Tod einer Revolutionärin

Die Zeitschrift „Mittelweg 36“ erinnert an die außergewöhnliche Radikal-Feministin Shulamith Firestone

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Mittelweg 36“, das klingt nach einer Anschrift, was so verkehrt auch nicht ist. Zugleich aber ist es der Name einer vom „Hamburger Institut für Sozialforschung“ herausgegebenen Zeitschrift, die nach eben der Straße benannt ist, in der das Institut residiert. Das Periodikum selbst hat inzwischen bereits seinen 22. Jahrgang erreicht und nicht selten tragen die halbjährlich erscheinenden Ausgaben den Charakter eines Themenheftes. Heft drei des Jahres 2014 ist nun einer der radikalsten, originellsten und somit auch umstrittensten Denkerinnen der Neuen Frauenbewegung in den USA gewidmet: Shulamith Firestone. So erfreulich dies ist, so traurig ist der Anlass hierfür. Firestone starb Ende August 2012 im Alter von 67 Jahren. So steht denn auch der erste Beitrag unter den Titel „Tod einer Revolutionärin“. Und eine Revolutionärin, das war sie ebenso gewiss wie sie tot ist. Verfasst hat den Nachruf eine Feministin, die in den 1990er-Jahren kaum weniger Furore machte als Firestone in den 70ern. Überhaupt konnten für den Band einige namhafte Autorinnen gewonnen werden. Neben Faludi etwa Nina Power und Karin Wieland.

Shulamith Firestone selbst wurde mit dem 1970 erschienenen radikal-feministischen Buch „The Dialectic of Sex“ schlagartig berühmt. Innerhalb kürzester Zeit avancierte es zum Bestseller. Dies war zu einer Zeit, in der prominente Linke männlichen Geschlechts ihren Sexismus noch unverhohlen zur Schau trugen. So tönte etwa der zur Führungsriege der Black Panther zählende Stokely Carmichael 1967 von einem Podium herab, „die einzige Position“ die Frauen im von ihm geleiteten „Student Nonviolent Coordinating Commitee“ zustünde, sei „die Bauchlage“. Eine Entgleisung, an die Susan Faludi in dem vorliegenden Heft erinnert. Die studentischen Genossinnen aber begnügten sich damals keineswegs mit der Bauchlage, sondern gründeten zahlreiche feministische Zirkel und Organisationen wie die „New York Radical Women“, der auch Firestone angehörte.

Firestone, die bereits vor Erscheinen ihres Buches innerhalb kürzester Zeit zu einer der führenden Persönlichkeiten und Theoretikerinnen der Frauenbewegung geworden war, begann sich jedoch bald nach dessen Publikation aus der Frauenbewegung zurückzuziehen. Vielleicht ist es aber auch treffender zu sagen, dass sie hinausgemobbt wurde. Denn gerade wegen ihrer herausragenden Rolle wurde sie – ebenso wie manch andere führende Feministin dieser Jahre – von ihren weniger bekannten Mitstreiterinnen zunächst fertig gemacht und bald darauf aus feministischen Organisationen ausgeschlossen, da „Führungsrollen“ als „repressiv und männlich“ galten, wie Faludi erinnert. „Schwesternschaft ist mächtig. Sie tötet. Vor allem Schwestern“, wandelte Ti-Grace Atkinson, die damals ebenfalls von der Unkultur des „Fertigmachens“ betroffene Autorin des Buches „Amazonen Odysee“ eine der zentralen Parolen der Frauenbewegung ab. Sie bezog sich damit auf den Titel der von Robin Morgan herausgegebenen Anthologie „Sisterhood is Powerful“.

