Fremd ist der Fremde in der Heimat

George Taboris Autobiographie ,,Autodafé und Exodus. Erinnerungen“ steht ganz im Sinne seines grotesken Humors

Von Victor PohlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Victor Pohl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 24.5.2014 wäre der große Theatermacher, Schriftsteller und Übersetzer George Tabori 100 Jahre alt geworden. Pünktlich zu diesem Jubiläum bringt der Wagenbach-Verlag die autobiographischen Texte ,,Autodafé“ und ,,Exodus“ nun erstmals in einer Gesamtausgabe heraus.

Mit Stücken wie ,,Die Kannibalen’’ ,,Mein Kampf“ und ,,Jubiläum“ die sich mit den Grausamkeiten des NS-Regimes in grotesker Weise auseinandersetzen, machte der gebürtige Ungar George Tabori in der deutschsprachigen Theaterszene der Nachkriegszeit Furore. Mit Inszenierungen von Becketts ,,Warten auf Godot“ und Shakespeares ,,Othello“ schrieb er deutsche Theatergeschichte. Doch spätestens seit der Verfilmung seiner Hitler-Groteske ,,Mein Kampf“ mit Götz George und Tom Schilling und Michael Verhoevens Verfilmung von ,,Mutters Courage“ dürfte der Büchner-Preisträger nicht nur Theaterkennern ein Begriff sein.

In seiner Autobiographie, die mit dem Wort ,,Erinnerungen“ untertitelt ist, unternimmt Tabori nun den Versuch, sich an sein schicksalhaftes Leben als ein deutschsprechender Jude zu erinnern.

Das Werk gliedert sich in die zwei Teile ,,Autodafé“ und das Fragment gebliebene ,,Exodus“, die ihrerseits jeweils in fünf Kapitel unterteilt sind.

In ,,Autodafé“ erinnert sich Tabori an seine ersten jüdischen Lebensjahre in Budapest, seinen Bruder Paul, seine Mutter Elsa, seinen Vater Cornelius und an sein Leben im Berlin der frühen 30er Jahre.

Einige Kapitelüberschriften laden zu einer näheren Betrachtung ein. Mit ,,Dichtung und Unwahrheit“ ist das Kapitel überschrieben, das sich zwar nicht mit der Autobiographie eines gewissen deutschen Dichterfürsten befasst, sondern vielmehr mit den ersten schriftstellerischen Versuchen des Bruders Paul und dessen ungeheurer Leidenschaft fürs Lügen.

In ,,Gelber Stern“ geht es um das Leben seiner jüdischen Mutter Elsa während der NS-Zeit in Ungarn. Die in ständiger Angst lebende Frau verschanzt sich bei den Nachbarn und entgeht nur knapp einer Deportation. Diese wundersame Geschichte der verhinderten Deportation hat Tabori später zu seiner Erzählung ,,Mutters Courage“ inspiriert.

In dem Kapitel ,,Wer reitet so spät durch Nacht und Wind“ steht im Mittelpunkt nicht die bekannte Ballade des schon erwähnten Dichterfürsten, sondern Taboris sehr später Besuch in Auschwitz. In diesem vielleicht ergreifendsten Kapitel sucht der lebendige Sohn nach Spuren des dort umgekommenen Vaters und findet letzten Endes nichts. Tabori muss sich damit abfinden, dass er, also der Sohn, zu den ,,glücklich Überlebenden“ zählt und nach ,,einem Vater im Wind“ sucht, der vom braunen Erlkönig geholt wurde.

In ,,Exodus“, dem zweiten Teil der Erinnerungen, schildert Tabori in fünf Kapiteln seine Emigration von Ungarn und die lange Flucht vor den Nazis.

Der Auszug aus seinem Heimatland Ungarn führt ihn zunächst als Journalisten nach London. Nach einer kurzen Rückkehr nach Budapest, verlässt Tabori endgültig seine Heimat und damit seine jüdische Familie und fährt über kurze Aufenthalte in Sofia und Istanbul nach Jerusalem. In diesen Fluchtorten arbeitet er als Kriegsberichterstatter und sieht sich gezwungen, vorübergehend eine neue Identität mit dem Alias George Turner anzunehmen. Mit dem letzten Kapitel Jerusalem enden die Erinnerungen des George Tabori. Vollenden konnte der Theatermacher seine Autobiographie leider nicht mehr, da er 2007 im hohen Alter von 93 Jahren in Berlin verstarb.

