Vegan im Iran

„They would rock“ – Helena Henneken entdeckt in 59 Tagen einen unbekannten Iran

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Iran – in der deutschen Berichterstattung steht der Staat als Synonym für Ayatollahs, Atomwaffen und Ahmadinedschad. Die Einseitigkeit in der hiesigen medialen Darstellung kollidiert mit der ethnischen, kulturellen und religiösen Vielfalt des Landes. Die knapp 80 Millionen Einwohner des Iran, deren große Mehrheit unter 30 Jahren alt und damit nach der Islamischen Revolution von 1979 geboren ist, strebt und pflegt zudem einen Lebensstil, von dem die meisten deutschen Zeitungsleser und TV-Zuschauer nicht viel wissen.

So erging es auch Helena Henneken. Die 1977 geborene und in Hamburg lebende Kommunikationsberaterin erstaunte ihr Umfeld, als sie verkündete, in den Iran reisen zu wollen: „,Alleine?‘ ,Ja.‘ ,Du als Frau?!?‘ ,Ja.‘ ,Mutig…!‘ Klassisches Gespräch in den letzten Monaten. Immer wieder die gleichen Fragen. Immer wieder das Gefühl, mich erklären – oft sogar rechtfertigen – zu müssen. Und auf großes Unverständnis zu stoßen. Natürlich gab es auch die anderen, die mit ,Iran? Spannend! Viel Spaß! Und berichte mal!‘ Aber die waren eindeutig in der Unterzahl. Und mitkommen wollte von denen auch keiner.“

Die Neugierde, dieses Terra incognita zu erkunden, treibt Henneken an. Wie sehr der Iran sie überrascht hat, macht gleich zu Beginn ihres Buches „They would rock“ eine Auflistung deutlich: „50 besuchte Orte insgesamt, davon 18 Orte mit Übernachtung * 69 Einladungen von fremden Menschen, davon 36 angenommene und 21 ausgeschlagene Einladungen zu ihnen nach Hause plus 12 angenommene Einladungen zu Essen und Tee aushäusig * 104 ,Welcome to Iran!‘-Begrüßungen durch unbekannte Menschen * 82 Mal Beantwortung der Frage ,Are you married?‘ * 20 erhaltene Geschenke * 390 getrunkene Gläser Tee *.“

Henneken staunt während ihres fast zweimonatigen Aufenthalts im Frühjahr 2013 oft. Nicht zuletzt, weil die Reise, die sie unter anderem nach Schiraz, Isfahan, Teheran, Hamadan, Mashhad, Kermanschah und Täbriz führt, Überraschungen bereithält. Diese rühren oft aus der Spontaneität der Iraner her, die für die Touristin ungewohnt ist. Wie im Fall von „Mr. Rezaei“, der in Schiraz als Taxifahrer arbeitet und Henneken seine Stadt zeigt. „,Would you like to come with me to my family home for dinner?‘ Eine spontane Einladung, die er ebenso spontan seiner Frau mitteilt – und die mich 20 Minuten später gemeinsam mit ihren zwei kleinen Kindern herzlich in ihrem Haus empfängt.“

Es ist das Verdienst von Helena Henneken, mit ihrem Buch eine Seite des Iran offen gelegt zu haben, den deutsche Medien wenig thematisieren: Die Herzlichkeit der Iraner gegenüber Touristen, ihr Interesse – auch aufgrund der schwierigen Reisemöglichkeiten –, was in der Welt vor sich geht, ihr Wissen um die eigene Geschichte und immer wieder die kulturellen Besonderheiten, die Riten und Verhaltensweisen der Menschen im Land.

Henneken schaut sich kaum bekannte, aber auch „klassische“ Touristenziele wie das Grab des Dichters Hafis in Schiraz oder die antiken Felsengräber von Naksch-e Rostam an. Sie besucht in Yazd einen Feuertempel der Zoroastrier, die vor der Islamisierung die Macht im Land hatten. In Maschhad kann sie den Schrein von Imam Reza, der von den Schiiten verehrt wird, besuchen, obwohl sie keine Muslimin ist. Hier hat sie auch Gelegenheit, die Meinung eines Geistlichen über Mehrehen, Frauen als Mullahs und die Lage im Mittleren Osten zu hören: „,Die USA werden immer einen Grund finden, den Iran als Terrorstaat darzustellen. Egal, was der Iran tut. Dahinter steht doch etwas ganz anderes: Die USA brauchen einen Grund, in unserer Region Truppen und Waffen zu stationieren. Denn eigentlich haben sie eine ganz andere Angst: die Angst vor aufstrebenden Staaten wie Indien, Russland, China – die für sie geographisch hinter dem Iran liegen.‘“

Ausgerechnet in der heiligen Stadt lernt Henneken junge Menschen kennen, die das erste Veganer-Restaurant Maschhads eröffnet haben: „Nach vier Wochen Fleisch-Diät eine echte Wohltat.“ In Gorgan, einer Stadt am Kaspischen Meer, nimmt sie an einem Yoga-Kurs teil und trägt beim Besuch einer heißen Quelle einen Bikini: „zwei Dinge, die ich niemals im Iran erwartet hätte“. „They would rock“ schildert die Reise als Beispiel einer gelungenen interkulturellen Begegnung zwischen Menschen, die sich vorher nicht kannten. Henneken lernt Frauen und Männer und ihre Familien, aber auch Studenten und Freundesgruppen kennen, von denen einige selbst auf Reisen gehen und sie spontan einladen, mitzukommen. Sie macht zugleich in fast allen Fällen die Bekanntschaft mit Menschen, die alles versuchen, um den Spielraum in der Islamischen Republik so gut wie möglich auszuschöpfen. Viele junge Iraner sehen ihre Zukunft aber nur noch im Ausland.

