Die Missachtung der Fußnote

Sabine Zubarik interessiert sich in ihrer Dissertation nicht genug für ihren Gegenstand

Von Michael DuszatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Duszat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fußnoten sind in der Gegenwartsliteratur weitverbreitet. Sie können schlagkräftig traditionelle Textstrukturen, Hierarchien und Ordnungsmuster infrage stellen und eignen sich damit hervorragend für parodistisches und subversives Schreiben. Und obwohl es, angefangen mit Gérard Genettes grundlegenden Überlegungen zum „Paratext“, mittlerweile einige literaturwissenschaftliche Beiträge zur Poetik der Fußnote gibt, ist das Thema alles andere als abgearbeitet.

Hier setzt Sabine Zubariks Dissertation an. Sie enthält Analysen von ungefähr einem Dutzend Romane aus den letzten Jahrzehnten, in denen Fußnoten eine konstitutive Rolle spielen. Diese Romane – unter anderem von Urs Widmer, José Carlos Somoza, Zsuzsanna Gahse, Albert Goldbarth, Gérard Wajcman und Mark Z. Danielewski – lassen sich, so Zubarik, als „Fußnotenromane“ verstehen, nicht nur weil sie Fußnoten enthalten, sondern weil sie ohne diese „textarchitektonische Strategie“ überhaupt nicht funktionieren würden. Grund genug, sich die Formen und Funktionen von Fußnoten in solchen Texten genauer anzusehen.

Zubariks Buch hat allerdings einige grundsätzliche Probleme: es enthält keine richtige Fragestellung, die Einzelstudien bleiben an der Oberfläche oder schweifen unmotiviert ab und der Text ist unklar geschrieben. Außerdem fallen einige sachliche Fehler auf. Am wenigsten aber spricht für das Buch die nachlässige Art, mit der die Autorin mit ihrem Gegenstand, nämlich der Fußnote selbst, umgeht.

Dass das Buch keine Fragestellung hat, ist vielleicht das gravierendste Problem: Zubariks gewähltes Thema, der Fußnotenroman, scheint für sie jedenfalls keine zu lösenden Probleme oder offenen Fragen zu bieten, kein beunruhigendes oder faszinierendes Phänomen also, das einer Erklärung, Erforschung oder Diskussion bedürfte. Das Buch enthält darüber hinaus auch keine Erläuterung der eigenen Methode, und auch die Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand bleibt oberflächlich. Wir wissen also weder, welche Fragen die Autorin wie und vor allem warum beantworten möchte, noch wie sich ihr Buch zu ähnlichen Forschungsbeiträgen verhält.

Das zweite Problem des Buches, seine Oberflächlichlichkeit, folgt aus dem ersten. Denn ohne eine plausible Fragestellung ist es fast unmöglich, eine gute literaturwissenschaftliche Arbeit zu schreiben. Es ist also keine Überraschung, dass Zubariks Untersuchungsteil eine Sammlung von Thesen und Beschreibungen ist, aber nie zu einer stringenten und differenzierten Diskussion wird.

Zubarik teilt ihre 20 bis 30 Seiten langen Kapitel, die sich jeweils einem Roman – manchmal auch mehreren – widmen, in mehrere Unterkapitel ein. Die einzelnen Argumentationen, die sich daraus ergeben, sind oft nur schwer nachvollziehbar. Die Einzelschritte folgen unmotiviert aufeinander oder beschäftigen sich ohne ersichtlichen Grund mit nebensächlichen Aspekten. Aber selbst wenn es um das Kernthema, nämlich Fußnoten in repräsentativen Romanen, geht, bleibt es meist bei einer Beschreibung des Inhaltes.

Im ersten Kapitel erfahren wir zum Beispiel viel über das Motiv des Gebens in Urs Widmers Roman Liebesbrief für Mary. Den Akt des Gebens, der für die Handlung eine wichtige Rolle spielt – ein Liebesbrief wird übergeben – ,kann man zweifellos vor einem ethnologischen Hintergrund deuten, wie Zubarik es tut. Dass die Autorin die Relevanz dieses Motivs – das mit Fußnoten zunächst nur wenig zu tun hat – davon ableitet, dass eine der Figuren als „Herausgeber“ fungiert – nämlich diejenige, die in Fußnoten spricht – ,ist schon etwas abenteuerlich. Das wirkliche Problem ist jedoch, dass der Zusammenhang zwischen der Gabe als Motiv und der Fußnote als Mittel bis zum Ende des Kapitels nie hergestellt wird. Davon abgesehen bleibt ebenso unklar, warum dieser Abschnitt unter der Überschrift „Vom Umgang mit Wissen“ zu finden ist, denn auch, was das alles mit Wissen zu tun haben könnte, interessiert die Autorin hier überhaupt nicht.

Sowohl die offensichtliche Unordnung des Inhalts als auch der Unwille, sich differenziert mit den Funktionen von Fußnoten auseinanderzusetzen, sind typisch für das Buch. Das hat zur Folge, dass am Ende kaum klarer geworden ist, welche „Strategie(n) der Fußnote“ es gibt, wie der Titel verspricht. Zubarik behauptet am Ende zwar, dass die untersuchten Romane „paradigmatisch für bestimmte typologische Gruppen von Fußnotenromanen“ stünden, aber selbst wenn das so wäre: welche Gruppen das sein könnten oder welchen Nutzen eine solche Typologie haben könnte, erfahren wir von ihr nicht.

