Auf der Suche nach einem Bildkonzept

Anna Pawlak untersucht Pieter Bruegels d. Ä. „Trilogie der Gottessuche“

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Gemälde niederländischer Künstler wie Maarten van Heemskerck, Frans Floris, Maarten de Vos, Pieter Aertsen und Pieter Brueghel d.Ä. weisen einzigartige Bildlösungen auf, die auf Grund ihres unorthodoxen Umgangs mit den Darstellungstraditionen bis heute noch Rätsel aufgeben. Das trifft auch auf Bilder zu, die seit ihrer „Wiederentdeckung“ und Musealisierung als Hauptwerke der nordalpinen Kunst des 16. Jahrhunderts gelten, wie den „Sturz der gefallenen Engel“, den „Triumph des Todes“ und die „Dulle Griet“, drei Hauptwerke von Pieter Brueghel d.Ä., alle um das Jahr 1562 geschaffen.

Anna Pawlak untersucht in ihrer Arbeit „Trilogie der Gottessuche“, die aus einer Kölner Dissertation hervorgegangen ist, diese signifikanten Bilder, die sich in Brüssel (Musées royaux des Beaux-Arts), Madrid (Museo Nacional de Prado) und Antwerpen (Museum Mayer van den Bergh) befinden, und weist nach, dass die drei Tafeln als eine Trilogie zu fassen sind, die sich mit dem Thema der Laster, den Wegen der Erlösung und dem Komplex der unsichtbaren Präsenz beziehungsweise der Abwesenheit Gottes auseinandersetzt. Neben den formalen Übereinstimmungen (Maße, Datierung, Kompositionsaufbau, Stil) stellt die Verfasserin vor allem die gemeinsame moraltheologische Grundlage der Bilder fest und erörtert den historisch-kulturellen Kontext der Entstehung. Das ikonografische Programm der Bilder, ausgerichtet auf die Entstehung, Verbreitung und Bestrafung der Sünde beziehungsweise der unzureichenden Selbst- und Gotteserkenntnis, wird von ihr in den Komplex einer visuellen theologia moralis eingebettet.

Mit dem „Paradox als Bildform“ hat sich schon Jürgen Müller in seinen Studien zur Ikonologie Pieter Bruegels (1999) beschäftigt. Es stellt auch das tragende Charakteristikum der drei von Anna Pawlak untersuchten Werke dar. Der „Triumph des Todes“ soll nicht nur als eine gemalte „Enzyklopädie des Todes“, sondern als „gelehrter Lesebogen“ verstanden werden, denn die endzeitliche Bestrafung der sündhaften Menschheit erfolgt hier durch die Menschen selbst. Das Zeit-Raum-Paradox des „Engelssturzes“ wird durch den scheinbar unlösbaren Kreis des Sterbens, Auferstehens und erneuten Tötens erweitert. „Dulle Griet“ (Tolle Grete) wiederum stellt einen Höllenraub dar, der im Stadium eines fortgeschrittenen Kampfes zwischen Frauen und Höllenbewohnern ausgefochten wird. Die mit Beutegut beladene Figur der Griet scheint auf der Suche nach dem Höllenausgang das Leviathan-Maul immer wieder aufs Neue zu betreten, wodurch sich ihr Raub kontinuierlich wiederholt. Damit gleicht die scheinbare Macht des Weibes, den Teufel zu überwinden, der Ohnmacht der in der Hauptfigur der Griet verkörperten Sünde, die nicht imstande ist, das brennende Inferno zu verlassen.

So stellen alle drei Bilder auf verschiedene Weise die Sünden, ihre Exempel und ihre Bestrafung dar. Die Autorin vergleicht die Werke der Trilogie mit Hieronymus Boschs „Heuwagen“-Triptychon und kommt zu dem Schluss, dass Bruegel Boschs lineare Zeit-Raum-Abfolge durch die Paradoxe des „Immer-Wiederkehrenden“ beziehungsweise des „Nicht-Erlösbaren“ ersetzt hat.

