Drama um den ‚Sonnenwirt‘

Gottfried Immanuel Wenzels „Verbrechen aus Infamie“ (1788) – eine Bühnenbearbeitung von Schillers „Verbrecher aus verlorener Ehre“

Von Nina BirknerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nina Birkner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter dem Titel Verbrecher aus Infamie publiziert Friedrich Schiller 1786 die ‚wahre Geschichte‘ des berühmten Verbrechers Johann Friedrich Schwan (1729-1760), genannt der ‚Sonnenwirt‘. Gehört hat er sie von seinem Karlsschul-Lehrer Jakob Friedrich Abel, dessen Vater den steckbrieflich gesuchten Räuber und Mörder im März 1760 verhaftete und verhörte, und der nur ein Jahr später selbst (s)eine „Lebens-Geschichte“ des Bandenführers veröffentlicht. Schnell folgen erste Bühnenadaptionen, darunter auch Gottfried Immanuel Wenzels (1754-1809) Trauerspiel Verbrechen aus Infamie. Das bis heute unbeachtet gebliebene Drama ist von Alexander Košenina jetzt mit einem Nachwort neu herausgegeben worden – aus mindestens zwei Gründen ein lohnendes Unterfangen. Erstens sind die im 18. Jahrhundert an Popularität gewinnenden Fallgeschichten aus rechts-, sozial- und gattungsgeschichtlicher, anthropologischer und kriminalpsychologischer Perspektive ein gewinnbringender Untersuchungsgegenstand. Zweitens ist die Bühnenbearbeitung ein frühes Beispiel für die Dramatisierung einer Erzählung, wie sie heute auf dem Theater gang und gäbe ist, und so von Interesse für die noch relativ junge Adaptionsforschung.

Wie für die Theaterpraxis des 18. Jahrhunderts üblich, geht Wenzel relativ frei mit der literarischen Vorlage um, auch wenn er einige Textpassagen von Schiller fast wörtlich übernimmt. So führt er zusätzliche Figuren ein, die dem Protagonisten die Gelegenheit geben, sich und seine Taten zu erklären; die Handlung schreitet extrem schnell voran. Der ‚Sonnenwirt‘ Christian Wolf wird als vergleichsweise größerer Verbrecher vorgeführt, nämlich als zweifacher Mörder, der seine geliebte Hanne im Affekt ersticht und seinen Konkurrenten Robert erschießt. Um seine Taten nachvollziehbarer zu machen, werden die beiden Opfer schon in der ersten Szene als lasterhafte Figuren – als kaltschnäuzige und skrupellose Kriminelle – vorgeführt, die Wolf finanziell ausgenommen und hinter Gitter gebracht haben und ihm nichts als Missachtung entgegenbringen. Wie bei Schiller stellt sich Wenzels ‚Sonnenwirt‘ am Ende des Handlungsverlaufs der Justiz; und wie Schiller plädiert auch Wenzel dafür, die sozialen, kulturellen und psychologischen Umstände eines Verbrechens bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen, anstatt einfach drakonische Strafen zu verhängen.

Bei der vorliegenden Textausgabe handelt es sich um eine sorgfältige, mit einem informativen Nachwort versehene Edition, die – bis auf einen Stellenkommentar – nichts zu wünschen übrig lässt. Wer sich mit Schillers Erzählung beschäftigt, der sei auf die ebenfalls von Alexander Košenina bei Reclam herausgegebene Studienausgabe des Verbrechers aus verlorener Ehre verwiesen, die wie die Nationalausgabe dem Zweitdruck der Erzählung in den Kleineren prosaischen Schriften (Leipzig 1792) folgt, und die – im Gegensatz zu der Bühnenbearbeitung – mit einem umfangreichen Anhang versehen ist. Neben einem hilfreichen und ausführlichen Kommentar, der über die Abweichungen zwischen Erst- und Zweitdruck Auskunft gibt, enthält er unter anderem Dokumente zur Wirkungsgeschichte (Rezensionen und Briefe), Abels Lebens-Geschichte Fridrich Schwans, ein Literaturverzeichnis mit der einschlägigen neueren und neuesten Literatur zum Thema und ein instruktives Nachwort, das die Erzählung unter verschiedenen Aspekten – als ‚Fallgeschichte‘, ‚literarische Analyse des Verbrechens‘, ‚Erzählexperiment‘, Kriminalgeschichte und als Kritik am Rechts- und Strafwesen der Zeit – beleuchtet.

Titelbild

Friedrich Schiller: Der Verbrecher aus verlorener Ehre. Studienausgabe.
Herausgegeben von Alexander Košenina.
Reclam Verlag, Stuttgart 2014.
125 Seiten, 4,00 EUR.
ISBN-13: 9783150191842

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Gottfried Immanuel Wenzel: Verbrechen aus Infamie. Eine theatralische Menschenschilderung für Richter und Psichologen in drei Akten (1788).
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Alexander Košenina.
Wehrhahn Verlag, Laatzen 2014.
64 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783865253804

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