Besondere Bedeutung bei ihren Begegnungen mit den Menschen hat das „Ta’arof“, das Höflichkeitssystem im Iran, mit dem Henneken bis zum Ende Schwierigkeiten hat. Etwa, als sie einem iranisch-kurdischen Künstler eines seiner Werke abkaufen will, dieser aber ihr Geld nicht annehmen möchte. In solchen Momenten wird das Buch spannend, weil erst die „kulturellen Übersetzungen“, die Henneken durch Englisch sprechende Iraner bekommt, ihr helfen, sich zurechtzufinden. So erfährt der deutschsprachige Leser anhand plastisch geschilderter Begegnungen etwas von den Denkweisen und Verhaltenscodes der Perser, Kurden und Aserbaidschaner im Land. Einen haptischen Eindruck von der kulturellen Differenz gewinnt der Leser übrigens schon durch die grafische Gestaltung von Hennekens Buch, die von der Designerin Frizzi Kurkhaus stammt: Wer das Buch liest, tut dies umgekehrt, quasi von hinten nach vorn – das ist die persische Leserichtung.

„They would rock“ ist ein in tagebuchartiges, dabei dialogreiches und nach den besuchten Städten eingeteiltes Reisebuch, das neben dem Text stark von der Gestaltung lebt: Frizzi Kurkhaus hat einzelne prägnante Sätze daraus als Graffitis gefettet und in verschiedenen Größen in die Seiten eingefügt. Ähnlich verfährt sie mit den zahlreichen gelungenen Fotos, die Henneken im Iran geschossen hat. Sie illustrieren den Text, stehen zugleich aber auch für sich selbst. Neben bekannten Sehenswürdigkeiten wie dem „Azadi Tower“ in Teheran oder Naturaufnahmen in Kurdistan hat Henneken Alltagsgegenstände fotografiert, die ihr oft auch skurril erschienen sind: Kitschige Kinderaufnahmen aus Fotostudios in Maschhad, mit verschiedenen Farben besprühte Küken auf dem Markt von Qaswin, früher noch gebräuchliche Türklopfer, die nach den Geschlechtern getrennt, verschiedene Klänge hören ließen, damit Frauen versehentlich nicht Männern und umgekehrt die Tür öffneten.

„They would rock“ ist ein Reisebuch, das Lust macht, in den Iran zu fahren. Und es macht deutlich, wie wichtig es ist, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen, statt das Iran-Bild deutscher Medien unhinterfragt zu übernehmen. Einen Schwachpunkt hat das Buch aber: Um die gute Laune nicht zu verderben, rückt Henneken das angesichts der Repressionen und Sanktionen deprimierende Leben der Menschen in den Hintergrund. Mehrfach trifft sie auf Iraner, die von Fluchtplänen nach Europa und Australien erzählen und um Hilfe bitten.

Wenn Henneken von einer „krasse[n] Reise mit Schleppern“ spricht, die einer nach Europa antreten werde, oder davon, dass andere 12.000 Dollar investiert hätten und „heile“ in Australien angekommen seien, entsteht der Eindruck, dass Henneken den Ernst der Lage, die Unfreiheit sowie Arbeits- und Perspektivlosigkeit dieser Menschen, nicht verstanden hat, dass sie sich nicht in ihre Situation hineinversetzen kann oder will. Am Ende, scheint es, hat ihr die Reise keinen wirklichen Erkenntnisgewinn gebracht. So zumindest kann man ihr Resümee nach 59 Tagen im Iran lesen: „Meine Antwort: zwei weit voneinander entfernt ausgestreckte Hände mit dem Kommentar: ,This is what we hear about Iran – and that’s you: the people I’ve met here.‘ Auch wenn es für mich gleichzeitig ein großes Rätsel ist, wie eine derartige Kluft zwischen dem Image eines Landes und den Erlebnissen mit den Menschen vor Ort entstehen kann.“

Henneken geht es als Touristin letztlich um ihren Spaß. Angesichts der schwierigen politischen Lage und der tragischen Schicksale, die sie im Iran kennenlernt, birgt das aber zwangsläufig einen gewissen Zynismus in sich: „Für mich gilt eine wichtige Regel des iranischen Ta’arof ab jetzt auf jeden Fall auch für mein Weltbild: Man sollte immer dreimal fragen! Wie schön, dass ich als Bürgerin eines freien Landes die Möglichkeit dazu habe. Let’s rock! Helena.“

Titelbild

Helena Henneken: They would rock. 59 Tage Iran.
Verlag Gudberg, Hamburg 2014.
304 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783943061369

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