Erst 1894 wurde der „Sturz der gefallenen Engel“ Bruegel d.Ä. – und nicht mehr Bosch – zugeschrieben und hat seither völlig gegensätzliche Deutungen erfahren. Die alttestamentlichen Berichte über Luzifers Sturz waren in der Apokalypse und ihrer Exegese um ein wesentliches Element erweitert worden: Es ist nunmehr von mehreren gefallenen Engeln die Rede. Der Erzengel Michael fungiert als Drachenbezwinger und defensor fidei im Kampf gegen das vielgestaltige Böse. Bruegel d.Ä. vermischt in seinem Bild den Ursturz und den apokalyptischen Fall des Bösen miteinander: Engelsfiguren, eine göttliche und harmonische Gemeinschaft bildend, befinden sich im Kampf mit den das Chaos verkörpernden Ungeheuern – das wird auch durch eine subtil ausgewählte Farbigkeit unterstrichen, der hier eine symbolische Funktion zukommt. Der Gegensatz zwischen den ordnungslosen Gebärden der Ungeheuer – Ausdruck der Verzweiflung und Machtlosigkeit –, und dem siegesgewissen Auftreten der himmlischen Heerscharen lässt keinen Zweifel am Ausgang des kosmischen Streits zu. Das Brüsseler Werk wirkt – so die Autorin – wie ein festgehaltener Augenblick eines endlosen, weder zeitlich noch räumlich bestimmbaren Kampfes zwischen dem beständigen, unwandelbaren Guten und dem der Metamorphose unterworfenen, vielgestaltigen Bösen. Der leuchtende „Halbkreis“ am oberen Bildrand stellt eine besondere Art der Gotteserscheinung dar, der geistigen, aber nicht sichtbaren Anwesenheit Gottes. Das Paradigma des ewigen Kampfes hat sich hier in eine offene Bildstruktur eingeschrieben.

Das Madrider Bild „Der Triumph des Todes“, das Motive unterschiedlicher Text- und Bildtradition enthält, kulminiert in der absoluten Übermacht und Omnipräsenz des Todes. Auf drei Bedeutungsebenen spielt sich diese globale Konfrontation des Lebens mit dem Tod ab: Der Vordergrund schildert den Raum des individuellen Todes (hier werden die Menschen gejagt, gefoltert, geköpft, ertränkt, ihnen wird die Kehle durchgeschnitten), der Mittelgrund ist dem namenlosen Massenschicksal vorbehalten (die noch Lebenden werden in einen Riesensarg getrieben, und wer davor zu fliehen versucht, landet in dem geöffneten Höllenschlund) und der Hintergrund gibt die totale Vernichtung in einer Totenlandschaft wieder. Das Panorama des Theatrum Mundi wird über die Grenzen des fiktiven Raumes hinaus zum Träger der universellen Idee des Sterbens. Die Abwesenheit Gottes macht das Madrider Tafelbild zu einem „Gericht ohne Richter“, einer „Form profaner Apokalypse“. Hier wird die Selbstbestrafung der Menschheit vorgeführt. Denn die Menschheit kämpft nicht nur gegen den personifizierten Tod, die Untoten oder ihre dämonischen Gehilfen, sondern gegen sich selbst und wird somit zum eigenen Richter.

Ist die „Dulle Griet“ ein Panoptikum an volkstümlichen Gedanken oder gleichnisartiges Sinnbild? Die von Bruegel visuell umgesetzte Idee verbindet das humanistische Gedankengut mit dem Volksglauben derart komplex, dass bis heute die Gesamtaussage des Bildes ungeklärt geblieben ist. Anna Pawlak fragt nach dem von Bruegel erfundenen Motiv des Höllenraubs und seinem kulturellen Kontext. In der künstlerischen Verbindung aus „Aberglaube“ und „klassischer“ Bildung sieht sie das Hauptproblem der Forschung. Als „Ironie des Schreckens“ hat sie ihre Interpretation der „Dullen Griet“ überschrieben. Grete, die „Höllenbezwingerin“, erscheint in ihrer eigenwilligen „Rüstung“ wie ein groteskes Abbild eines Ritterideals. Sie stürmt mit ihrem gerade erbeuteten Diebesgut auf das in fassungslosem Staunen geöffnete Leviathan-Maul, die Höllenpforte, zu. Ihr assistieren zornentbrannte Weiber, gleichsam kleinere „Grieties“ – sie wirken in der Tat wie eine sich ständig wiederholende Reminiszenz der Hauptfigur –, die in wilder Gier und Habsucht alles auf ihrem Weg niederschlagen und berauben. Ihnen gegenüber bereitet sich eine mit Haken, Lanzen und Schilden ausgerüstete Armee von Ungeheuern und Monstern vor, die aus allen Winkeln der brennenden Höllenlandschaft hervorgekrochen kommt. Die „Dulle Griet“ kann als „ein eschatologisches Fragment – eine bildliche Jenseitsvorstellung – angesehen werden, bei dem paradoxerweise eine Bezwingung der Hölle thematisiert wird, die sich durch den geschlossenen Handlungsraum der Komposition ununterbrochen kreisförmig zu wiederholen scheint und dadurch letztlich auf die Unmöglichkeit der Weitererzählung verweist“.

