Von verpassten Chancen und der Hoffnung auf Veränderungen

Florian Wackers Debüt „Alburquerque“ beeindruckt als abgeklärt und souverän geschriebener Erzählband

Von Christopher HeilRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christopher Heil

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sind wir mal ehrlich: Manchen Büchern merkt man es beim Lesen doch an, dass es sich um ein Debüt handelt. Warum das Manuskript nicht noch einmal zurück in die Schreibtischschublade legen, ein wenig ruhen lassen und dann weiter daran herumfeilen? So einen Eindruck hatte man leider häufiger. Umso schöner sind die Fälle, bei denen man nicht im Geringsten vermuten würde, dass es die erste Veröffentlichung in Buchform ist, weil sie derart routiniert daherkommen – und so ist es auch bei Florian Wackers „Albuquerque“: 14 abgebrüht und souverän geschriebene Kurzgeschichten sind in dem Band versammelt.

Auch thematisch unterscheidet sich „Albuquerque“ von vielen anderen Debüts: Anstatt den typischen Alltäglichkeiten und Sorgen der Anfangs- bis Mittzwanziger um Liebe, Studium, Partys und Abstürze oder dem Trip ins Ausland nach dem Abi oder während des Studiums, um ‚endlich mal etwas zu erleben‘, wendet sich der Autor den vermeintlich unscheinbaren Menschen zu, den Arbeitern, alleinerziehenden Müttern und Vätern oder illegal in Deutschland lebenden Migranten. Wacker spricht mal nüchtern, mal poetisch gesellschaftspolitische Problemfelder an, ohne dabei mit erhobenem Zeigefinger als Moralapostel aufzutreten oder humorvolle Episoden außer Acht zu lassen und variiert somit Themen und Tonarten.

In „Albuquerque“ liest man unter anderem über die Erschütterungen oder Geldsorgen der Alltagshelden, die schon über 20 Jahre gearbeitet haben, anstelle des angeblichen Weltschmerzes der 20-Jährigen. Vielleicht liegt es auch daran, dass Wacker mit seinen 34 Lenzen eine gewisse Lebenserfahrung hat und diese Reife spürbar in den Texten zum Vorschein kommt. Aber natürlich sind Alter und Qualität zwei verschiedene Paar Schuhe – und festzuhalten bleibt ganz einfach, dass diese Kurzgeschichten durchweg überzeugen, und genau darauf kommt es ja an.

Entscheidungen zu treffen, ein Bewusstsein für die eigene ungünstige Situation zu schaffen sowie Mittel und Wege zu überdenken, die eine Veränderung bewirken könnten – darum geht es in den Erzählungen. Im Auftakttext „Serpentinen“ stehen drei Straßenarbeiter im Fokus der Geschichte und einer von ihnen, Bunge, beschließt urplötzlich, sich aus dem Staub zu machen. Ein eingespieltes Dreiergespann wird aufgelöst und natürlich stellt sich die Frage, warum Bunge fortgegangen ist. Dem tristen und unbefriedigenden Alltag entfliehen? Aber wohin dann? Zufriedenheit und Unzufriedenheit liegen hier relativ nahe bei einander und eines scheint klar zu sein: „Da, wo er jetzt ist, kann das Leben manchmal genauso beschissen sein wie hier.“

Genauso „beschissen“ ist auch die Situation einer alleinerziehenden Krankenschwester in „Weiß“: Sie sehnt sich nach einem besseren Leben ohne Schichtdienst und vor allem nach einer Zukunft mit Perspektive für ihre Tochter Sophie, die noch in den Kindergarten geht. Ähnlich ergeht es auch Alex in „Terrakotta“ oder dem völlig erschöpften und ausgelaugten Brandt in „Container“, das so hinreißend poetisch endet. Um etwas zu erleben, muss man, wie in „Feierabend“ vielleicht alles einfach mal stehen und liegen lassen oder wie in „Kluge Köpfe“ etwas riskieren, das fernab der Legalität liegt. Wacker liefert keineswegs Blaupausen, die zu dem einen Ausweg aus der misslichen Lage führen. Vielmehr konzentriert er sich auf die entscheidenden Momente, in denen ein Leben zum Guten oder Schlechten kippen kann.

Die Texte „Transit“, „Muffe“ und „Albuquerque“ zählen definitiv zu den Höhepunkten des Bandes. In „Transit“ greift Wacker den Topos des Hotels als Übergangsort auf. Es wird aus drei Perspektiven von einem Abend der Grübeleien und Entscheidungen im Leben der schwangeren Rezeptionistin Ellen, dem alleinerziehenden LKW-Fahrer und Hotelgast Uwe sowie dem illegal in Deutschland lebenden Flüchtling Adil berichtet. Immer schwingt die Frage mit: Was kommt nach dem Durchgangsstadium?

„Muffe“ liest sich wie ein freundschaftlicher Nachruf auf den gleichnamigen Amateurfunker. Der Erzähler gibt zwar zu, Muffe erst seit einem Jahr und eigentlich auch gar nicht so gut gekannt zu haben. Dennoch wird diese Geschichte über den Hobbyfunker und dessen innere Zerrissenheit so wunderbar einfühlsam und traurig erzählt. Bereits zu Beginn des Textes erfährt man, dass Muffe tot ist, und der Leser wird über einen behutsam angelegten Spannungsbogen zu Muffes schrecklichem Tod hingeführt. Die Ereignisse fügen sich sukzessive zu einem Ganzen zusammen.

In der Titelgeschichte „Albuquerque“ reist ein junger Mann in die USA, um dem ehemaligen Profifußballer von Eintracht Braunschweig Ron Michaels eine vom Fanclub gesammelte Spende für eine neue Hüfte zu übergeben. Michaels ist etwas heruntergekommen, grantig, lebt mittlerweile in einem Trailer-Park und arbeitet in einer Baufirma. Ein typischer Absteiger, aber „Ron war nicht verzweifelt, er haderte auch nicht mit seinem Leben. Er hatte es angenommen und versuchte, das Beste draus zu machen. So wie es jeder von uns versucht.“ Aber gerade dieser gescheiterte Ex-Fußballprofi schafft es, dem jungen Mann aus Braunschweig neue Horizonte und Perspektiven zu zeigen und womöglich „alles auf eine Karte zu setzen“.

Ob nun Busfahrer oder Krankenschwester, Anstreicher oder Sicherheitsmann im Hafenbetrieb – Wacker gelingt es, die Alltagsminiaturen und Schwierigkeiten im Leben seiner Protagonisten, die an einem Scheidepunkt angelangt sind, ungeschönt wiederzugeben. All die Geschichten kreisen um Entscheidungen, verpasste Chancen und die Hoffnung auf Veränderungen. Sie zeigen die Leerstellen im Leben der Figuren auf und stellen ganz unterschiedliche Lebensentwürfe der stillen Helden des Alltags auf der Suche nach Glück und einer Idylle dar. Wie schön, dass Wacker über diese Menschen schreibt und ihnen eine Stimme gibt. Man wünscht ihnen, dass sie den Transitbereich verlassen und an ihrer ersehnten Station ankommen.

Titelbild

Florian Wacker: Albuquerque. Erzählungen.
Mairisch Verlag, Hamburg 2014.
160 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783938539323

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