Im Schnellboot durch den Alltag New Yorks

Renata Adlers Roman „Rennboot“ vermittelt 70er-Jahre-Feeling

Von Kristine HarthauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristine Harthauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Denkt man an die 70er Jahre, kommen einem mit großer Sicherheit zunächst knallige orange-rote Tapeten und die Bee Gees in den Sinn. Aus den Augen verlor man hingegen eine der populärsten Intellektuellen der New Yorker Literaturszene: Renata Adler.

Mit ihren Essays und Artikeln, die sie vor allem für die „New York Times“ schrieb, war sie zusammen mit Susan Sontag eine der einflussreichsten intellektuellen Frauen im Amerika der 70er und 80er Jahre. Nach zwei Skandaltexten (der erste war eine vernichtende Rezension über ein Buch ihrer Kollegin, einer beliebten Filmkritikerin; der zweite Skandal folgte mit einem Insider-Buch voller Kritik am „New Yorker“) verschwand sie aus der Literaturszene und dem öffentlichen Leben.

2013 legte die Buchreihe „The New York Review of Books Classics“ den Debütroman „Speedboat“ von Renata Adler neu auf und sorgte damit für einen erneuten Siegeszug der mittlerweile 75-jährigen Autorin in den amerikanischen Feuilletons. Nun brachte Suhrkamp im Frühjahr  2014 den Roman in einer neuen Ausgabe heraus.

Unter dem Titel „Rennboot“und in der Übersetzung Marianne Frischs ist das Kultbuch, laut Suhrkamp, „bereit für eine neue Generation“.

Im Roman begleitet der Leser Jen Fain durch ihr abwechslungsreiches Leben in New York. Sie ist Journalistin und neben ihren weiteren Tätigkeiten als Uni-Dozentin und Redeschreiberin vor allem eine unabhängige Frau in ihren Dreißigern, die sich mit Affären, tratschenden Kollegen und neurotischen Freunden herumschlägt.

Erzählt wird kein durchgehender Plot, sondern Momente und kleine Episoden aus Jens Leben. Sie überblickt und kommentiert ihr bisherig Erlebtes von ihrer Schulzeit aus bis hin zu ihrer möglichen Zukunft.  Diese Reflexionen sind einerseits scharfsinnig und direkt, oft wirken sie wie Aufzeichnungen für eine Kolumne oder Reportage. Aber auch von kleinen, alltäglichen Szenen, die es in die Rubrik „New York und die Welt“ schaffen könnten, erzählt sie. So berichtet Jen in einem Absatz von einem tragischen Fall in einer Vorschule: Einer von sechs Kevins wird im Central Park vergessen, die Lehrerin bemerkt das Fehlen erst bei der Rückkehr ins Klassenzimmer. In dieser Zeit sitzt der Junge auf dem Alice-Denkmal im Park und wartet darauf, dass jemand kommt und ihn findet. Der Vorfall geht gut aus, denn ein Polizist findet ihn. Zwar hatten alle Kinder im Schulbus gemerkt, dass ein Kevin fehlt, nur hatte, wie sich herausstellt, keines der Kinder die Lehrerin darauf aufmerksam gemacht.

„Rennboot“ ist in sieben Überschriften eingeteilt, die allerdings meistens keinen Anhaltspunkt für einen Zusammenhang oder einen größeren Bogen bieten. Viele Momente sind leider nur oberflächlich und belanglos erzählt. Man fragt sich manchmal, wieso die Autorin gerade jetzt von dieser Sache und nicht von einer anderen erzählt. Dadurch wirken die Texte oft wahllos aneinander gereiht. Diese Beliebigkeit sorgt dafür, dass es der Leserin nach den ersten hundert Seiten allmählich schwer fällt, Interesse für weitere Szenen aus dem Leben Jen Fains aufzubringen. Es fehlt deutlich ein dramaturgischer Bogen, der die einzelnen Teile zusammenhält. Man hat recht schnell ein festes, immer wieder erwähntes Personal kennengelernt und den Rest in Schubladen gesteckt.

Adlers Roman ist an den Stellen am stärksten, in denen Fain die Verhaltens- bzw. Handlungsweisen der New Yorker auf den Punkt genau analysiert. So beschreibt sie zum Beispiel den pedantischen Archivverwalter einer Zeitung, für die sie arbeitet. Dieser Mann ist versessen auf die Einhaltung der Richtlinien beim Verleih von Akten-Dossiers. Als Jen, wie alle Journalisten bei dieser Zeitung, gegen die Bestimmungen verstößt, indem sie einen solchen Ordner mit Dossier zu sich nach Hause mitnimmt, versucht sie in einer Diskussion mit dem Verwalter zu erklären, dass ihre Handlung in keiner Weise katastrophale Folgen hätte haben können. Da sie mit rationalen Argumenten nichts erreicht, schweigt sie und bringt mit zwei Sätzen das Innere des Archivverwalters auf den Punkt: „Die Leute scheinen auf so verschiedene Weise unglücklich zu sein. Ich habe sie immer gemocht, die grimmigen Hüter von Akten.