Das dritte große Problem ist der unklare Stil, der es erschwert, Zubariks Argumentation zu folgen. Schon in der Formulierung des Titels kann man eine unnötige Unschärfe lesen: Es macht den Fall recht kompliziert, wenn nicht klar ist, ob Fußnoten Strategien sind, wie die Einleitung andeutet, oder Strategien haben können, wie der Titel nahelegt. Wenn man solche unterschiedlichen Aspekte an prominenter Stelle ins Spiel bringt, sollte man sie im Buch auch wieder aufgreifen. Auch die im Titel ausgedrückte Unentscheidbarkeit, ob es sich bei dem, was erforscht werden soll, um eine oder mehrere „Strategie(n)“ handelt, fällt im Buch nicht mehr ins Gewicht. Zubariks Sprache ist grundsätzlich eher daran interessiert, möglichst viele Aspekte zu bündeln als sie einzeln zu verfolgen. Das hat zur Folge, dass manche ihrer Sätze inhaltlich nur schwer zu verstehen sind. Wer abschätzen möchte, ob das Buch hinsichtlich Verständlichkeit etwas für sie oder ihn ist, kann folgenden Satz (über Mark Z. Danielewskis House of Leaves) als Maßstab betrachten: „Das Buch ist ein container für ein fiktionales Universum, gleichzeitig wird es durch seine Abbildung desselben selbst zum Inhalt, der sich in seiner Medialität materialisiert“.

Wenig geglückt ist schließlich der Umgang mit der Fußnote im engeren Sinne. Das betrifft zum einen das sachliche Verständnis der Form. An einer Stelle behauptet die Autorin zum Beispiel, Fußnoten könnten sich „maximal auf einen Absatz“ beziehen, was sicher nicht stimmt, denn Fußnoten können sich natürlich auch auf ein ganzes Kapitel oder ein ganzes Buch beziehen. Zubarik selbst beispielsweise setzt am Ende der Einleitung eine Fußnote, die sich auf ihre gesamte Arbeit bezieht. An anderer Stelle behauptet Zubarik, Fußnoten seien in der Gattung des Briefromans „der einzige Ort für einen reflektierenden Eingriff der Autorinstanz“ – als sei es nicht denkbar, dass gerade in dem betreffenden Genre auch an anderen Stellen, zum Beispiel in einem Vor- oder Nachwort, ein Autor direkt zum Leser sprechen kann. In Fantasyromanen, schreibt sie außerdem, sei die Fußnote immer dann unausweichlich, wenn sich die beschriebene Fantasy-Welt von der unseren unterscheidet, also dem Publikum erklärt werden müsse; denn die Erläuterung einer fremden Welt, so behauptet die Autorin seltsamerweise, könne „nicht im Haupttext verhandelt werden“.

Nicht nur die Theorie, auch die Anwendung der Fußnote scheint Zubarik nicht besonders zu interessieren: Ihre eigenen Fußnoten sind oft unnötig und wären durch einen kompakteren Zitierstil vermeidbar gewesen, denn sie bestehen oft nur aus „Ebd.“ oder aus langen, unkommentierten Zitaten. Auch bezieht sich ihr Haupttext gelegentlich auf Begriffe, die sie selbst nur in ihren Fußnoten genannt hat, so, als wäre es selbstverständlich, dass die Leser die Fußnoten ebenso genau lesen wie den Haupttext. Das wäre in jeder Arbeit schlechter Stil, aber hier ist es auch als indirekte Missachtung einer grundlegenden These zu verstehen, die auch Zubarik selbst vertritt – dass es einen Unterschied zwischen Haupttext und Fußnote gibt. Ohne diese Trennung, die normalerweise auch eine eindeutige Hierarchie beinhaltet, hat die seriöse, wissenschaftliche Fußnote keinen Sinn. Und sie ist auch für alle Romane entscheidend, die die Fußnote von ihrer seriösen Variante ableiten – gerade dann, wenn sie versuchen, Dominanzverhältnisse umzukehren oder ganz aufzulösen.

Solche Kleinigkeiten fallen nicht nur durch ihre Menge ins Gewicht, sondern auch weil sie gerade dort auftreten, wo es um das eigentliche Thema geht, jenes Phänomen also, mit dem die Autorin sich mehrere Jahre auseinandergesetzt hat. Hier scheint eine ernüchternde Arglosigkeit im Umgang mit der Form durch, die angeblich im Zentrum des Interesses steht. Selbst wenn man sie als Flüchtigkeitsfehler wertet, weisen diese darauf hin, dass die Autorin die Fußnote als Form nicht wirklich respektiert. Eine schlechtere Haltung zu einem Gegenstand kann man sich für eine kritische Auseinandersetzung kaum vorstellen.

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Sabine Zubarik: Die Strategie(n) der Fußnote im gegenwärtigen Roman.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2014.
290 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-13: 9783849810122

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