Transnational, transkulturell, transhistorisch – na und?

Yvonne Joeres verfolgt die Spuren des „Don Quijote“ bei Friedrich Schlegel und Heinrich Heine

Von Johannes SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

War Cervantes Spanier? – Zweifellos. Ist demnach sein „Don Quijote“ ein spanischer Roman? – Ganz gewiss. Und können wir annehmen, dass Spanien nicht Deutschland ist? – Nun, ja. Ist dann weiter anzunehmen, dass sich in Spanien, aus diversen geografischen und historischen Gründen, eine etwas andere Kultur entwickelt hat als in Deutschland? – Sicher, sicher. Vorletzte Frage: War das Erscheinen des „Don Quijote“ schon vor zweihundert Jahren lange her? – Natürlich, der erste Teil erschien 1605! Fassen wir zusammen: Der „Don Quijote“ des Cervantes ist ein spanischer Roman aus dem frühen 17. Jahrhundert. Würde das für die deutsche romantische Rezeption nicht bedeuten: Ein Buch aus einer anderen Zeit, einem anderen Land und damit einem anderen Kulturraum? – Keine Frage.

Keine Frage, in der Tat: Wenn deutsche Dichter alte spanische Texte lesen, ist diese Rezeption zwangsläufig transhistorisch, transnational und transkulturell. Das liegt in der Natur der Sache, und eine Studie, die sich der „Don-Quijote-Rezeption Friedrich Schlegels und Heinrich Heines im Kontext des europäischen Kulturtransfers“ und den damit verbundenen „transnationale[n] Denkansätze[n]“ widmet, läuft mithin Gefahr, in die Banalität zu rutschen. Yvonne Joeres tappt in diese Falle, wodurch sich ihre Monografie trotz mancher guter Momente letztlich etwas ernüchternd liest.

Den Auftakt zu der fast vierhundert Seiten umfassenden Studie bildet ein Überblick über die vorromantische Rezeption des „Don Quijote“. Sie ist insofern interessant, als sich die Vorurteile den Spaniern gegenüber – das Stichwort ist hier die leyendra negra, die schwarze Legende – immer auch im Urteil über Cervantes’ Roman spiegeln: Wer die Spanier für fanatisch, kriminell und faul hielt, sah im „Don Quijote“ den Volkscharakter ausgedrückt und hielt das Buch in der Folge für eine lachhafte Satire ohne größeren literarischen Wert. Exemplarisch berichtet Joeres vom Reisejournal der Gräfin d’Aulnoy (1691), die sich in vielen Punkten auf Hörensagen verlässt und allerlei Halbwahrheiten und Vorurteile kolportiert.

Im Zuge der Aufklärung – Lessing ist hier zu nennen, dann aber auch Friedrich Justin Bertuch und Johann Gottfried Herder, die auch von Joeres in den Blick genommen werden – wandelte sich dann dieses negative Bild. Als Wilhelm von Humboldt 1799 nach Spanien reist, kann er viele der den Spaniern zugeschriebenen Eigenheiten bestätigen, kehrt ihre Wertung aber um: Was einst Anlass für Spott und Kritik war, ist nun lobenswerter Vorzug. Die Romantiker, namentlich Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel, steigern mit ihrer Spanienbegeisterung diese Umkehr noch; ihre Lobeshymnen über ein Land, das sie nicht selbst bereist haben und von dem es fast keine zeitgenössischen Schilderungen gibt, geraten – so könnte man Joeres sehr solide Darstellung pointieren – zu einer positiven Diskriminierung: Religiosität, Tapferkeit, Poesie, alle wichtigen Werte romantischer Denkart werden in Spanien verortet, unabhängig von tatsächlichen Zuständen. Hier kommt der „Don Quijote“ ins Spiel, denn Spanien gerät nur deswegen in den romantischen Blick, weil Tieck und die Schlegels auf den Roman aufmerksam werden. Von Tieck übersetzt, von den Schlegels literaturgeschichtlich und poetologisch zur Krönung romantischer Bestrebungen erklärt, wird die Geschichte vom Mann von la Mancha zum Kernstück der neuen ästhetischen Ideen. Weil der Roman ein Meisterwerk ist, muss das Land seines Autors ein herrliches sein, und da ein so herrliches Land sicher noch andere vorzügliche Dichter hervorgebracht hat, muss man weitersuchen: So verläuft die Linie, an der sich die Frühromantik von Cervantes zu Calderón bewegt und die Spanien zu dem romantischen Land par excellence verklärt.

