Auf den Spuren der Habsburger in Wien

Ein Besuch in der Kaisergruft

Von Sarah KolbeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Kolbe

„Ich ging an der Kapuzinergruft vorbei. Auch vor ihr ging ein Wachposten auf und ab. Was hatte er noch zu bewachen? Die Sarkophage? Das Andenken? Die Geschichte? Ich, ein Erbe, ich blieb eine Weile vor der Kirche stehen.“ Franz Ferdinand Trotta, der Protagonist in Joseph Roths Roman „Kapuzinergruft“, kommt aus dem Ersten Weltkrieg zurück. In seiner Heimatstadt Wien führt ihn sein erster Weg zur Kaisergruft, der Grabstätte des österreichischen Kaiserhauses der Habsburger. In der Erwartung, den Geist vergangener Zeiten nachzuempfinden, wie ihn Joseph Roth in seinem 1938 verfassten Roman heraufbeschwört, bin nun auch ich hierher gekommen. Die Kapuzinergruft steht in Roths Roman symbolisch für die untergegangene Welt des Vielvölker-Staats Österreich-Ungarn, der k.u.k.-Monarchie, welcher der Protagonist Franz Ferdinand Trotta, benannt nach dem 1914 ermordeten österreichischen Thronfolger, so sehr nachtrauert. Schließlich beginnt die Romanhandlung noch in den letzten Jahren der k.u.k.-Monarchie, nämlich 1913. In die Kapuzinergruft möchte der Protagonist am Ende des Romans beim Einmarsch deutscher Truppen in Österreich im März 1938 letztlich fliehen, diese ist jedoch verschlossen. Der auf den Einmarsch folgende Anschluss an Nazi-Deutschland begräbt all seine Hoffnungen und Sehnsüchte nach einer Wiedererweckung der Monarchie und des alten Vielvölkerstaats. Ich war also gespannt auf den realen Ort, der sich hinter dem literarischen verbirgt.

Beim Eintritt in die als Kapuzinergruft bekannte Kaisergruft in der Wiener Tegetthoffstraße 2 offenbart sich ihr musealer Charakter unmittelbar. Ein modern gestalteter, einem Museumsfoyer gleichender Raum empfängt die Besucher. Man wird zur Kasse gebeten. Durch weiß gekachelte Treppen und Gänge steige ich hinunter in die Gruft der verstorbenen Habsburger, die sich in ihrer letzten Ruhe der Nachwelt ebenso eindrucksvoll präsentieren wie zur Zeit ihrer Regentschaft. So ändert sich beim Betreten der Leopolds-Gruft schlagartig die Atmosphäre: Wirkten die Gänge eben noch kalt und hell, wie in einem Museum, so ist es nun zwar immer noch kalt, aber die Stimmung ist eine gänzlich andere und mir wird bewusst, dass ich mich hier auf einem besonderen Friedhof befinde: Weiches Licht erleuchtet schwach den langgezogenen Gang mit dunklen Mauern, an denen rechts und links Sarkophage, gleich einem Spalier, postiert sind. Immer weiter den Gang entlang gehe ich, völlig beeindruckt von der Schönheit der Sarkophage, deren Gestaltung alles übertrifft, was ich bisher gesehen habe. Ob aus Blei oder Zinn, verziert mit Kreuzen, Blumen oder Totenköpfen: die majestätische Ausstrahlung der Habsburger offenbart sich so auch noch über den Tod hinaus. Die Karls-Gruft nehme ich nur noch am Rande wahr, so sehr wird mein Blick in Beschlag genommen von dem imposanten Sarkophag der Kaiserin Maria Theresia und ihres Gatten Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen: Er ist monumental, größer und breiter als alle anderen Sarkophage der Gruft, und er steht in der Mitte eines runden nach oben in einer Kuppel sich abschließenden Raumes. Auf dem Sarkophag liegen zwei Figuren, die Maria Theresia und Franz I. Stephan darstellen sollen. Die Kuppeldecke ist mit Motiven der Auferstehung ausgestaltet, was vor allem aufgrund der Ausstattung starke Ähnlichkeit mit einer Kirche hat. Vor dem Doppelsarkophag von Maria Theresia und Franz I. Stephan steht der Sarkophag ihres Sohnes Joseph II., der im Vergleich zu dem seiner Eltern besonders schlicht ausfällt und nur von einem großen Kreuz geziert ist. Bevor ich die Gruft betreten kann, muss ich mich jedoch in einer Warteschlange einreihen und den Touristen zusehen, die sich gegenseitig vor dem großen Sarkophag der Maria Theresia fotografieren.

