Schöpfung aus der inneren Wirklichkeit

Søren R. Fauth stellt im Rahmen des Poet in Residence-‚Spezial' sein lyrisches Leporello „Universet er slidt“ vor

Von Yvette RodeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Yvette Rode

„Das [Schreiben] ist für mich ein Spielplatz, wo ich ganz wilde Dinge machen kann, die ich sonst nicht machen kann. Ich [habe] das Gefühl, dass ich mich hinter der Kunst auch verstecken kann. Dass ich etwas sagen kann, was ich sagen möchte.“ Darum schreibt Søren R. Fauth Lyrik, wie er den Studierenden und Dozierenden im Gespräch mit Rolf Parr, Professor für Literaturwissenschaft und Leiter des Masterstudiengangs „Literatur und Medienpraxis (LuM)“, erklärte. Fauth ist – wie die meisten der fünf Lyriker und sechs Moderatoren – ein „Grenzgänger zwischen Universität und Kreativität“. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Professor für deutsche Literatur an der Universität Aarhus (Dänemark) und seiner Arbeit als Übersetzer (etwa der Werke Thomas Bernhards und Arthur Schopenhauers) ist er Radrennfahrer und schreibt seit seiner Jugend Lyrik, Kurzprosa und fiktive Briefe, etwa „Radrennfahrerbriefe“ oder solche von Schopenhauer an Goethe, im Dänisch des 21. Jahrhunderts.

Im Dezember 2013 erschien in seiner Heimat Dänemark sein erstes Buch, das im dänischen Feuilleton vielfach rezipiert wurde. Das Langgedicht Universet er slidt ist als Leporello publiziert – also als Faltbuch, das aus einem langen, ziehharmonikaartig zusammengelegten Papierstreifen besteht. Aufgefaltet umfasst Universet er slidt eine Länge von insgesamt 13,5 Metern. Beim Poet in Residence-‚Spezial’: Zwischenspiel Lyrik stellte Fauth sein Leporello vor und sprach mit Parr über den Entstehungsprozess, über inhaltliche und formale Besonderheiten des Langgedichts und die Schwierigkeiten seiner Übersetzung vom Dänischen ins Deutsche.

Bereits 2011 hat Fauth mit dem Langgedicht begonnen und eine Rohfassung von 100 Seiten dem Verleger Klaus Gjørup gezeigt, einem Literaturfanatiker, der in einer Molkerei arbeitet, um Bücher machen zu können. Gjørup war vom ersten Augenblick an begeistert von dem Langgedicht und schlug Fauth vor, ein Leporello daraus zu machen. Daraufhin habe Gjørup ihm „den Text aus der Hand genommen und angefangen daran herum zu basteln“, was laut Fauth sehr anregend gewesen sei, weil er hierdurch eine immer konkretere Vorstellung davon bekommen habe, wie die endgültige Version aussehen werde. Eine Freude sei es gewesen, dem Grafiker Lars Hedegaard bei der Arbeit zuzusehen; ein Aquagramm von Jens E. Hansen ziert den Titel des wunderschönen querformatigen Buches.

Eine besondere Auffälligkeit an Universet er slidt ist seine graphische Anordnung, da der Text in drei Spalten aufgeteilt ist, die auf den 48 Seiten unterschiedliche Formen annehmen können. Durch die Verräumlichung des Textes haben die Rezipient*innen nach Auffassung des Autors die Möglichkeit, das Gedicht „quer zu lesen“, wodurch es weitere Bedeutungsdimensionen erhalte: „Ich mag das,“ sagt Fauth, „dass das beliebig stattfinden kann im Kopf des Lesers“. Viele junge dänische Lyriker und Lyrikerinnen haben – so Fauth – „eine klare Vorstellung davon, was man nicht machen darf.“ Er hingegen stehe zur ‚altmodischen’ Tradition etwa von Inger Christensen oder Søren Ulrik Thomsen.

