Der Glaube auf der Couch

Ein Sammelband von Eckhard Frick und Andreas Hamburger analysiert die Aktualität und Relevanz der Religionskritik Sigmund Freuds

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass religiöse Seelsorge und säkulare Psychoanalyse ihrer Natur nach in einem Spannungsverhältnis stehen, ist quasi selbstverständlich. Kein Geringerer als der Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, formulierte aber darüber hinaus auch eine explizite Religionskritik, die sich an theologischen und institutionellen Fragen orientierte. Ob und wie diese sich auch heute noch halten kann, nachdem sich beispielsweise die katholische Kirche im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils nunmehr ganz anders darstellt als zur Zeit Freuds und nachdem wir es heute im Glauben der Menschen weniger mit abgeschlossenen konfessionellen als vielmehr mit offen spirituellen Leitbildern zu tun haben, versucht ein Sammelband von Eckhard Frick und Andreas Hamburger zu ergründen, der jüngst bei Kohlhammer erschien: „Freuds Religionskritik und der „Spiritual Turn“. Ein Dialog zwischen Philosophie und Psychoanalyse“.

Die methodische Form des Dialogs zwischen Religionskritik und Religion sowie Philosophie und Psychoanalyse wird originellerweise auch in der Gestaltung des Bandes beibehalten: Die einzelnen Themenbereiche schließen mit einem Gespräch der Autoren ab, das Buch selbst wird mit einem Dialog der Herausgeber eingeleitet. Diese Passagen gehören zu den Höhepunkten der Publikation, weil sie sich von der sonst üblichen Form erfrischend abheben und die Thesen und Argumente im Gespräch besonders klar und verständlich formuliert sind.

Es stellt sich zu Beginn der Lektüre die Frage: Worüber reden wir? Mit anderen Worten: Was ist Spiritualität, was ist Religion? Abschließend beantworten können auch die Autoren des Sammelbandes diese religionswissenschaftlichen Grundfragen nicht, wohl aber tragen sie zum Verständnis der Notwendigkeit einer Abgrenzung der unterschiedlichen Phänomene bei. Die entscheidende soziokulturelle Differenz markiert Hamburger anschaulich: „Wenn man die neuen Spiritualitäten streichen würde, würde die Gesellschaft vielleicht nicht zusammenbrechen. Wenn man die Religionen streicht, mit einem Schlag, dann bricht alles zusammen.“ Der „spiritual turn“ sorgt also für weichere, weniger organisierte Glaubenswege und Orientierungsformen jenseits der Kirchen und Religionsgemeinschaften, die funktionalistisch betrachtet auf einer Ebene unterhalb dessen stehen, was gesellschaftlich relevant ist. Damit unterscheiden sie sich von der Religion, die diese Relevanz hat; im Band wird das von Michael Reder am Beispiel der „Spätphilosophie“ Jürgen Habermas’ aufgewiesen, die der Religion wertbildenden Charakter zuschreibt, von ihr allerdings zugleich die Offenheit für diskursive Prozesse verlangt (etwa im politischen Streit über die „richtigen“ Werte).

Freuds Kritik an der Religion richtet sich prinzipiell auch gegen die Spiritualität – und verfängt weder hier noch dort, wie Godehard Brüntrup in seinem hervorragenden Aufsatz feststellt. Freuds epistemisch und ethisch fundierte Religionskritik, nach der Gläubige zum einen als Realitätsverweigerer erscheinen, weil sie an etwas glauben, das sie nicht beweisen können, und Religion zum anderen jene Gläubige moralisch versklave, lässt sich auch auf die „neuen Spiritualitäten“ anwenden, mit Abstrichen, was das jeweilige Gottesbild angeht. Hier steht das Christentum, das mit Jesus von Nazareth Gott „Vater“ nennt, im Zentrum der freudschen Analyse, die darin bekanntlich einen illusorisch überhöhten Vaterkomplex ausmacht, als eine psychologische Variante von Feuerbachs Projektionsthese. Brüntrup arbeitet vor diesem Hintergrund sauber heraus, dass von Freuds Ansatz methodisch und inhaltlich nicht viel zu halten ist.

1.) Inhaltlich nicht, weil sich die evidenzfundamentalistische Kritik epistemischer Unzulänglichkeit, die Freud gegen die Religion richtet, gegen so ziemlich alles richten lässt (die wenigsten unserer Alltagsüberzeugungen wissen wir sicher). Das macht Freuds erkenntnistheoretisch fundierte Religionskritik schwach, aber noch nicht falsch. Doch weiterhin führt Brüntrup mit Alvin Plantinga aus, dass die These, der Atheist habe ein evidentes, der Gläubige hingegen ein illusorisches Weltverständnis, dem die empirische Evidenz fehle, nicht haltbar sei. Macht man nämlich ihre epistemologische Grundlage, Freuds evidentialistischen Fundamentalismus, selbst zum Gegenstand der Prüfung auf empirische Evidenz, wird man scheitern, denn dessen Annahme, dass nur das wahr ist, was wahrzunehmen ist, ist selbst weder logisch noch empirisch gegeben und fiele daher bei einem Evidenztest durch, der genau das zum Prüfkriterium erhebt. Wer an von Materie unabhängigen Geist glaube, sei mithin genauso rational oder irrational wie jemand, der an von Geist unabhängige Materie glaube. Vor dem Hintergrund der Erkenntnistheorie Freuds ergibt sich ein Patt, schließlich sind beide Gegenstände des Glaubens in dem Moment, in dem man an sie glaubt, empirisch nicht evident. Der ethischen Kritik der „Versklavung“ begegnet Brüntrup mit dem Freiheitsbegriff Harry Frankfurts, der den freien Menschen als Person mit einem „integrierten Selbst“ versteht. Darunter lassen sich dann auch diejenigen fassen, die freiwillig die Gebote ihrer Religion befolgen, durch die sie schließlich gerade zu diesem „integrierten Selbst“ werden. Religion ist eben keine Form wider das Leben, sondern eine Lebensform.

2.) Methodisch nicht, weil Freud in seiner interdisziplinär-dialogischen Arbeitsweise die methodologischen Besonderheiten der Fächer missachtet und Grenzüberschreitungen in Nachbargebiete verschleiert. So gebe Freud seine philosophischen Spekulationen – die sich gut widerlegen lassen – als psychoanalytische Erkenntnisse aus, um ihnen eine zusätzliche Dignität zu verleihen. Brüntrup lässt Freud mit dieser brillanten Analyse nicht nur inhaltlich schwach, sondern auch methodisch unredlich erscheinen, ohne dessen Lebenswerk gänzlich zu zerstören: „Es gibt genügend Großes bei Freud zu entdecken und zu bewahren, das nicht vergleichbaren philosophischen Gegeneinwänden ausgesetzt ist.“

Eckhard Frick und Andreas Hamburger legen eine Sammlung höchst aufschlussreicher Beiträge vor, die das Thema vielschichtig angehen und in seiner Tiefe gut durchdringen. Eine klare Struktur und nicht zuletzt ein umfangreicher Apparat mit Personen- und Sachregister erleichtern es, sich in den nicht immer einfachen Fragestellungen zurechtzufinden und sich einen guten Überblick darüber zu verschaffen, wie Freuds Religionskritik heute zu lesen ist.

Titelbild

Eckhard Frick / Andreas Hamburger (Hg.): Freuds Religionskritik und der "Spiritual Turn". Ein Dialog zwischen Philosophie und Psychoanalyse.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2014.
199 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783170230651

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