Hesse zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten

Volker Michels legt drei „Hesse Lectures“ vor

Von Johannes SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fragte man einen Literaturwissenschaftler nach den wichtigsten, gewissermaßen kanonischen modernen Klassikern, er würde nicht zögern und Franz Kafka und Thomas Mann nennen. Fragte man nun einen nicht berufsmäßigen Leser, so würde er ebenfalls rasch Kafka und Mann antworten, aber sehr wahrscheinlich noch hinzufügen: Hermann Hesse.

Es gehört zu den auffälligeren Erscheinungen der akademischen Beschäftigung mit Literatur, dass das Werk Hesses in ihr nicht die größte Rolle spielt. Gleiches gilt für die Kritik, die ebenfalls nur wenig Interesse an dem weitgefächerten Werk des Wahlschweizers hat. Inwiefern dieser Zustand ein Missstand ist, verdient dringend eine eigene Erörterung. Das oft herangezogene Argument, Hesse sei ein enorm populärer, weltweit millionenfach rezipierter Autor, darf dabei freilich nicht zum Tragen kommen – mit gleichem Recht könnte man die wissenschaftliche Untersuchung diverser, schrecklich trivialer und gerade darum so erfolgreicher Autoren fordern. Nein, Hesse in den Blick zu nehmen, müsste – und könnte! – innere Gründe haben. Und wer könnte diese Gründe besser darlegen als Volker Michels, der seit Jahrzehnten das Werk dieses Autors sichtet, verwaltet, herausgibt (nicht zuletzt in Form der schönen, 20 Bände umfassenden „Sämtlichen Werke“) und bewirbt?

Nur leider, leider bleibt auch er am immergleichen Argument der Popularität hängen. Drei kleine Bändchen hat er jetzt vorgelegt, die unter dem Titel „Hesse Lectures“ vermuten lassen, dass sie den Anfang einer ganzen Reihe bilden sollen. Zwei davon, „Auf den Einzelnen kommt es an“ und „Impulse zur Humanisierung“, widmen sich explizit der „Aktualität von Hermann Hesse“. Ein dritter enthält eine Rede Michels’ „Zur Genese der Freundschaft von Hermann Hesse und Thomas Mann“. Doch er tut seinem Dichter mit diesen Büchern keinen Gefallen, denn was aus diesen Texten spricht, ist in erster Linie die Verbitterung des Herausgebers über die literaturkritische und -wissenschaftliche Missachtung seines Tuns. Ein regelrechtes Kritiker-Bashing schlägt dem Leser entgegen, wenn Michels im Interview („Impulse zur Humanisierung“) erklärt: „Für die deutsche Presse blieb Hesse ein etwas rückständiger Romancier und Innerlichkeitspoet aus dem 19. Jahrhundert, allenfalls ein besserer Jugendbuchautor, längst ad acta gelegt von den tonangebenden Meinungsmachern. Dass er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde: ein unverzeihlicher Fehlgriff und Irrtum. Seine von den Vietnamkriegsgegner und Wehrdienstverweigerern in den USA ausgehenden Renaissance: eine Schnapsidee drogensüchtiger Amerikaner. Seine Bücher daraufhin einmal etwas genauer anzusehen wäre ja Arbeit, also eine lästige Zumutung gewesen.“ Welchem Zweck soll dieses Austeilen dienen? Will er einen neuen Disput über die ablehnende Haltung vieler Kritiker gegenüber Hesse lostreten? Sich profilieren? Nicht vorstellbar ist es jedenfalls, dass er damit einen konstruktiven Beitrag zur Rehabilitation Hesses leistet.

Wenig hilfreich sind auch die Hinweise auf den praktischen Nutzen der Hesse-Lektüre, auf die Orientierungshilfe, die seine Werke gerade Jugendlichen bieten können: Den Vorwurf, es handle sich hier um nobilitierte Ratgeberliteratur, entkräftet man schließlich nicht mit dem Hinweis auf ihre Tauglichkeit beim Ratgeben. Und den Vergleich des e-kulturellen Thomas Mann mit dem u-kulturellen Hermann Hesse schafft man genausowenig aus der Welt, wenn man darauf verweist, dass Mann sich diese Vergleiche aus Wertschätzung für den Kollegen stets verboten hat.

Von diesen ins Leere laufenden Versuchen der Ehrenrettung seines Autors (Michels schreckt nicht einmal davor zurück, die Popularitätsschiene mit Auflagenzahlen und Statistiken zu fahren) abgesehen, erfährt man aus den drei Büchern eigentlich mehr über ihren Verfasser als über Hermann Hesse. Ein großer Teil des Interviews etwa (das mit seinen rund 90 Seiten umfangreicher ist als die beiden anderen Texte zusammen) dreht sich um Michels’ Werdegang und persönliche Hesse-Erlebnisse etc. „Zur Aktualität von Hermann Hesse“ trägt das noch weniger bei als der Rest.

So bleibt nur der Verweis auf die „Sämtlichen Werke“. Wer, auch und gerade jenseits der allbekannten Romane, darin auf die Suche geht, der kann ohne Weiteres einen aktuellen, interessanten, lesenswerten Hesse entdecken, der größere Aufmerksamkeit verdienen würde. Zumindest damit hat Volker Michels einen bleibenden und dankenswerten Beitrag geleistet.

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Volker Michels: "Spitzbübischer Spötter" und "Treuherzige Nachtigall". Zur Genese der Freundschaft von Hermann Hesse und Thomas Mann.
editionfaust, Frankfurt a. M. 2014.
40 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783981589382

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Volker Michels: Auf den Einzelnen kommt es an. Zur Aktualität von Hermann Hesse.
editionfaust, Frankfurt a. M. 2014.
32 Seiten, 9,80 EUR.
ISBN-13: 9783981589320

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Titelbild

Volker Michels: Impulse zur Humanisierung. Ein Gespräch zur Aktualität von Hermann Hesse.
editionfaust, Frankfurt a. M. 2014.
96 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783981589368

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