Endlich clean

„Neunzig Tage“ ist Bill Cleggs Bericht über den Versuch eines drogenfreien Lebens

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel des Buches ist schnell erklärt. „Neunzig Tage“ sind die Frist, die erste zeitliche Hürde, die man bei einem Drogenentzug überstehen sollte. Drogenfrei für neunzig Tage ist auch die Herausforderung des Protagonisten. Dabei ist der Bericht von Bill Clegg weitgehend autobiographisch, zumindest lässt die Vita des Autors diesen Rückschluss zu. Dennoch geht sein literarisches Alter Ego auf eine Reise zu sich selbst und zu den eigenen Abgründen, als es sich der Tatsache stellen muss, dass sein Leben letztendlich in allen sozialen und gesellschaftlichen Bereichen komplett ruiniert ist. Der Job ist weg, das Geld ist weg und er hat Schulden. Die Freunde sind weg, die Beziehung ist kaputt gegangen und das Selbstwertgefühl ist nicht besonders hoch. Dazu kommt der Alkohol- und Drogenkonsum. Die Beschreibung der Ausgangssituation des Protagonisten macht die Austauschbarkeit der Komponenten deutlich: Es sind die bekannten Situationen, Argumentationen und Ausflüchte von Suchtkranken. Dabei ist es egal, ob Alkohol, Speed, Crack, Heroin, Kokain, Meth oder Sex – die Strukturen sind identisch.

Und genau hier liegen die Stärken von Cleggs Text, die man vielleicht erst auf den zweiten Blick erkennt. Er schildert die Wiederholung, die Alltäglichkeit der Rückfälle in die Sucht. Er schafft die literarische Gestaltung von Langeweile und Eintönigkeit – mit und ohne Drogenkonsum. Der Protagonist liefert sich mit seiner eigenen Psyche Duelle über den Nutzen und die Freuden seiner Drogenexzesse. Dabei kann Clegg sehr authentisch die Frustrationen und Rückschläge schildern, die mit dem Entzug verbunden sind. Und es wird deutlich, welche Risiken und Gefahren Personen ausgesetzt sind, die dem Süchtigen zu helfen versuchen. Cleggs Alter Ego kann auf Helfer zurückgreifen und nimmt die Unterstützung von Selbsthilfegruppen in Anspruch. Trotzdem fällt er immer wieder in die alten Suchtstrategien zurück.

Was passiert dann? Ein Schalter wird umgelegt. Es funktioniert nur so und man kann weder im Buch noch im wirklichen Leben sagen, warum dieser Schalter umgelegt wurde, warum ein Ausstieg aus der Sucht funktioniert. Die Entscheidung liegt beim Individuum. Und genau diesen seltsamen Vorgang macht Clegg transparent und verständlich. Letztendlich ist es ein Buch, welches das Unmögliche beschreibt. Clegg schafft es, ein indifferentes Gleichgewicht zwischen Empathie für die Hauptfigur und nervigem Drogenrückfälligen zu schildern. Und dabei wird die Multiperspektive von Clegg auf ein zermürbendes gesellschaftliches und individuelles Problem deutlich – ohne dass er in Larmoyanz oder Besserwisserei verfällt. Bill Clegg bringt das Problem „Droge“ in mehrfacher Hinsicht direkt auf den Punkt. Großes Kino!

Titelbild

Bill Clegg: Neunzig Tage. Eine Rückkehr ins Leben. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014.
208 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783100109491

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