Lyrischer Tod in Nicaragua

In „Margarita, wie schön ist das Meer“ lässt Sergio Ramírez den Schwan der Poesie über tyrannische Gefilde kreisen

Von Jana FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Fuchs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„‚Dichter! Was machen Sie denn da?‘ Und als sei es ein Zeichen, fangen die Thompson-Maschinenpistolen wütend [an] Feuer auf den knienden Tänzer zu speien“ (S. 350). Dass ein junger Dichter zur Pistole greift und nicht mit seiner eigentlichen Waffe, der Feder, kämpft, wird Leser des westlichen Kulturkreises verwundern. Erst recht, wenn dieser die Waffe auf den Präsidenten seines Landes Nicaragua richtet. Doch genau das tut Rigoberto und verwundet den Diktator Somoza tödlich. Dass der nicaraguanische Autor Sergio Ramírez hierbei keinesfalls seiner Phantasie freien Lauf lässt, sondern historische Ereignisse in Fiktion verwandelt, wird deutlich, wenn man sich die Geschichte Nicaraguas vor Augen führt. So beendete der Dichter Rigoberto Lopéz Pérez auch in der wirklichen Welt das Leben des Diktators Anastasio Somoza García durch eine tödliche Schussverletzung. Doch konnte der Poet durch seinen Schuss der Schreckensherrschaft kein Ende setzten, denn die Söhne Somozas führten die von Repression und Gewalt gekennzeichnete Regierungsform noch bis zum Sieg der Sandinisten in der Revolution von 1797 fort. Hier verbindet sich das fiktionale Geschehen im Roman „Margarita, wie schön ist das Meer“ mit der Biographie von Sergio Ramírez: Der Autor, der mittlerweile Träger zahlreicher Literaturpreise ist, und dessen Bücher in mehrere Sprachen übersetzt wurden, nahm aktiv an der Revolution gegen Anastasio Somoza Debayle teil. Aber sein eigentliches Interesse gilt der Literatur und so brach Ramírez 1996 mit der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront und wandte sich ganz dem Schreiben zu.

Auch wenn Ramírez der Politik den Rücken kehrte, ist in „Margarita, wie schön ist das Meer“ ,Macht’ ein zentrales Thema und wird insbesondere in ihrer Willkür literarisch wirksam. Der Präsident Somoza wird keineswegs als Respekt einflößende Person charakterisiert, sondern als Mann „mit dünnem Haar, Doppelkinn und zahlreichen Leberflecken auf Nase und Wangen, [der] […] gleichfalls von einem Korsett geplagt [wurde], das seine Leibesfülle bändigte“ (S. 13). Der Diktator Nicaraguas wird so eher in einem sprühend sarkastischen als ehrfurchtsvoll distanzierten Ton dargestellt. Das andere zentrale Thema des Romans ist die ‚Dichtung‘, verkörpert durch den nicaraguanischen Poeten Rubén Darío. Dieser war nicht nur Literat, sondern auch Diplomat und Konsul Nicaraguas und begründete mit seinem Gedichtband „Azul“ die literarische Strömung des ‚Modernismo‘ in Lateinamerika. Der mittlerweile zum nationalen Mythos stilisierte Rubén Darío wird von Ramírez ebenfalls nicht mit scheuer Verehrung präsentiert, sondern ist bei ihm ein dem Alkohol zugeneigter Dichter, der die Liebesdienste von Lustdamen mit Sonetten bezahlt und dessen Bauchumfang ebenso beeindruckend ist wie sein mächtiger Kopf. Besonders skurril wird es gegen Ende des Romans, wenn das Gehirn des verstorbenen Dichters zunächst gewogen, dann in Formalin eingelegt wird, nur um am Ende auf dem Hof eines Bordells begraben zu werden.