„Nur wenige waren so radikal – oder so wagemutig – wie Shulamith Firestone“, konstatiert Faludi. Von eben dieser Radikalität und diesem Wagemut zeugt nicht zuletzt Firestones Buch „The Dialectic of Sex“, das erst 1975 unter dem Titel „Frauenbefreiung und sexueller Revolution“ auf Deutsch erscheinen sollte. Es handele sich um „das meistdiskutierte Manifest der neuen Frauenbewegung in den USA: eine Abrechnung mit geschlechtsspezifischen Rollenklischees, die in der entwickelten Industriegesellschaft überflüssig geworden sind, aber zur Unterdrückung von Frauen und Kindern weiter aufrecht erhalten werden“, bewarb der S. Fischer Verlag die Neuerscheinung auf dem Umschlag. In dem schmalen Band machte Firestone die Familienstruktur als Zentrum eines die Frau (und die Kinder) unterdrückenden gesellschaftlichen Systems aus. Damit stand sie zwar nicht unbedingt alleine. Sehr wohl aber mit der Forderung, nicht nur „die westliche Kultur in Frage [zu] stellen, sondern die Kultur selbst, mehr noch: sogar die Natur“. Denn nicht nur die individuellen Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die Familien und die (kapitalistische) Gesellschaft unterdrückten und benachteiligte Firestone zufolge die Frauen, sondern nicht minder die Natur selbst. So geißelte sie Schwangerschaft als barbarisch und verglich den Akt des Gebärens damit, „einen Kürbis auszuscheißen“. All das – und einiges mehr – war von einer bis dahin unerreichten Radikalität. Einen Ausweg aus der Benachteiligung der Frau durch Kultur und Natur versprach sie sich von Fortpflanzungstechnologien, die es in nicht allzu ferner Zukunft ermöglichen würden, Frauen von der Last der Schwangerschaft und des Gebärens zu befreien. Diese Hoffnung hat Marge Piercy in ihrem feministischen SF-Roman „Frau am Abgrund der Zeit“ aufgegriffen.

Karin Wieland legt in ihrem Beitrag die von Firestone angestrebte „Totalrevision von Geschlecht, Gesellschaft und Familie“ ausführlich dar und konstatiert, die sozialpolitischen Forderungen der Radikal-Feministin seien ebenso wie ihre damals zum Teil recht utopisch anmutenden Vorstellungen zu Reproduktions- und anderen Technologien ihrer Zeit „weit voraus“ gewesen. „Unschwer sind Internet, Suchmaschinen, eingetragene Lebenspartnerschaften, bedingungsloses Grundeinkommen, soziale Elternschaft, Spitzenmanagerinnen, Industrie 04, Präimplantationsdiagnostik, In-Vitrio-Fertilisation und intrazytoplastische Spermieninjektion zu erkennen.“ Auch dies ist keineswegs übertrieben. Wer es nicht glauben mag, besorge sich Firestones „witzige, verstiegene, scharfsinnige und stets pragmatisch um Lösungen bemühte“ Streitschrift.

Nina Power unterzieht Firestones Text, den Wieland als „eine Art Theorieexplosion im Gestus genialen Dilettantismus“ charakterisierte, einer kritischen Würdigung. Dabei verortet sie ihn nicht nur in der Ideengeschichte des Feminismus und deckt zudem zahlreiche theoretische Verwandtschaften etwa zu La Mettrie, Alexandra Kollontai oder Karl Marx auf, sondern arbeitet die Stärken und Schwächen von Firestones Thesen und Überzeugungen prägnant heraus.

Ilona Ostner wiederum unterzieht die Tauglichkeit feministischer Ideen einem „Alltagstest“, und hat dabei namentlich den „Abschied der Familie“ im Auge, der auch bei Firestone keine geringe Rolle spielte. Ebenfalls zu Wort kommt die Filmemacherin Elisabeth Subrin, die in ihrem Beitrag ihren Firestone gewidmeten Experimentalfilm „Shulie“ vorstellt.

Es lohnt sich, jeden einzelnen der Texte zu lesen. Dem Hamburger Institut für Sozialforschung ist großer Dank dafür zu zollen, dass es mit der Shulamith Firestone gewidmeten Ausgabe des „Mittelweg 36“ an diese außergewöhnliche Feministin erinnert. Ihr Buch „Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“ wird zwar wohl so schnell keine Neuauflage mehr erleben. Zum Glück aber gibt es ja heutzutage im Internet das ZvaB, wo es sich ohne größeren Aufwand bei einem der angeschlossenen Antiquariaten bestellen lässt. Am besten gleich jetzt!

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Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Shulamith Firestone - eine radikale Feministin.
Mittelweg 36, Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Heft 3/2014.
Hamburger Edition, Hamburg 2014.
124 Seiten, 9,50 EUR.
ISBN-13: 9783868547269

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