Postmoderne Pioniere?

David Draut beleuchtet die ostdeutsche Science Fiction am Beispiel der Werke von Angela und Karlheinz Steinmüller

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Zukunft zugewandt war die DDR allenfalls in der Science Fiction. Ansonsten hielt sie es eher mit der Vergangenheit und hing einer Heilslehre des 19. Jahrhunderts nach – oder tat doch zumindest so. Die Science-Fiction-Szene war den Herrschenden des realexistierenden Sozialismus zwar nicht unverdächtig, doch auch östlich des Eisernen Vorhangs durchaus lebendig. Selbst eine in beiden deutschen Staaten so angesehene Autorin wie Christa Wolf verfasste mit „Selbstversuch“ eine dem Genre zuzurechnende Kurzgeschichte. Geprägt wurde die Science-Fiction-Szene der DDR nicht zuletzt von den Ehepaaren Johanna und Günter Braun sowie Angela und Karlheinz Steinmüller.

Dem Œuvre letzterer hat der Literaturwissenschaftler David Draut seine Doktorarbeit gewidmet. Sie trägt den Titel „Zwiespältige Zukunftsvisionen“. Nachdem der Autor beklagt hat, dass andere Dissertationen zur Science Fiction der DDR „noch so manche Wünsche unerfüllt“ lassen, begründet er die Auswahl seines speziellen Quellenkorpus mit „Faktoren wie der Verbreitung, der Popularität, der literarischen Qualität, dem Facettenreichtum und natürlich der thematischen Persistenz“ der gemeinschaftlichen Science-Fiction-Werke von Angela und Karlheinz Steinmüller. Hinzu komme, „dass aus ästhetischer Sicht die Texte eine erstaunliche Qualität aufweisen, was in der DDR-SF nicht üblich ist“. Die zentrale These seiner Arbeit wiederum besagt, dass das Ehepaar bereits Ende der 1970er-Jahre „postmoderne Texte“ veröffentlich habe und die Steinmüllers somit „in gewisser Weise als Pioniere“ gelten können, was sie für seine Arbeit „noch interessanter“ mache. Die 1979 erschienene Erzählung „Zerdopplung“ sei „wohl die erste ostdeutsche postmoderne SF-Erzählung“ überhaupt gewesen.

Drauts Analysen stellen die „Opposition von /Natur/ und /Kultur/ (bzw. /Technik/)“ in den Mittelpunkt, denn sie bildet seiner Ansicht nach die „zentrale Thematik“ in den Werken des AutorInnenduos. Bei diesem Befund handelt es sich keineswegs um eine bloße Meinung oder gar eine steile These, weiß Draut sich doch in Übereinstimmung mit „der eigenen Einschätzung der Leitmotive seitens der Autoren selbst“. Dennoch betont er, „anhand der Erzählungen und Romane“ solle „bewiesen werden, dass diese Grundopposition so zentral in den Werken verankert“ sei, wie es ihm zunächst erschienen sei.

Doch begnügt er sich nicht damit, diesen Nachweis zu führen, sondern strebt darüber hinaus an, zu „zeigen wie bei den Steinmüllers die Gattungen Science Fiction und Utopie (bzw. Dystopie) miteinander eine Symbiose eingehen“, und „anhand der doppelten Einbettung in die Gattungstraditionen der Science Fiction und der Utopie nach[zu]weisen, dass das Ehepaar Steinmüller progressiv eine typisch ostdeutsche Variante der postmodernen Science Fiction entwickelt“. Ein weiteres Vorhaben Drauts zielt darauf, intertextuelle Bezüge aufzuzeigen, und anhand von Ursula K. Le Guins „berühmten Romanen“ „The Dispossessed“ und „The Left Hand Of Darkness“ zu erörtern, „inwiefern die Werke des Ehepaars Steinmüller sich auf ausländische Vorbilder beziehen“. Barbara Holland-Cunz’ Monografie „Die Utopien der Frauenbewegung“ zieht er hierzu nicht zurate. Dabei hätte sie sowohl bei der Interpretation von Ursula K. Le Guins „The Dispossessed“ wie auch bei der Theoretisierung ambiger Utopien hilfreich sein können.

Bevor Draut auf die Werke der Steinmüllers eingeht, grenzt er die Science Fiction von verwandten Gattungen ab und bietet einen recht umfangreichen Abriss der Entwicklung der DDR-Science-Fiction. Letzterem folgt eine „kurze Geschichte des Natur-Kultur-Dualismus“, in der er neben dem Brockhaus gerne das Online-Nachschlagewerk Wikipedia als autoritative Quelle anführt. So verweist er etwa auf den Wikipedia-Artikel „Schimpansen“, um seine These zu validieren, dass es „dank der Gentechnik möglich“ sei, „Tiere zu erschaffen“. Der Wikipedia-Artikel „Autopoiesis“ wird in seiner Fassung von 6.11.2008 gar über 20 Druckzeilen hinweg zitiert, um „die Merkmale autopoietischer Systeme“ vorzustellen. Neben den beiden genannten beruft er sich insgesamt noch auf ein weiteres halbes Dutzend Artikel aus dem Laien-Lexikon. Eine sich als wissenschaftlich verstehende Arbeit sollte doch eher auf wissenschaftliche Texte rekurrieren, um die eigenen Thesen zu untermauern.

Auch reicht ein „Gefühl“ schwerlich hin, die Analysekriterien einer Arbeit überzeugend zu begründen. Doch der Autor rechtfertigt seine „Vermischung von strukturalen, transtextuellen und sozialgeschichtlichen Ansätzen“ damit, dass er „nicht das Gefühl“ hat, die Anwendung „ausschließlich einer Analysemethode“ werde „den behandelten Texten gerecht“.

Ungeachtet solcher Mängel hat sich Draut gründlich in das Science-Fiction-Œuvre der Steinmüllers eingearbeitet. Dies gilt namentlich für die Romane. Zudem kann sich seine – nicht sehr gewagte – These, der Dualismus „/Natur/ vs /Kultur/“ spiele eine prominente Rolle in den untersuchten Werken, auf eine persönliches Interview mit dem AutorInnenpaar sowie auf eine Mail berufen, in der sie eben diese Annahme bestätigen. Seine Interpretation, die beiden AutorInnen hätten bis zum Ende der 1970er-Jahre zur postmodernen Literatur gefunden, wird hingegen wohl kaum auf ungeteilte Zustimmung stoßen.

Titelbild

David Draut: Zwiespältige Zukunftsvisionen. Das Autorenpaar Steinmüller und die ostdeutsche utopische Science Fiction.
Tectum Verlag, Marburg 2014.
338 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783828833371

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