Eigentlich empfinde ich es als unpassend, auf einem Friedhof zu fotografieren und die Totenruhe zu stören. Wie fremdbestimmt steige ich aber automatisch ein und zücke ebenfalls meine Kamera. Allerdings fällt mir die Vorstellung schwer, dass die Sarkophage tatsächlich die Gräber der Bestatteten darstellen. Diese Öffentlichkeit muss von den Bestatteten jedoch gewollt gewesen sein, schließlich war die Kaisergruft, mit einigen Ausnahmen, von Beginn an für die Öffentlichkeit zugänglich. Seit dem Jahr 1633 werden dort, mit wenigen Ausnahmen, die Mitglieder des Hauses Habsburg bestattet, und auch die Gruft wurde seitdem ständig erweitert. Diese Öffentlichkeit macht die besondere Atmosphäre der Kaisergruft aus, die in sich Friedhof, Kirche und Museum zu vereinen scheint.

Von der Maria Theresia-Gruft kommend wende ich mich, die Franzens-Gruft und die Toskana-Gruft ignorierend, zielstrebig weiter in Richtung der Neuen Gruft, die, den spätesten, im 20. Jahrhundert gestalteten Teil der Kaisergruft darstellt, und im Gegensatz zu den anderen Räumen der Kaisergruft eine moderne Gestaltung aufweist: Die Decke ähnelt in ihrer Schmucklosigkeit einer Parkhausdecke, insgesamt erinnert diese Gruft mehr an einen Kellerraum denn an eine Kirche, wie es mir in der Maria Theresia-Gruft schien. Hat dies mit den düsteren Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zu tun? Denn besonders auffällig ist in diesem Raum die Gedenktafel für den ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Ehefrau Sophie Herzogin von Hohenberg sowie für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, dessen Auslöser bekanntlich die Ermordung des Thronfolgers war.

Direkt neben der Erinnerungstafel befindet sich der Durchgang in die Franz Josephs-Gruft. Diese erstrahlt in hellem Licht, die Wände sind mit weißen Marmorplatten ausgekleidet, und durch diese Helligkeit grenzt sich die Franz Josephs-Gruft am deutlichsten von den anderen Räumen der Kaisergruft ab. Auf einem Podest in der Mitte des Raums steht der Sarkophag von Kaiser Franz Joseph, der auch in Joseph Roths Roman verklärten Symbolfigur der letzten Blütezeit der österreich-ungarischen Doppelmonarchie. Gegenüber dem Sarg seiner Ehefrau, der legendären Kaiserin Sissi, und dem des 1889 durch Selbstmord umgekommenen Kronprinzen Rudolph sticht der Sarkophag des 1916 verstorbenen Kaisers deutlich hervor. Selbst im Tod scheint er über allem zu stehen.

Besonders auffällig für mich sind die vielen Grabbeigaben, so zum Beispiel Blumen oder Kränze, die vor den Sarkophagen von Franz Joseph, Elisabeth und Rudolf liegen. Stehen sie symbolisch für die Sehnsucht vieler Menschen nach dem vermeintlichen Glanz vergangener Zeiten? Oder gar dafür, dass der Monarchismus in Österreich noch lebt? Oder stellen sie schlicht den Personenkult um den Kaiser Franz Joseph, die Kaiserin Elisabeth und den Kronprinz Rudolf dar?

