Das Bilderbuch in der Schule

Ein literarästhetisches Medium und seine didaktischen Möglichkeiten

Von Ulrike PreußerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrike Preußer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bilderbücher machen literarästhetische Erfahrungen für Kinder auf visuell und sprachlich attraktive Weise sichtbar. Bilderbücher lassen gleichzeitig Raum für Entdeckungen, die zwischen und hinter den Bild- und Textelementen und ihrem Zusammenspiel liegen. Bilderbücher laden schließlich zum Nachdenken, Sprechen und Schreiben über Literarisches und zur eigenständigen Gestaltung ein.

Die vielfältigen literaturdidaktischen Potentiale, die Bilderbüchern innewohnen, und ihre Entfaltungsmöglichkeiten in der Praxis beleuchtet der Sammelband „Text und Bild – Bild und Text“ von Christoph Jantzen und Stefanie Klenz in acht Beiträgen. Wie Herausgeberin und Herausgeber in der Einleitung zu ihrem Sammelband betonen, stehen dabei die neueren Tendenzen, die auf dem Bilderbuchmarkt sichtbar werden, im Fokus: Seit Längerem ist das Bilderbuch nicht nur eine bebilderte Geschichte, sondern eine eigenständige literarische Gattung, die Illustration und schriftsprachlichen Text solcherart miteinander verschränkt, dass die Grenzen zwischen visuellem und verbalem Erzählen verschwimmen. Aktuelle Bilderbuchpublikationen weisen zunehmend die Eigenschaften der Mehrfachadressiertheit und Doppelsinnigkeit auf. Durch die damit verbundene Zunahme an Komplexität ist die Beschreibung und Analyse ihrer strukturellen und narrativen Besonderheiten bereits verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Indem der vorliegende Band die Auslotung didaktischer Potentiale für den literarisch und ästhetisch orientierten Deutschunterricht in den Blick nimmt, leistet er darüber hinaus einen wertvollen Beitrag zur Verwendung von Bilderbüchern in Vor- und Grundschule.

Alle folgenden Beiträge zeigen die literarische Lernförderlichkeit von Text-Bild-Verbünden auf, legen aber unterschiedliche Schwerpunkte, was die konkreten literarischen Lernmöglichkeiten betrifft.