Mit dem Einfluss des „Don Quijote“ auf Friedrich Schlegels Denken ist der erste Schwerpunkt von Joeres’ Ausführungen erreicht; zugleich beginnen hier die Schwierigkeiten. Denn so richtig alles ist, was sie sagt – etwa, dass Schlegels kulturgeschichtliches Denken zwischen den Vorstellungen einer Beeinflussung der verschiedenen Kulturen untereinander oder einem reinen, ureigenen Nationalcharakter schwankt, oder dass sich für ihn in der Doppelfigur Don Quijote/Sancho Panza der romantische Akkord von Poesie und Prosa verkörpert –, so wenig neu oder erkenntnisfördernd ist es. Eben weil es so selbstverständlich ist, dass die Rezeption über Länder, Kulturen und Epochen hinweg führt, lässt sich dieser Umstand so wenig fruchtbar machen. Das Wissen darum, dass es ein spanischer Roman ist, der die deutsche Romantik prägt, kann keinen Ansatzpunkt dafür liefern, diese deutsche Romantik besser oder anders zu verstehen als bisher, was nicht zuletzt daran liegt, dass Schlegels Denken vornehmlich um ästhetische Fragen kreist: Wie funktioniert der romantische Roman? Wie stehen Poesie und Prosa zueinander? Dass Spanien das letzte Zentrum europäischer Romantik war und nun die deutsche Literatur diese Entwicklung fortsetzen solle, ist zwar eine häufig auftretende Denkfigur, sie lebt aber nicht davon, dass es sich um die Literaturen zweier Ländern handelt. Vielleicht wäre ein Perspektive lohnenswerter gewesen, die im Gegenzug fragt, inwiefern die Inter- bzw. Transkulturalität durch das Konzept einer gesamteuropäischen, historisch voranschreitenden Romantik überwunden wird.

In eine ähnliche Richtung denkt schließlich auch Heinrich Heine, dem sich der letzte Teil der Arbeit widmet. Hier sind es weniger ästhetische als vielmehr politische Erwägungen, die mit der Rezeption des „Don Quijote“ verbunden sind. Denn Heines in seinen eigenen Augen aussichtsloser Kampf für ein freieres, offeneres Europa erscheint als Wiederholung des hoffnungslosen Anrennens des Ritters von der traurigen Gestalt gegen die wenig ritterlich-ehrenhafte Realität seiner Zeit. Dass Heine Sympathien für die Romanfigur besaß, dass er Darstellungsweisen für eigene Texte übernahm – etwa in den „Lukka“-Texten, in denen die Doppelfigur Marchese Gumpelino/Hirsch Hyazinth an jene des Ritters und seines Knappen erinnert –, dass  er gar einer Neuübersetzung von Cervantes Roman ein Vorwort schrieb – all dies ist nicht uninteressant, aber ebenfalls keine ganz neue Entdeckung. Und auch hier gilt: Der Umstand, dass es ein spanisches Buch ist, dass das Denken eines in Frankreich lebenden Deutschen beschäftigt, schafft nur einen theoretischen Überbau, der für die Erwägungen der Arbeit letzten Endes überflüssig ist. Und nicht weniger angebracht wäre auch hier die Frage gewesen, wie quichottistisches Gedankengut als gesamteuropäische Gedankenwelt kulturelle Räume verbindet, eine Frage, die sich sehr viel mehr mit Heines eigenen Vorstellungen berührt als der Nachvollzug einzelner Beeinflussungen auf textlicher oder biografischer Ebene.

So scheitert Yvonne Joeres Arbeit am Ende daran, dass gerade jene vom „Don Quijote“ ausgehenden Denkansätze, denen sie nachspürt, nicht von ihrer Transnationalität leben. Der konzisen Darstellung der Rezeptionsgeschichte tut das keinen Abbruch: Um Einblick in die enorme Wirkmächtigkeit des Romans auf das literarische Denken Deutschlands um 1800 zu gewinnen, sei jedem diese Monografie empfohlen, die eine Fülle von Forschungsergebnissen zu einem stimmigen Bild verbindet. Dass der Wert dieses Bilds dann durch eine theoretische Sackgasse gemindert wird, ist schade, kann aber zugleich als Anregung dazu dienen, einen neuen Blickwinkel einzunehmen und sich der Aufnahme des „Don Quijote“ in der deutschen Romantik von Neuem zu nähern.

Titelbild

Yvonne Joeres: Die Don-Quijote-Rezeption Friedrich Schlegels und Heinrich Heines im Kontext des europäischen Kulturtransfers. Ein Narr als Angelpunkt transnationaler Denkansätze.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012.
404 Seiten, 62,00 EUR.
ISBN-13: 9783825360603

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