Der Schreibstil Renata Adlers ist trocken, behauptend und ironisch, worin sich ihr journalistisches Talent zeigt, weniger jedoch ein literarisches.

Denn was man dem Debütroman anmerkt, ist die fehlende Eingrenzung und Auswahl der erzählten Erlebnisse in einem New Yorker Alltag, der sich nun mal nicht immer von anderen alltäglichen Momenten in anderen Großstädten unterscheidet.

Die Gäste auf den Partys, die sie besucht, kommen aus einer breiten Schicht. So finden sich dort beispielsweise Professoren, die sich zu der New Yorker Intelligenzija zählen und „VIP“s, die mit Hilfe von Reportern aufgestiegen sind. Die meisten sind gelangweilte, mittelständische Enddreißiger, die ihr Leben ziehen lassen und sich auf Partys darüber beklagen, nicht genug Zeit zu haben, um die Dinge zu tun, die ihnen wirklich wichtig sind.

Fain scheint bei solchen Partys mehr beobachtend am Rande als mittendrin zu stehen, sodass sich die beschriebenen, kurzen Szenen wie Notizen lesen, die sie sich von besonders merkwürdigen Gästen macht.

Man wünscht sich nach langatmigen und überflüssigen Stellen häufig mehr Schilderungen von beispielsweise solchen Situationen:

Auf einer Party retten sich Männer aus langweiligen Gesprächen, indem sie sich noch einen Drink holen. Da sie aus Höflichkeit fragen, ob sie dem Gesprächspartner auch einen Drink mitbringen sollen, müssen sie mit zwei Getränken zurück zu der Unterhaltung, von der sie eigentlich weg wollten und kommen so nicht aus der misslichen Lage. Die einzelnen Gesprächspärchen betrinken sich so sehr, dass Personen, die sich nicht ausstehen konnten, beschließen, zusammenzuziehen. Fain erinnert diese „Eskalation von Kameraderie“ an eine Schlussaktion. Doch die skurrilen menschlichen Verhaltungsweisen hören nicht auf. Ein junger Professor erzählt auf dieser Party von seiner Musterstudentin, mit der er während der Dienststunden Fellatio übt. Jen hält dies für eine Metapher für den „Vollzug akademischer Bildung“. Der Professor stimmt diesem offensichtlich feministischen Kommentar sogar zu.

Die Stellen mit Reflexionen über den Beruf des Journalisten, über die Art wie man journalistisch arbeitet, über die Situationen, in die man durch diesen Beruf gelangt, sind durchaus bereichernd und lesenswert. Obwohl man nicht außer Acht lassen darf, dass „Rennboot“ Renata Adlers Debütroman ist, wünscht man sich die durch ihre journalistische Tätigkeit geübt filternde und auf den Punkt bringende Art des Berichtens.

Immer wieder wird auf populäre Filme oder Musik im Amerika der 70er Jahre Bezug genommen. Dabei kommt das Problem auf, dass heute wahrscheinlich nur noch wenige sich etwas unter einer Serie namens „Medical Center“, einem Musical mit dem Titel „No, No Nanette“ oder Sängern wie Tiny Tim vorstellen können.

Auch über historisch einschneidende Erlebnisse wie das Kent-State-Massaker wissen viele heutige, deutschsprachige Leser nicht mehr Bescheid. Der Verlag sieht das Buch als bereit für eine neue Generation, da wäre es wünschenswert, wenn die neue Suhrkamp Ausgabe einige erklärende Fußnoten hätte und so dieser neuen Generation an Lesern entgegenkommen würde.

Wie in der ersten deutschen Ausgabe 1979 wurde in der neuen Auflage Marianne Frischs Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch beibehalten. Diese schafft es, die klare, kühle Sprache des Originals zu übermitteln. Der leicht journalistische Stil des Textes liest sich gut und ohne Verständnisprobleme.

Bedauerlich ist jedoch, dass Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsival“ [sic] regelmäßig falsch geschrieben wird.

Der experimentelle Charakter „Rennboots“ kann heute nicht mehr so überraschen wie vor 40 Jahren. Man kennt den Stil des losen, aneinander gereihten Berichtens. An Aktualität jedoch hat Adlers Roman bis heute nicht eingebüßt. Das Leben einer Journalistin in New York ist spätestens seit der Serie „Sex and the City“ in den deutschen Wohnzimmern angekommen. „Rennboot“ zeigt im Gegensatz dazu eine interessante unabhängige Frau, die sich in allen New Yorker Schichten bewegt, sich kritisch mit dem Habitus der New Yorker Intellektuellen der 70er auseinandersetzt und mit Mitte 30 noch immer mit Affären und gescheiterten Dates kämpft. Eine kosmopolitische Frau in der Großstadt, die ihre Jugend und ihre Zukunft reflektiert: Das macht den Roman für eine große Altersspanne interessant.  

Einerseits die Zeitlosigkeit des thematisierten Alltags einer Journalistin in der Großstadt und andererseits die Zeitlastigkeit der New Yorker 70er Jahre machen den Roman, trotz der manchmal fehlenden Dichte, zu einer lesenswerten „Wieder-Neuentdeckung“. 

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Renata Adler: Rennboot. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Marianne Frisch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
241 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518224809

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