapoleute, von einer Verhaftung abzusehen, falls ich die Komplizen verraten würde. Das lehnte ich natürlich ab und ich musste in den Wagen steigen, der mich zum Gefängnis brachte.“ Und der Widerstand bedeutete vielfältige, kreative Aktionen: „Wir hatten in Hannover Münzen, die am 1. Mai verstreut wurden, keine riesigen Massen, vielleicht 400. Auf diese Münzen hatte ein Graveur ‚1. Mai‘ und ‚Brecht das Joch der Tyrannei‘ eingraviert. Einige Genossen haben zur Weihnachtszeit Nüsse geknackt und in die Nüsse Flugblätter getan und wieder zugeklebt; früher standen oft zu Weihnachten Säcke mit Nüssen vor den Geschäften. Da sind wir an den Geschäften vorbeigegangen und haben sie reingeworfen“.

Im abschließenden dritten Teil charakterisiert Brunhild Müller-Reiß drei der interviewten Frauen – ebenso vielschichtig, gut gegliedert und flüssig zu lesen, wie die Teile zuvor: Käte Brenner, Grete Höll und Herta Dürrbeck rücken so ausführlicher und auch mit detaillierten und längeren Interviewpassagen in den Fokus. Auch hier ordnet die Autorin, so dass die_der Leser_in eine Orientierung angeboten und gleichzeitig auch hier der Lesefluss gefördert wird.

Brunhild Müller-Reiß ist mit „Antifaschistische Frauen in Hannover: Zwischen selbständigem Handeln und Frauensolidarität“ ein hervorragendes Buch gelungen, das vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Geschlechterhierarchie die Widerstandshandlungen von Frauen in der Nazi-Zeit in den Fokus rückt dabei stets auch wertschätzend mit den Widerstandshandlungen der Männer umgeht und  für neuere Theorien und Begrifflichkeiten der Geschlechterforschung offen ist. Das Buch ist überdies reich bebildert, so dass neben der facettenreichen schriftlichen Darstellung auch die Illustrationen ihren Beitrag leisten, dass beim Leser ein starker Eindruck von den interviewten Frauen verbleibt. Kurz: Es handelt sich um ein rundum gelungenes Buch!

Titelbild

Brunhild Müller-Reiß: Antifaschistische Frauen in Hannover. Zwischen selbstständigem Handeln und Familiensolidarität.
Edition Assemblage, Münster 2014.
288 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783942885553

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