So fokussiert Susanne Heinke ausgehend von den Lektürevorlieben von Kindern die Sinnangebote des Märchens „Des Kaisers neue Kleider“. Sie zeigt, dass diese von Kindern über eine herausfordernde Bildgestaltung und Arbeitsaufträge mit Angeboten zur Perspektivübernahme selbst erschrieben werden können. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Monika Plath, die die komplexen und detailreichen Illustrationen von Klaus Ensikat als Erschließungs- und Verdichtungshilfen für den literarischen Text nutzt. Dabei hat sie vor allem die Leseanfänger im Blick, die über das Lesen der Bilder die Gratifikation der Spannungserzeugung erleben, aber auch Vertiefungsangebote für die Lektüre bekommen, die – mit Kaspar H. Spinner formuliert – „die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses“ erfahrbar werden lassen. Auch Christoph Jantzen stellt Märchentexte ins Zentrum seiner Überlegungen und verdeutlicht, dass die unterschiedlichen Illustrationen in neueren wie auch in klassischen Bilderbuchpublikationen verschiedene Interpretationsebenen für Kinder zugänglich machen. Dabei geht er vertiefend auf methodische Erschließungsmöglichkeiten ein, die die Vorstellungstätigkeit aktivieren und Erwartungshaltungen generieren. Wie Susanne Heinke hat auch Jeanette Hoffmann die Perspektivübernahme im Blick, wenn sie Anthony Brownes „Stimmen im Park“ als Bilderbuchkino präsentiert, über das sie mit Kindern ins Gespräch kommt. Der Perspektivübernahme geht bei ihr das Erschließen von Symbolen voraus, die als visuelle Auffälligkeiten eines jeden Bildes in einem musterorientierten Gesprächsverlauf auf der Handlungs- und Bewusstseinsebene gedeutet werden. Stefanie Klenz nimmt die doppelte Fremdheit des Bilderbuchs in den Blick und zeigt anhand der von Dieter Wiesmüller illustrierten Bilderbuchpublikation des Schiller-Gedichts „Der Taucher“, dass das Irritationspotential eines Bilderbuchs Verstehensprozesse im Wechselspiel zwischen Identifikation und Abgrenzung in Gang zu setzen vermag, die anhand von Kindertexten sichtbar gemacht werden können. Gleichzeitig macht die Verfasserin deutlich, dass die genaue Wahrnehmung von Text und Bild Grundlage für diese Verstehensprozesse ist. Wie Marc Kudlowski anhand von drei Bilderbuchverfilmungen darlegt, ergeben sich im Vergleich zwischen dem Bilderbuch und seiner Verfilmung vielfältige Möglichkeiten für medienästhetisches und literarisches Lernen. Besondere Bedeutung erfährt auch in seinen Analysen und methodisch-didaktischen Vorschlägen die genaue Text- und Bildwahrnehmung in Ergänzung zur individuellen Eingebundenheit des Rezipienten in die Geschichte. Außerdem wird die Aufmerksamkeit auf die filmische im Gegensatz zur verbal-piktoralen „Gemachtheit“ gelenkt und damit auf die ästhetischen Gestaltungsmittel, die zur Darstellung von Buch und Film genutzt werden. Alexandra Ritter verdeutlicht schließlich, dass die Ebene der literarischen Rezeptionskompetenz auch durch die Aktivierung der Ebene der literarischen Produktionskompetenz gestärkt werden kann. Sie lässt Kinder die formelhaften Strukturen von Bilderbüchern erkunden, die beim Verfassen von Texten und beim künstlerischen Gestalten zur Grundlage ihrer eigenen Sprachspiele werden. Im Aufsatz von Gudrun Stenzel wird ein Projekt vorgestellt, in dem Dritt- bzw. Viertklässler Vorschulkindern Bilderbücher vorlesen. Der Beitrag nimmt die vielfältigen literarischen Lernmöglichkeiten für die vorlesenden und zuhörenden Kinder auf und setzt sie zu den Gestaltungselementen der Vorlesesituation und den spezifischen textuellen und schriftsprachlichen Herausforderungen einzelner Bilderbücher in Beziehung.

Vielfältige literarische Lernmöglichkeiten können sich Kindern durch Bilderbücher eröffnen, aber nur dann, wenn die Lehrkraft ein anregungsreiches Buch für ihre Lerngruppe auswählt und das facettenreiche Wechselspiel zwischen Bild und Text kennt und methodisch zugänglich macht. Der Sammelband „Text und Bild – Bild und Text“ bietet für diesen Anspruch angehenden wie auch erfahrenen Lehrerinnen und Lehrern in vielseitigen, praxisnahen Beiträgen einen kenntnisreichen Überblick über die Einsatzmöglichkeiten von Bilderbüchern im Deutschunterricht. Gleichzeitig gibt der Band einen spannenden Einblick in aktuelle Forschungsprojekte, die die literaturdidaktischen Potentiale des Bilderbuchs in den Blick nehmen und bislang nur als Annahmen geläufige Aussagen über ihre Wirkung praktisch überprüfen. Und damit richtet sich der Band an alle, die an literarischen und ästhetischen Lernprozessen interessiert sind.

Hinweis: Der Beitrag ist gekürzt erschienen in: Grundschulunterricht Deutsch Heft 42/2014.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Christoph Jantzen / Stefanie Klenz (Hg.): Text und Bild – Bild und Text. Bilderbücher im Deutschunterricht.
Fillibach bei Klett, Stuttgart 2013.
208 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783126880541

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