Ein Jahrhundert kroatische (Familien-)Geschichte

Alida Bremer unternimmt in ihrem Roman „Olivas Garten“ eine kulinarisch-literarische Bildungsreise

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die in Münster lebende Alida Bremer fördert seit langem durch Übersetzungen, Anthologien und als Kuratorin die kroatische Kultur in Deutschland. Mit dem Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung begab sie sich 2008-2009 auf eine Reise in ihre familiäre Vergangenheit, der sie 2013 ihren ersten Roman widmet.

Die Erzählerin Alida, die mit ihrem deutschen Mann in Münster lebt, bekommt per Brief mitgeteilt, dass sie einen Olivenhain ihrer Großmutter Oliva erbt. Weniger das vermutlich wertlose Grundstück als die Sehnsucht nach dem heimatlichen Mittelmeer und der Familiengeschichte lassen Alida aufbrechen. Neben den Beschreibungen endloser Behördengänge und Einblicken in den bürokratischen Wirrwarr bei Besitzansprüchen lässt die Erzählerin ihre Verwandten zu Wort kommen, um ihre Erinnerungen aufzuschreiben und dadurch „einen Weg zurück [zu] finden“. Die 1920er-Jahre und die Zeit des Zweiten Weltkriegs wechseln sich von Kapitel zu Kapitel mit aktuellen Erlebnissen ab. Abgerundet werden sie von kurzen, olivgrün hervorgehobenen, romantisierenden Exkursen aus dem Alltag der Großmutter Oliva.

Der Roman erstreckt sich über sechs Generationen, deren Lebensschicksale zu verschiedenen Zeiten auf unterschiedliche Weise direkt oder indirekt erzählt werden, weshalb der Familienstammbaum auf den Innenseiten der Buchdeckel beim Lesen eine willkommene Orientierungshilfe bietet. Im Mittelpunkt stehen die Frauen der Familie, die sich an der zunächst noch kärglich armen Adria während der politischen Umbrüche und kriegerischen Auseinandersetzungen mit oder ohne ihre Männer durchschlagen. Zur Goldgrube des Tourismus entwickelte sich die kroatische Küste erst sehr viel später. Der Weg vom Königreich zum Jugoslawien Titos, die faschistischen und kommunistischen Strömungen und ihre Folgen für die einfachen Menschen, werden durch die Lebensläufe und Erfahrungen der Protagonistinnen lebendig. Bremer erzählt aber auch liebevoll detailliert von der neuzeitlichen Migrationserfahrung ihres Alter Ego, ihrem Leben zwischen den Kulturen.

In den 1920er-Jahren war die Familie in den damals wirtschaftlich attraktiven Norden des Landes, nach Slawonien, übergesiedelt und wenig später aus Heimweh an die Adria zurückgekehrt. Auch die Erzählerin spürt, hört, riecht und schmeckt bei ihrer Rückkehr aus Deutschland zu den mediterranen Wurzeln, was ihr die Heimat bedeutet. Die familiären Weisheiten sind unerschütterlich und die kulinarischen Spezialitäten, wenigstens aus Sicht ihres Vaters, lebensnotwendig. Die Autorin macht Appetit auf das freundliche, warme, schmackhafte Leben auf dem Balkan, ohne die Vorzüge der Wahlheimat Deutschland (Ärzte, Strandkörbe, Zeitungsabonnements) zu vergessen. Alidas deutscher Mann träumt durch die Erbschaft vom Lebensabend als Olivenbauer und ermutigt seine Frau, sich auf die Reise zu machen, während die Erzählerin selbst von Tag zu Tag mehr Bindung zu ihrer Familie und Herkunft verspürt.

Alida Bremer schreibt wunderbar empathisch und nimmt den Leser schnell mit auf ihre Reise in die Vergangenheit. In ihrer Danksagung am Ende des Romans erfährt man fast schon zu ehrlich und genau, dass György Dalos sie auf die Idee mit der Olivenhain-Erbschaft als Rahmenerzählung ihrer Familiengeschichte brachte und wie viele Begebenheiten des Romans „voll und ganz“ stimmen. Die Verarbeitung der oral history „einer gewöhnlichen kroatischen Familie“ ist dank der einfühlsamen Fantasie, was die Gedanken nie oder kaum gekannter Verwandter betrifft, sehr gelungen. Bremer macht Geschichte durch die intensiven, sprachlich kunstvollen Beschreibungen ihrer Protagonistinnen und historischer Fakten greifbar. „Olivas Garten“ ist ein sehr persönlicher Roman zum Mitleiden und Mitgenießen, eine literarische Brise aus dem Süden Europas.

Titelbild

Alida Bremer: Olivas Garten. Roman.
Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2013.
320 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783847905363

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