Kein ehrenwertes Haus

Evelyn Waugh seziert in dem Roman „Eine Handvoll Staub“ den Verfall einer Familie

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Neuedition von Evelyn Waughs Romanen ist nicht nur aufgrund der außergewöhnlichen Fähigkeiten dieses Autors zu begrüßen, der in seinen besten Büchern sozialkritische Anliegen in sarkastisch-geschliffene Formulierungen kleidet und auch das Gefühl (wiewohl gedämpft durch Understatement) nicht zu kurz kommen lässt. Auch aufgrund Waughs bevorzugter Themen scheint die Zeit reif, diesen Autor wieder bekannter zu machen und seine Texte einer neuen Lesergeneration ans Herz zu legen. Schließlich laborieren viele seiner Figuren – so auch Tony Last, der Protagonist in „Eine Handvoll Staub“ und Herr über das Anwesen Hetton – an einem veritablen Herrenhaus-Fetisch, und erleben sie als aus der Zeit gefallene Melancholiker, die den Idealen der alten Gentry verpflichtet sind, die Zwischenkriegszeit als historischen Limbus. Man muss nicht bereits „Brideshead“ bereist, das heißt Waughs 1945 entstandenes Meisterwerk gelesen haben, um sich zu ihm bekehren zu lassen – das anglophile Publikum, das seinen Tee wie auch seine britischen Stereotypen bittersüß liebt und das in letzter Zeit etwa der Aristokratensoap „Downton Abbey“ zu Quotenrekorden verholfen hat, dürfte sich auch anderswo in Waughs Universum bestens aufgehoben fühlen.

Auch in „Eine Handvoll Staub“ von 1934 gibt es viel zu entdecken, besonders an den zahlreichen Stellen, an denen Waugh vom stringenten Pfad der Erzählung abweicht und in Parenthesen und Einschüben sein Gespür für kleine Impressionen und witzig-bizarre Details aufblitzen lässt. Eine auf einen Sommer in Frankreich zurückblickende Erinnerungscollage; eine fulminante, kurze Episode in Westminster, die den Leser an parlamentarischen Verhandlungen über die Normierung der Bauchspeckschicht bei Schweinen teilhaben lässt; ein Dorfgeistlicher, der seine alten Predigten aus der Kolonialzeit recycelt; Waughs bitterböse, pointiert zugespitzte Schilderung des absonderlichen englischen Scheidungsrechts im frühen 20. Jahrhundert, das Ehemänner mit Prostituierten oder gar mit der eigenen kostümierten Ehefrau einen Ehebruch inszenieren ließ, um der juristischen Konvention Genüge zu tun – diese Passagen zählen zu den stärksten im Schaffen des Autors, wiewohl nur wenige von ihnen unabdingbar für den Plot des Romans sind.

Die angesprochene Scheidung betrifft in „Eine Handvoll Staub“ Tony Last und dessen Ehefrau Brenda, die seine Leidenschaft für die Bewahrung des Familienbesitzes nicht teilt und stattdessen ein selbstbestimmtes Leben in der Großstadt London herbeisehnt, allerdings einem arroganten Emporkömmling in die Arme fällt. Die zunächst schleichende und später in die offene Auseinandersetzung mündende Entfremdung des Paares erzählt Waugh nicht ohne Empathie, aber mit kühlem Blick und unverhohlenem Pessimismus, was den Roman häufig extrem im Ton schwanken lässt.

„Eine Handvoll Staub“ markiert durchaus programmatisch den Übergang von Waughs frühen, gewitzten Satiren auf die dekadente Oberschicht und seinen ernsteren, geradezu misanthropischen Werken, die auf seinen Übertritt zum Katholizismus folgen und von denen „Wiedersehen mit Brideshead“ das bekannteste sein dürfte. Der Trennstrich zwischen diesen beiden Schaffensphasen scheint direkt durch „Eine Handvoll Staub“ zu verlaufen, weshalb die unterschiedlichen Schattierungen des Buchs zum Teil kaum miteinander auszusöhnen sind. Waugh formuliert den ersten Teil in der Art eines Konversationsstückes von Noël Coward, in dem sich ein paar Snobs gegenseitig beim moralischen Verfall belauschen, sich einerseits durch ihre Anflüge von Exzentrik als lebensfremd entlarven und andererseits einander mit Boshaftigkeiten subtil bekriegen. Hier tragen die Figuren Namen wie „Lord Cockpurse“ und „Prinzessin Jenny Abdul Akbar“ und verfügen über gerade mal so viel soziales Bewusstsein, um ihre Dienstboten, Gärtner, Landarbeiter „und die komischen kleinen Leute“ auseinanderzuhalten, „die immerzu auftauchen, um die Uhren aufzuziehen, die Bücher zu fälschen und den Wassergraben zu säubern“. Nachdem in dieses dekadente kleine Paradies allerdings ein Schicksalsschlag einbricht, der das ohnehin schon voneinander distanzierte Ehepaar endgültig auseinanderreißt, steuert Waughs Geschichte auf ihr kaum zu erahnendes, bitteres Ende zu und führt im letzten Kapitel, in dem sich Tony einer Expedition in den brasilianischen Dschungel anschließt, eher ins Terrain von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“.

Pociao hat diesen nicht nur für Waugh-Komplettisten empfehlenswerten Roman mit feinem Gespür für den hintergründigen Witz und die pointierten Beschreibungen des Autors souverän ins Deutsche übersetzt. Ein wenig fragwürdig fällt allein das anscheinend aus der Kolonialherren-Zeit importierte Busch-Pidgin auf („Du mir Zigarette geben.“), das Pociao im Deutschen den Indigenen in den Mund legt, die Tony in Brasilien trifft, und die nicht einmal im englischen Original so drastisch nach „Ich Tarzan, du Jane“-Imperialismus klingen.

Das ambitionierte Projekt des Diogenes Verlags, Waughs Romane neu zu übersetzen und diesen Autor im deutschsprachigen Raum auch jenseits des „Brideshead“-Kults zu positionieren, dürfte neben Perlen der Erzählkunst auch einige marginale Titel auf den Markt bringen, was angesichts der ungebrochenen Produktivität Waughs im Verlauf von mehr als vier Jahrzehnten literarischer Tätigkeit unvermeidlich ist: Neben zahlreichen Kurzgeschichten, Reisebüchern und Memoiren hat Waugh fast 20 Romane verfasst, allerdings liegt der Bodensatz glücklicherweise noch in einiger Entfernung. „Lust und Laster“, die Neuübersetzung von Waughs rasanter Satire „Vile Bodies“, wird im Frühjahr erscheinen und hoffentlich mindestens so viel Zuspruch finden wie das vorliegende Buch.

Titelbild

Evelyn Waugh: Eine Handvoll Staub. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Pociao.
Diogenes Verlag, Zürich 2014.
343 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783257069136

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