Tabori erzählt nicht immer chronologisch, denn seine ,,Erinnerung stammelt und springt undeutlich hin und her.“ Trotz allem lässt sich in seiner Autobiographie ein klarer und stringenter Handlungsstrang erkennen, der direkt mit Taboris Geburt anfängt und mit dem Ausbruch des II. Weltkrieges endet. Zwar kommt es hin und wieder, wie er selbst so schön formuliert, zu ,,undeutlichen Sprüngen“, doch schadet dies dem Buch keineswegs. Schließlich handelt es sich hier um persönliche und intime Erinnerungen, die sich nicht einfach der Reihe nach erzählen lassen können. Eine Abschweifung nimmt man folglich gerne in Kauf, da dadurch die Autobiographie einen hohen Grad an Authentizität und Wahrhaftigkeit gewinnt. Denn so hat man manchmal beim Lesen den Eindruck, als befände man sich im Zuschauersaal eines Theaters und auf der Bühne hätte in dem berühmten roten Theatersessel, die Hände auf seinen Stock gestützt, den Schal um den Hals gewickelt, George Tabori Platz genommen und plaudere auf seine freundliche Art und mit österreichisch-ungarischem Akzent aus seinem Leben.

Über allen diesen Erinnerungen schwebt jedoch das Gefühl des Fremdseins, des Nichtdazugehörens. Bereits während seiner Zeit in Berlin kommt Tabori sich dort als ,,ernster Fremdling“ vor. Während seiner Emigrationszeit wird ihm dieses Gefühl immer bewusster. Doch erst viel später, so berichtet er, ist ihm vollständig klar geworden, dass ,,das Fremdsein mein Leben bestimmte.“ Tabori, der Reisende, der Kosmopolit, fühlt sich zeitlebens als Fremder in der Welt, dem der Krieg und der Nazi-Terror nicht nur den Vater und etliche Freunde und Verwandte genommen, sondern auch seine jüdische Heimat zerstört hat. Der Fremde findet in der Zeit nach dem Krieg keine wirkliche Heimat mehr, jedoch ein Zuhause: das Theater.

Nach diesen Ausführungen ließe sich nun die Vermutung aufstellen, Tabori habe ein großes Lamento über sein tragisches Schicksal verfasst. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Genauso wie er seine etlichen Stücke und Erzählungen, die immer wieder die Grausamkeiten der NS-Zeit zum Thema haben, in Form von tragikomischen Grotesken erzählte, tut Tabori das auch in seiner Autobiographie.

Deutlich wird das beispielsweise im schon erwähnten Auschwitz-Kapitel. Während Tabori nach Spuren seines toten Vaters im KZ sucht, sieht er doch tatsächlich ,,eine Gruppe israelischer Kinder mit schlaffen Fähnchen, begleitet von einem Führer.“

In seiner Heimatstadt Budapest wird Tabori einmal von seinem Nachbarn mit dem Hitlergruß begrüßt. Da Tabori ,,Heile Hitler“ verstanden hatte, empfiehlt er seinem Nachbarn:

“Wenn Herr Hitler fachkundigen medizinischen Beistand brauchen sollte, schlage ich vor, Professor Grün in Wedding aufzusuchen.“ 

Tragische Momente werden mit groteskem Humor verbunden. Somit wird aus dem rein Tragischen die tragikomische Groteske, aus einem Monteverdi’schen Lamento ein Ligeti’scher Macabre.

Taboris ,,Autodafé“ beschränkt sich nicht auf eine plumpe Anklage oder schlichte Verurteilung der Geschehnisse. Nein, denn vielmehr führt er eine intelligent-bissige, groteske und tragikomische Auseinandersetzung mit seinem Leben dem Leser vor Augen.

In ,,Autodafé und Exodus“ wimmelt es von solchen Szenen, in denen sich unverkennbar der Tabori’sche Witz und Charme widerspiegeln. Interessant ist hierbei auch noch, dass gerade diese Szenen, die sich wahrscheinlich wirklich so in Taboris Leben zugetragen haben, auch in seinen Stücken und Erzählungen wiederfinden.

Ursula Grützmacher-Taboris Übersetzung aus dem englischen Original hat sich sehr stark darum bemüht, den Sprach- und Wortwitz des Theatermachers beizubehalten, was durchaus auch gelungen ist.

,,Autodafé und Exodus“  ist natürlich nicht nur ein Muss für Tabori-Liebhaber, sondern auch ein idealer Einstieg für diejenigen, die den großen Theatermacher noch nicht kennen, ihn aber kennenlernen wollen.

Ein Monitum gibt es jedoch trotzdem. Eine Fortsetzung, ein Weitererzählen wünscht man sich als Leser doch so gerne. Aber das wird es nicht mehr geben. Das Lamento ist groß.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

George Tabori: Autodafé und Exodus. Erinnerungen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ursula Grützmacher-Tabori.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014.
155 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132574

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