In weiter Ferne so nah

Michael Rölcke hat eine Bildmonographie über den schottischen Dichter Robert Louis Stevenson vorgelegt

Von Michael EschmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Eschmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Robert Louis Stevenson teilt das Schicksal vieler Literaten. Sein Name sagt heutigen Generationen nicht mehr viel, lediglich zwei seiner zahlreichen Bücher, „Die Schatzinsel“ und die Geschichte einer multiplen Persönlichkeit, „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, sind im Gedächtnis geblieben. Beide jedoch, ein Jugendbuch und eine Schauergeschichte (so nannte man dies früher), sind allerdings kein idealer Einstieg in ein literarisches Werk, das von einer abenteuerlichen Phantasie und Erzählkunst geradezu strotzt. Eine plastische Sprache und seltsame Geschehnisse – oft in einer Mischung von Seefahrer-Träumereien und einem bisschen Horror – führten dazu, dass man den Autor schnell in die Schublade der Trivialliteratur einordnete. Hierfür aber war er wiederum viel zu ausgefeilt, zu psychologisch, letztendlich zu gut.

Sein Platz ist zwischen Joseph Conrad und Edgar Allan Poe. Wer je ein Buch von ihm gelesen hat, wird schnell von einer suggestiven Stimmung gefangen genommen werden, die man gerne mit dem Etikett „Leseerlebnis“ bezeichnet. Eine emotionale Bindung beim Lesen, eine Verzauberung des Lesers durch einen Text findet statt, ein einzigartiges Abtauchen in die Welt der unendlichen Phantasie beginnt.

In der Erzählung „Ein Dach über dem Kopf“, über den französischen Dichter Francois Villon, reist der Leser mit dem Erzähler durch die eiskalte Nacht des November 1456. In Paris hört man authentisch das Knirschen des gefrorenen Schnees, spürt Villons Ängste und Zweifel und empfindet Freude über die Wärme des Kamins im Wirtshaus. Hier offenbart sich ein großes Talent: Stevenson verwandelt Bilder in Worte und durchs Lesen verwandeln sich Worte erneut in Bilder zurück. Eine Prosa, die farbige Stimmungen zeichnet, zwischen Abenteuer, Fernweh und Romantik. Die Landschaften, in denen diese Sehnsüchte spielen, liegen zwischen Schottland und der Südsee.

In Edinburgh ist er aufgewachsen, Jurist hätte er werden sollen. In der Südsee, genauer auf Westsamoa, ist er verstorben. Mit dem Lieblingsdichter Villon verband ihn eine ständige Flucht, ein Umherziehen, ein Vagabundendasein. Ein Auslöser für diese Unruhe war der strenge calvinistische Vater. Trotz aller Streitigkeiten blieb zwischen beiden eine lebenslange, emotionale Verbundenheit. Die vorliegende Bildmonographie von Michael Rölcke, studierter Germanist, freier Autor und Lektor, hat dies bewundernswert dokumentiert und sicherlich auch ganz im Sinne des Schriftstellers umgesetzt. Ein schönes Buch voller ungewöhnlicher Bilder ist entstanden. Hier finden Bild und Text eine ideale Ergänzung. Nichts liest sich langweilig, vieles gibt einen interessanten Einblick in die Psyche eines Mannes wieder, zu dessen Eigenarten auch ein auffallender Hang zur Verwandlung, zur Kostümierung gehörte. Der Leser bekommt Appetit – ermutigt durch den listigen Blick des Erzählers auf dem Einband – sich mit ihm näher zu beschäftigen. Seine Erzählungen sind hierzu eine gute Möglichkeit. Der damaligen Volkskrankheit Tuberkulose konnte er nicht entfliehen. Das Klima der Südsee sollte Linderung eines Leidens bringen, von dem es im 19. Jahrhundert noch keine Heilung gab. Vor einem Siechtum fürchtete er sich. Umso überraschender kam der Tod am 3. Dezember 1894. Die letzten Worte waren: „Was ist das! – Sehe ich nicht merkwürdig aus?“. Man stellte eine Hirnblutung als Todesursache fest. Er wurde nur 44 Jahre alt. Begraben ist er auf dem Gipfel des Vulkans Mount Vae auf Upolu in der Südsee.

Titelbild

Michael Rölcke: Robert Louis Stevenson.
Herausgegeben von Dieter Scholz.
Deutscher Kunstverlag, München 2014.
96 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783422072718

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