„Ich mache nichts, was mir nichts bedeuten würde“, erklärt Fauth dem Publikum. Aus diesem Grund handele es sich bei Universet er slidt um ein „sehr persönliches Gedicht“, in dem er Situationen aus seinem Leben, wie beispielsweise seine Kindheit, aus seiner Sichtweise beschreibt. Einigen Stellen seien daher pathetisch, aber – so Fauth – „ohne Pathos geht es nicht“. Auch Einflüsse von Arthur Schopenhauer, Søren Kierkegaard und Wilhelm Raabe, mit denen er sich als Wissenschaftler unter anderem in seiner Habilitation intensiv auseinandergesetzt hat, sind zu finden, da sie für ihn und sein Leben „so wichtig“ seien, „dass sie in diesem sehr persönlichen Text vorkommen müssen“. So hat beispielsweise auch Wilhelm Raabes Figur der Doris Radebrecker einen Auftritt in Fauths Gedicht.

Die positive Resonanz im dänischen Feuilleton hat den Autor dazu bewogen, Universet er slidt gemeinsam mit dem Übersetzer Hannes Langendörfer ins Deutsche zu übertragen. Dies sei allerdings nicht so einfach, wie Fauth erklärt. Für ihn sei es nahezu „gruselig“ gewesen, den deutschen Text zum ersten Mal zu sehen, da er – wie bereits beim Schreiben – das Gefühl hatte, als stehe er „nackt vor sich selbst“. Aus diesem Grund habe er auch ein Problem damit, seinen Text „aus der Hand“ zu geben; dennoch sei er glücklich, dass es das Buch jetzt gibt, da er nun nicht mehr eingreifen kann – wenngleich das Langgedicht als geistiges Produkt selbst nie zu einem Ende kommen kann und immer „eine offene Wunde bleiben“ muss. Der vorläufige deutsche Titel lautet Das Weltgewebe ist abgewetzt. Um dem Publikum einen Einblick in Universet er slidt zu geben, las Fauth Passagen aus der dänischen Fassung sowie der deutschen Übersetzung im Wechsel vor; ein wenig unsicher – oder doch kokett? – sagt er entschuldigend: „Ich weiß nicht, wie ich auf deutsch den Ton treffen soll, ob das wirklich der Text ist.“ Vor der ersten Lesung schaut er ins Publikum und fragte: „Er i klar?“ Seid Ihr bereit? Und schon beim zweiten Mal nicken alle erwartungsvoll und haben nebenbei ein bisschen Dänisch gelernt.

Außergewöhnlich ist die zugleich hochreflektierte und musikalische, tastende, von Wiederholung und Variation lebende, mal sinnlich konkrete, mal hochgradig metaphorische Sprache: „Als wären die Dinge so lange angeschaut / dass ihrer Oberfläche Stoff verbraucht wäre / von der Absorption des Auges“, „Spüren und Spüren“, „Sehen und sehen“, „Hören und Hören“, „Ein mörderisches Mästen lichtloser Leichenzüge“, „die Flügel zersplittern, das Licht hält den Atem an“, „Raub des göttlichen Feuers“, „es steigt wieder Rauch auf im Maschinenraum der Sprache“, „jetzt zittere ich im Bett angesichts der Wirklichkeit, die mir blüht“, „Was gibt es heute Abend? / Reste der Zeit von gestern.“

Die Entscheidung, Fauth als Gast zum poet in residence-Spezial einzuladen, ermöglichte einen Vorgeschmack auf die deutsche Übersetzung seines Langgedichts. Zudem gewann der Autor seine Zuhörer*innen durch seine emphatische und humorvolle Art, berichtete offen von seinen Zweifeln während des Schreibprozesses, von seinem „Rucksack Schopenhauer“, den er einfach nicht loswerde, und von der Poesie, die „nicht etwas ist, wozu man kommt, sondern etwas, das da ist.“ Schopenhauer und Lyrik – beide sind für Fauth Wege, „der Wahrheit nahe zu kommen“, auf der fortwährenden „Suche nach Antworten“, beide „Versuche, diese verdammte Existenz in den Griff zu kriegen.“

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen