Ich bin dann mal tot

„Kings of Nowhere“: Der US-Autor T.J. Forrester schickt seine Figuren auf den Appalachian Trail, einen der längsten Fernwanderwege der Welt

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer den Appalachian Trail bewältigen will, braucht Zeit. Viel Zeit. Während man den Camino Francés, den klassischen Jakobsweg, in etwa vier Wochen bewältigt, reicht für die legendären dreieinhalbtausend Kilometer durch 14 US-Bundesstaaten kein noch so langer Wanderurlaub, nötig ist da schon ein halbes Sabbatical. Was liegt daher näher als die Vorstellung, dass der, der im schönsten Indian Summer am Mount Katahdin in Maine ankommt, ein anderer sein wird als der, der im Frühjahr am Springer Mountain in Georgia losmarschiert ist?

Diese Hoffnung trägt zumindest die Figuren in T. J. Forresters Debütroman „Kings of Nowhere“. Richard zum Beispiel, der selbsternannte Blackfoot-Indianer inmitten einer durchweg blonden Verwandtschaft, kämpft nacktwandernd gegen seinen Alkoholismus und die Erwartung der Familie, einmal den Reifenhandel des Vaters zu übernehmen. Der Ex-Sträfling Taz, der in einigen Kapiteln als Ich-Erzähler auftritt, will in den Appalachen von seiner Drogensucht loskommen, denn „der Appalachian Trail hat keine Gosse“. Den Trail erlebt Taz als neue Art von Rausch: „Manchmal habe ich das Gefühl, völlig kaputt auf den Trail gekommen zu sein und durch ihn Schritt für Schritt wieder aufgebaut zu werden.“

Die arbeitslose Wissenschaftlerin Simone hofft gar auf einen „Wandel“, der „wie ein Vulkanausbruch sein (wird), dessen Glut ihre Gene so schmelzen lässt, dass sie nach deren Erkalten eine völlig andere Person ist.“ Simone hätte einen solchen Wandel auch dringend nötig, wird sie doch vom Drang beherrscht, Menschen von Brücken oder anderen Höhen hinunterzustoßen. Es braucht nur ein erstes Picknick mit ihrem mitwandernden Verlobten auf einer Klippe, und Simone vertritt wieder ihre fatalistische Theorie von einem in ihrer DNA verwobenen „Mord-Gen“.

Der US-Autor T. J. Forrester ist selbst ein „Thru-Hiker“, einer, der den ganzen Appalachian Trail gelaufen ist; vor dem Schreiben hat er laut Klappentext unter anderem als Fischer und Fensterputzer gejobbt. Mit 230 Seiten gleicht sein Debütroman freilich eher einer aufregenden Tagesetappe als einem strapaziösen Fernwanderweg. Für Liebhaber von Naturbeschreibungen bietet „Kings of Nowhere“ jedoch außer einigen Hemlocktannen und Regenbogenforellen nur wenig; es sind die Figuren, die im Mittelpunkt des philosophisch angehauchten Romans stehen, der „denjenigen gewidmet [ist], die glauben, die Kraft zu besitzen, ihr Leben zu ändern“. Das Motto muss man nach der Lektüre fast schon als zynisch bezeichnen: Mit humorvoll-spiritueller Sinnsuche à la Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ oder Bill Brysons „A Walk in the Woods“ hat Forresters Roman nur wenig zu tun, dafür umso mehr mit der Southern Gothic eines Cormac McCarthy, nicht zuletzt in seiner sprachlichen Drastik.

Wer auf Forresters Appalachian Trail stets den weißen Markierungen folgt, läuft nicht weniger Gefahr, sein Leben zu verlieren, wie jene, die lieber Nebenpfade gehen. Als solche könnte man auch die zwischengeschalteten Kapitel bezeichnen, die von Menschen erzählen, die am Rand des Trails leben und deren anrührende Schicksale lose mit jenen der drei Protagonisten verknüpft sind. Schon in der zweiten Woche finden Taz, der inzwischen den Trailnamen Tazmanian Devil trägt, und Richard alias Red Bear unterhalb eines Aussichtspunkts einen älteren Wanderer in einem Baum hängen, ein Unfall, wie es scheint. Später hören die Hiker von einem verschwundenen Mädchen in Virginia, in New Hampshire wird die zerschmetterte Leiche einer alten Frau gefunden, und in Connecticut sucht die State Police einen verschollenen Pfadfinder.

Doch ist „Kings of Nowhere“ kein Whodunit-Krimi: Anders als Taz und Richard weiß der Leser früh, dass sich zu den üblichen Gefahren des Trails wie Bären, Schlangen oder tückischem Wurzelwerk in dieser Saison noch ein weiblicher Serienkiller gesellt hat. Bald teilt Taz mit Simone, die sich hier „Never Lost“ nennt, sogar das Zelt – und muss sich von ihr weissagen lassen, dass er nach dem Trail doch wieder rückfällig werden wird.  Und wirklich wartet auf Forresters weltlichen Pilger Taz auf dem Mount Katahdin kein Wandel und schon gar kein Sündenablass. Wohl aber die Einsicht in die moralische Formlosigkeit des Menschen, seine Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen.

Titelbild

T.J. Forrester: Kings of Nowhere. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Teja Schwaner.
Aufbau Verlag, Berlin 2013.
236 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783351050054

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