Die Dulle Griet war als Hauptfigur in Schwänken und Farcen bekannt, sie verkörperte fast immer einen Hausdrachen, eine Megäre, eine Xanthippe. Bruegel hat sowohl das seit der Antike geläufige Thema eines Abstiegs in die Unterwelt wie dessen christliche Umdeutung zum Sieg Christi über den gefallenen Engel und die Hölle, aber auch volkstümliche Vorstellungen von der Dullen Griet in der Frühen Neuzeit als Handlungsgrundlage seines Werkes genutzt. Die Hauptfigur wird als Travestie der Hl. Margareta gedeutet, die die Macht besitzt, den Teufel zu bezwingen. Das Schlachtenbild mit den wild raubenden Weibern – Kochgeräte und Geschirr bilden ihre Hauptbeute – erscheint wie eine Karikatur der erhabenen Kriegsführung. Die Hölle als Ort der Verdammnis, der ewigen Bestrafung der Sünde, wird hier selbst zum Opfer des Geizes, Zorns und Hochmuts. Das Thema der „Verkehrten Welt“ wird also in „Dulle Griet“ mittels einer „Rhetorik der Satire“ auf ein theologisches Höllendogma angewendet. Deshalb kann nicht nur die Hauptfigur als Travestie bezeichnet werden, sondern die ganze Erzählung als Umkehrung des christlichen Verständnisses von Strafe und Erlösung. Das bildlich vorgeführte Paradox zielt dabei auf eine didaktische Belehrung, eine Zurschaustellung und Anprangerung der menschlichen Laster. Die Hölle als Inbegriff der ewigen Abwesenheit Gottes bleibt bei Bruegel das Reich der Sünde. Doch die menschlichen Laster sind bösartiger als der Ort der Verdammnis selbst, da sie den Menschen von Gott entfernen. Hinter dem sich fortdauernd wiederholenden Raub materieller Güter beziehungsweise der Unmöglichkeit der Weitererzählung steht letztlich die „Ohnmacht“ der Sünde, welche trotz der Macht des Weibes, die Hölle zu überwinden, die Hölle nicht verlassen kann.

Die vorliegende Arbeit scheint tatsächlich einen Deutungsschlüssel entwickelt zu haben, der nicht nur für die „Trilogie der Gottessuche“, sondern auch für andere Werke Bruegels in Anspruch genommen werden kann. Der geistesgeschichtliche „Umweg“ der Verfasserin ist insofern nötig gewesen, als für die kunsthistorische Praxis immer die Gefahr besteht, in einen ikonografisch-positivistischen Zugang zu verfallen, der es nicht erlaubt, einen zureichenden Begriff der Bildargumentation zu entwickeln. In Bruegels Bildrhetorik sind die bedeutsamen Motive derart miniaturisiert und in den Hintergrund gerückt, dass sie erst im Laufe der Bildbetrachtung entdeckt werden können. Die Fülle und unterschiedliche Kombination der Themen und Motive eröffnen verschiedene Deutungsmöglichkeiten, sie erschweren zugleich die Lesbarkeit seiner Kompositionen. Denn Bruegel weiß den Betrachter in die Irre zu führen, indem er gängige ikonografische Schemata umdeutet. Seine Erzählstrategie läuft auf eine ironische Verkehrung des zunächst Gesehenen, der vermeintlich positiven Identität einzelner Bildfiguren hinaus.

Kein Bild

Anna Pawlak: Trilogie der Gottessuche. Pieter Bruegels d. Ä. Sturz der gefallenen Engel, Triumph des Todes und Dulle Griet.
Gebr. Mann Verlag, Berlin 2011.
252 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-13: 9783786126539

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch