Guter und braver Soldat

Jaroslav Hašeks „Švejk“ liegt in einer Neuübersetzung vor, die vieles ändert. Nur die Absurdität des Kriegs bleibt, wie sie war

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Erste Weltkrieg war ein literarisch gesehen produktiver Krieg. Er hat nicht nur die Produktion von Kriegslyrik angeheizt, auch die Nachbereitung, die (für Deutschland) massiv mit einem Jahrzehnt Verspätung einsetzte, hatte ihre literarisch produktive Seite. Was das angeht, gibt es wohl keine großen Unterschiede, welche Kultur man betrachtet: Der Krieg ist in ganz Europa literarisch.

Allerdings sind die meisten der Texte von einer äußersten und sicherlich auch gebotenen Ernsthaftigkeit geprägt: Remarque, Renn, Becher, Zweig einerseits, Schauwecker, Jünger, Zöberlein oder Dwinger andererseits, die literarische Aufarbeitung des Großen Krieges, wie er auch in Ablösung des Dreißigjährigen Kriegs hieß, scheint weder Ironie noch Satire zu vertragen.

Wenn da nicht der „Schwejk“ wäre, wie er im deutschsprachigen Raum bekannt geworden ist. 1926 wurde der Roman von Grete Reiser ins Deutsche übersetzt und seitdem immer wieder neu aufgelegt. Die Rowohlt Taschenbuchausgabe aus dem Jahr 1960 erlebte bereits 1974 ihr 215. Tausend. „Schwejk“ war ein Erfolgsbuch, es erlebte Bearbeitungen – etwa von Bertolt Brecht – und wurde verfilmt. Die Figur des Schwejk, seine Eigenarten und Sprechweisen haben wahrscheinlich mehr als alles andere das Bild der Tschechen in Deutschland geprägt.

Dass dies in Teilen nicht korrekt war, weil die Übersetzung seinerzeit Entscheidungen traf, die aus heutiger Sicht eher vermieden worden wären, lässt sich immerhin jetzt erkennen, ohne dass sich grundsätzlich etwas ändert. Das betrifft in geringerem Maße die Schreibweise des Namens, die in der nunmehr vorliegenden Neuübersetzung korrekt als Švejk wiedergegeben ist, als die Ausstattung der Figuren mit sprachlicher Kompetenz.

Folgt man der neuen Übersetzung, dann ist es nicht Svejk, der ein tschechisch geprägtes Deutsch spricht, sondern es sind die Deutschsprachigen, die aufgrund ihrer geringen Tschechischkenntnisse radebrechen. Das entspreche der Anlage des Textes, in dem Švejk zwar Umgangstschechisch spreche, das aber auf einem gehobenen Niveau. Folgerichtig werden seine uns so geläufigen Sprecheigentümlichkeiten in der neuen Ausgabe reduziert und an ein besseres Umgangsdeutsch angeglichen. Die hochdeutschen Sprechweisen der deutschsprachigen Soldaten, die sich am Tschechischen versuchen, geraten hingegen ins Stammeln (was jeder kennt, der sich mit ungenügenden Sprachkenntnissen durchschlagen will).

So findet sich etwa in der alten Übersetzung der unauffällige Satz, gesprochen von einem Feldwebel, der Švejk hochnimmt: „Dokumente hat jeder Soldat, ohne Dokumente wird so eine Lauskerl auf dem Bahnhofskommando eingesperrt wie ein toller Hund.“ In der neuen Übersetzung hingegen klingt dies weit weniger kompetent: „Tokument jedder Soldatt, ohne Tokument eingesperrt auf Bahnhofsmilitärkommando, den lausigen Bursch, wie einen tollen Hund.“ Das ist zweifelsohne sperriger, aber näher am Text (wenn man dem Kommentar glauben darf), der eben die Deutschen und Österreicher dumm aussehen lassen wollte und dafür deren schlechte Tschechischkenntnisse nutzte. Ein Verfahren, das bis heute gang und gäbe ist.

Dem zu folgen – gerade in der deutschen Übersetzung – zeigt das Buch naheliegender Weise in einem anderen Licht, hilft aber dabei, den typischen k.u.k.-Klang loszuwerden, der einem beim „Svejk“ noch in den Ohren klingt. Hinzu kommt, dass solche Änderungen keine vernachlässigenswerten Petitessen sind, sondern den Roman und seine kritische Haltung zum Krieg noch verstärken.

Es ist nämlich nicht jener wahlweise brave oder gute Soldat Švejk, der verrückt ist, wies es bevorzugt seine militärischen Vorgesetzten betonen, sondern die Verhältnisse, die schließlich in den Krieg führen. Švejk bemüht sich stets um eine angemessene Reaktion. Er beschaut sich seine Anweisungen sehr genau und versucht, sie wortwörtlich zu befolgen, was schließlich jedes Mal im Fiasko endet. Denn die Schludrigkeit, die sich die Normgesellschaft sprachlich erlaubt, legt die Gewalttätigkeit, die sie bereits in Friedenszeiten kennzeichnet, mehr als offen.

Auch in diesem Sinne ist der Krieg nur die stringente Fortsetzung und Überbietung des Friedenszustands. Der Krieg ist eben nur noch absurder und noch unsinniger. Svejk ist dafür vor allem der Katalysator. Dafür strengt er seine schier unerschöpfliche Geschwätzigkeit und seine Fähigkeit an, das zusammenzuführen, was nicht zusammengehört, um es am Ende im Lichtschein perfekter Absurdität erkennbar werden zu lassen. Die schlichten Gemüter um ihn herum treibt das in den Wahnsinn, was wiederum der Situation durchaus angemessen ist.

Der Verfasser des Romans, Jaroslav Hašek ist vor allem wegen des „Švejk“ in Erinnerung geblieben. Der 1889 geborene Hašek gehört – ein wenig despektierlich gesagt – zur tschechischen Wirtshaus-Bohème, was sich hinreichend mit seinem Bierkonsum und der Angewohnheit, zumeist im Wirtshaus zu arbeiten, belegen lässt. Im Jahr 1921 begann er mit dem Roman und griff dabei auf Vorarbeiten etwa aus dem Jahr 1917 zurück. Bis zu seinem Todesjahr 1923 schrieb er an dem Roman, den er allerdings nicht abschließen konnte. Dass der „Švejk“ gerade in Deutschland derart erfolgreich wurde, obwohl Hašek ihn als antideutsche Figur positionierte, gehört zu den Widersprüchen, die eben gerade große Literatur auszeichnet. Aber genau besehen richtet sich der Roman nicht gegen die Deutschen oder das österreichische Kaiserreich, sondern gegen die Absurditäten einer hierarchischen Gesellschaft und deren Zuspitzung im Krieg. Ein Schelm, wer anderes dabei denkt.

Titelbild

Jaroslav Hašek: Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg.
Mit einem Essay „Zum Švejk: Eine Pilgerreise böhmischer Art“ von Jaroslav Rudiš.
Neuübersetzung aus dem Tschechischen, Kommentar und Nachwort von Antonín Brousek.
Reclam Verlag, Stuttgart 2014.
1008 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783150109694

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