Die Erzählung der letzten Lebensjahre des Dichters Rubén Darío auf nicaraguanischem Boden wird mit dem Handlungsstrang, der den tödlich endenden Aufenthalt des Präsidenten Somozas in der Stadt León beschreibt, durch die Figur Rigoberto verbunden. Dieser ist nicht nur maßgeblich verantwortlich für die Planung des Attentates auf Somoza, sondern rekonstruiert in seinem Notizbuch auch das Leben des Rubén Darío. Die beiden Handlungen werden jedoch so unablässig miteinander verwoben – manchmal kommt es sogar zu Sprüngen von einer zur anderen Handlung innerhalb eines einzigen Absatzes –, dass eine engagierte Lektüre erforderlich ist, die zeitweise enorm anstrengt. Ramírez möchte in „Margarita, wie schön ist das Meer“ so vieles vereinen, dass es manchen Stellen überladen wirkt: Bezüge zur griechischen Mythologie, Bezugnahmen auf Autoren wie Stendhal, Victor Hugo oder Oviedo, das Attentat auf den Präsidenten Somoza, die letzten Jahre des Rubén Darío und verschiedene Textsorten, sodass der Leser, kaum hat er sich in die beschriebene Situation eingefunden, schon wieder aus dieser herausgerissen wird. Ramírez integriert erzählende Passagen, Radio-Konversationen, Somozas Lebenslauf, Dialoge und einen Nachtrag, in dem die Ereignisse erzählt werden, die auf das Attentat des Dichters folgten. In der deutschen Übersetzung von Lutz Kliche findet sich vorab zusätzlich ein Personenregister, in dem die wichtigsten Figuren des Romans aufgeführt werden. Ohne dieses Register wäre der Leser – vor allem der Leser, der mit der Geschichte des zwischen Costa Rica und Honduras gelegenen Landes nur wenig vertraut ist – von der Menge an aufgeführten Figuren überfordert und hätte Schwierigkeiten den Überblick zu behalten.

Trotz der zahlreichen Bezüge, Figuren und Textarten, die in „Margarita, wie schön ist das Meer“ von Ramírez eingesetzt werden, zieht sich doch ein Eindruck durch die gesamte Lektüre des Romans: Nicaragua ist sowohl ein Land der Poesie, in dem eine Gestalt wie ein poetisches Motiv im Schatten einer Laube entschwindet (vgl. S. 131), als auch der tragischen Willkür der Macht, ist die das ganze Land in eine Lage der Ohnmacht versetzt.

Auch der Stil von Sergio Ramírez erzeugt eine Dichte, welche die Lektüre des Romans erschwert, den Leser aber gleichzeitig zu einer aufmerksamen und entschleunigten Lektüre zwingt, wenn er alle Töne des Romans wahrnehmen will. So verbindet Ramírez auf dem Höhepunkt des Romans den Text des im Hintergrund der beschriebenen Szene laufenden Liedes „La Múcura“ mit der metaphorischen Beschreibung des Revolvers und dem dargestellten Geschehen folgendermaßen: „das schwarze Tierchen, das gleich zubeißen wird, ‚dein Krüglein aus Ton‘, ein ersticktes Bellen, Lichtblitze, trockenes Krachen wie von Knallfröschen, und Somoza sinkt auf den Schoß der First Lady“ (S. 349). Ramírez setzt seine Worte zielsicher und wohlüberlegt. Nur die sich teilweise bis über zehn Zeilen erstreckenden Sätze erfordern vom Leser einiges an Engagement. 

Lutz Kliche überträgt diese treffsichere Sprache ihrem Wesen nach zwar gut ins Deutsche, wenn er aber beispielsweise „puso una llamarada turbia en el espejo“ mit „die Oberfläche des Spiegels erzittern ließ“ übersetzt, dann findet er zwar einen gut gewählten Ausdruck im Deutschen, aber der Ansturm der Harley Davidsons auf dem zentralen Platz in der Stadt León wirkt bei weitem nicht so gewaltig wie bei der Lektüre des Originals. Dass Kliche in eben jenem Satz, in dem das Geschehen seinen Höhepunkt erreicht, und der als Einstieg für diese Rezension herangezogen wurde, vergisst, das Präfix „an“ in den Satz zu integrieren und hierdurch das Verb eine ganz andere Bedeutung erfährt, spricht ebenso wenig für eine genaue Übertragung des spanischen Originals ins Deutsche.

Sergio Ramírez hat mit „Margarita, wie schön ist das Meer“ einen Roman geschaffen, durch den der Leser einen Eindruck davon bekommt, von welch zentraler Bedeutung die Poesie für Bewohner eines Landes ist, das so sehr von politischer Unmündigkeit gekennzeichnet ist wie Nicaragua. Wer bereit ist, sich engagiert auf eine nicht ganz einfach zu fassende Lektüre einzulassen, wird inspirierende Momente erleben, auch wenn der Gegenstand im Schatten einer Laube zu entschwinden droht.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Sergio Ramírez: Margarita, wie schön ist das Meer.
Übersetzt aus dem Spanischen von Lutz Kliche.
Stockmann Verlag, Bad Vöslau 2012.
383 Seiten, 23,80 EUR.
ISBN-13: 9783950275063

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