Ripper aus dem Geisterhaus

Isabel Allendes neuer Roman „Amandas Suche“

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal ist es mehr Fluch als Segen, wenn einem Schriftsteller mit dem Debütwerk gleich ein ganz großer Wurf gelingt. Günter Grass hatte damit etliche Jahre zu kämpfen, weil er stets an der „Blechtrommel“ gemessen wurde. Nicht anders erging es Isabel Allende, die mit ihrem Erstling „Das Geisterhaus“ (1982) ebenfalls gleich einen Weltbestseller landete, mit dem die Nachfolgewerke stets verglichen wurden.

Doch die in Peru als Tochter eines chilenischen Diplomaten geborene Erzählerin hat es dennoch geschafft, ein weltweites, millionenstarkes Lesepublikum immer wieder aufs Neue in den Bann zu ziehen – zumeist mit starken, historischen Frauenfiguren oder mit an der eigenen bewegten Vita angelehnten Familiengeschichten.

Und vor allem hat sich Isabel Allende eine gehörige Portion Experimentierfreude bewahrt. „Ich wollte den Roman als Detektivgeschichte anlegen“, hatte die Erfolgsautorin im letzten Jahr über ihren Roman „Mayas Tagebuch“ erklärt und ergänzend angefügt: „Vielleicht habe ich dabei an meinen Ehemann William Gordon gedacht, der Detektivromane schreibt.“

Vom Detektivroman zum Hardcore-Krimi ist es dann nur noch ein winziger Schritt gewesen. Pünktlich an Isabel Allendes 72. Geburtstag ist nun die deutsche Übersetzung ihres ersten Kriminalromans erschienen, der in der spanischsprachigen Welt unter dem Titel „El Juego de Ripper“ (in deutsch: Das Ripperspiel) reüssierte. Es geht am Handlungsschauplatz San Francisco ziemlich schaurig zu. Gleich zu Beginn begegnen wir einer Männerleiche mit einem aus dem Hintern ragenden Baseballschläger. „Das war mein eigener Einfall“, unterstrich Isabel Allende in einem „Welt“-Interview. Und es geht reichlich mysteriös weiter, denn eine andere Person stirbt an einer injizierten Überdosis Heroin. Keine Zeichen der Gegenwehr zu erkennen, alles deutet auf Ritualmorde hin, aber der verbindende rote Faden zwischen den Taten lässt sich nicht knüpfen.

Bob Martin ist als Chefermittler professionell mit der Aufklärung der Morde beschäftigt, während seine pubertierende Tochter Amanda und deren Großvater Blake in der virtuellen Welt beim „Ripperspiel“ nach Parallelen forschen. Die 17-jährige Amanda, die ein katholisches Internat besucht, hat mit allerlei „uncoolen“ Entwicklungshemmern zu kämpfen – spindeldürr, wenig attraktiv und noch weniger kommunikativ im direkten zwischenmenschlichen Kontakt. Infolgedessen baut sie sich eine virtuelle Ersatzwelt auf, flüchtet in den Nebel der Social Media und in die dunkle Welt der skandinavischen Krimis.

Isabel Allende kämpft bei ihrem Krimidebüt mit aller Macht gegen die gängigen Genreklischees. Sie setzt dabei nicht auf vordergründige Spannung und auf bluttriefende Actionszenen, sondern bevorzugt (wie in ihren anderen Romanen) detailverliebte Beschreibungen und liebevolle Charakterisierungen der Nebenfiguren.

Im Dunstkreis von Amandas höchst attraktiv gezeichneter Mutter Indiana – halb magische Heilerin, halb lüsterne Hexe – tummelt sich ein Ensemble höchst skurriler Figuren: der drogensüchtige brasilianische Maler Pereira, der Feingeist Alan Keller, die Fernsehastrologin Celeste Roko, die eine Mordserie vorausgesagt hat, Ökofreaks, Hippies und halbtrockene Alkoholiker. Amanda betreibt einen Massagesalon, beschäftigt sich mit Aromatherapie und Reiki, doch die Männer kommen primär wegen der „weitläufigen Landschaften ihres Dekolletés“.

Inmitten dieser Sonderlinge spielt Ryan Miller eine ganz zentrale Rolle. Er ist stark traumatisiert von diversen Kriegseinsätzen im mittleren Osten. Psychisch und physisch durch das Gemetzel stark gezeichnet. Seine Beinamputation versucht er mit hochmodernen Carbonprothesen zu kaschieren, seinem bei den Kriegseinsätzen nicht minder geschundenen Hund Attila, der taub, fast blind und mit unzähligen Narben übersät ist, hat man als Ersatz Titanzähne eingepflanzt. Not schweißt bekanntlich zusammen, heißt es in einem Sprichwort, und so gehen Herr und Hund im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsam durch dick und dünn.

Am Ende sind sich Vater Bob und Tochter Amanda einig, dass es sich um einen Serientäter handeln muss. Und als Bindeglied zwischen beiden (und der Handlung) fungiert Mutter Indiana, die von Bob schon früh verlassen worden war. Und ausgerechnet im Postfach der seltsamen Heilerin landen Mails, die zur Aufklärung der Serienmorde führen.

„Amandas Suche“ ist ein beinahe schon südamerika-typisches Krimidebüt – angesiedelt in einer kleinen Nische zwischen Magie und Realismus. Vielleicht etwas zu langatmig geraten, aber dennoch spannend und spektakulär bis zur Auflösung.

Titelbild

Isabel Allende: Amandas Suche. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
480 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783518424100

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