Besonders dieser Raum schlägt für mich die Brücke zu Joseph Roths Kapuzinergruft, denn auch in Roths Roman ist diese Sehnsucht des Protagonisten Franz Ferdinand Trotta nach der alten Monarchie mit einem Personenkult verknüpft. In der Kapuzinergruft durchlebt der Protagonist Franz Ferdinand Trotta nach dem Ersten Weltkrieg die unruhigen Zeiten der Ersten Republik und den Einmarsch der Nazis in Österreich, sodass in ihm eine immer größere Trauer um den Verlust einer „Sicherheit“ aufkommt, die der „weise“ Kaiser zu gewährleisten schien: „Einsam und alt, fern und gleichsam erstarrt, dennoch uns allen nahe und allgegenwärtig im grossen bunten Reich lebte und regierte der alte Kaiser Franz Joseph.“

Das auch in unserer Gegenwart anhaltende Interesse am Leben heutiger Royals zeigt sich in der Beliebtheit der Boulevardblätter oder der Aufmerksamkeit für die Hochzeiten europäischer Herrscherhäuser, die in den letzten Jahren live im Fernsehen übertragen wurden. Die niedergelegten Kränze in der Kaisergruft scheinen eher mit dieser Art des Personenkults in Verbindung zu stehen. Schließlich sind Kaiser Franz Joseph und vor allem Kaiserin Elisabeth schon durch die legendären, alljährlich an Weihnachten ausgestrahlten Sissi-Filme aus den 1950er-Jahren noch heute vielen Menschen gegenwärtig. Der zeitgenössische Kult um die Monarchen unserer Zeit, aber auch um die Verstorbenen in der Kaisergruft scheint aber ein anderer zu sein, als der Franz Ferdinand Trottas in Roths Roman. Denn in der Kapuzinergruft dient der sich um Kaiser Franz Joseph rankende „Habsburg-Mythos“ (Claudio Magris), der Beschwörung eines friedlichen Zusammenlebens der Völker unter der Vorherrschaft eines ‚weisen‘ Patriarchen auch als Gegengewicht gegen die ‚Germanisierung‘ Österreichs, die mit dem Einmarsch der Nazis manifest wird.

Schließlich gelange ich in die Gruftkapelle, dem letzten Raum der Kaisergruft. An der linken Seite des Raumes, gleich neben dem Ausgang, befindet sich eine Büste des letzten Kaisers der Habsburger Karl I., der allerdings im Exil in Funchal auf Madeira bestattet liegt. Auf der anderen Seite des Raums sind Mitglieder des Hauses Habsburg beigesetzt, die nach dem Ersten Weltkrieg gestorben sind, zuletzt Otto von Habsburg im Jahr 2011, eine Zentralfigur der Legitimisten, mit denen auch Joseph Roth sympathisierte.

Ich verlasse diesen Ort mit gemischten Gefühlen: Einerseits bin ich beeindruckt von der Pracht der Sarkophage und der Gestaltung der Gruft, andererseits war der Besuch auch bedrückend. Ein solcher Ort des Todes zeigt deutlich die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit, nicht nur von Macht und Reichtum, sondern allen Lebens. Mein Versuch, die Sehnsucht der Romanfigur Franz Ferdinand Trotta nach den Habsburgern nachzufühlen, ist für mich nicht ganz, aber zumindest in Ansätzen gelungen. Gelungen deshalb, weil die Sarkophage in der Gruft durchaus die Macht und Erhabenheit demonstrieren, die manche der Kaiserinnen und Kaiser ausgezeichnet haben mögen, in denen sich aber auch ein ganzes Land sonnen konnte. Nicht gelungen ist es mir, die Beweggründe der Romanfigur Franz Ferdinand Trotta nachzuvollziehen, in einer ausweglosen Situation ausgerechnet die Kapuzinergruft aufzusuchen. Die Kaisergruft ist schließlich ein Ort der Toten, wenn auch ein beeindruckender Ort.

Verwendete Literatur:

Joseph Roth: Die Kapuzinergruft. Herausgegeben von Werner Bellmann. Stuttgart 2013.

Magdalena Hawlik-van de Water: Die Kapuzinergruft. Begräbnisstätte der Habsburger in Wien. Wien 1987.

Claudio Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur. Wien 2000.