Linker Kitsch – Ein Sammelband von Bettina Gruber und Rolf Parr unternimmt eine kulturwissenschaftliche Begriffsbestimmung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

‚Kitsch’ ist ein Begriff, der – so zitieren die Herausgeber in ihrer Einleitung Henryk M. Broders wortmächtiges Verdikt – „die Griffigkeit einer Qualle, die Spannweite eines Regenbogens und die Eindeutigkeit eines Horoskop-Spruches“ hat. „Die Rede von und das Reden über ‚Kitsch’“ sei, so Bettina Gruber und Rolf Parr, „seit Ende des 19. Jahrhunderts – ungeachtet aller Kritik – sowohl in wissenschaftlich-ästhetischen Diskussionen, als auch im Alltag zwar durchgängig präsent“; dennoch seien sämtliche Bemühungen um eine intentionale Bestimmung bislang gescheitert. Der vorliegende Band unternimmt den Versuch einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Einkreisung des Begriffs, der bislang „zwischen Terminus und Umgangssprache oszilliert“ (so Hans-Edwin Friedrich im Reallexikon).

Gibt es einen spezifisch ‚linken’ Kitsch in Abgrenzung zu politisch ‚rechtem’? Dieser vernachlässigten, für das Verständnis ‚linken Denkens’ seit der Französischen Revolution aber wichtigen Frage gehen die Beiträge dieses Bandes nach. Gezeigt wird, dass ‚linkes’ Denken aus ganz anderen Gründen kitschanfällig ist als sein ‚rechtes’ Pendant, auch wenn die Pathosformeln sich mitunter frappierend ähneln. Denn während rechte Ideologien den Veränderungsdruck der Moderne kompensieren, streben linke eher danach, ihn nach dem Motto ‚Mehr desselben’ zu überbieten. Dieses Phänomen ‚linker Kitsch’ nimmt der Band anhand von sprachlichen, bildlichen und filmischen Beispielen in historischer wie auch theoretischer Perspektive in den Blick, sodass es in seinem konstitutiv transmedialen Charakter zur Geltung kommt.

Von Adam Müller über Broch, Adorno und Benjamin bis hin zu Becher und Kundera reicht das Spektrum der behandelten Autoren, von „Wanderkitsch und Todeskitsch“ (M. Rohrwasser) bis zu Suhrkamp-Kitsch (A. Pontzen).

Der aus einer Tagung im Jahr 2008 an der TU Dresden hervorgegangene Band versammelt Beiträge von Bettina Gruber, Matteo Galli, Wolfgang-Müller-Funk, Klaus Kreimeier, Thomas Küpper, Rolf Parr, Alexandra Pontzen, Heinz-Peter Preusser, Michael Rohrwasser und Walter Schmitz.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert nicht die Bücher von Mitarbeitern der Zeitschrift sowie Angehörigen der eigenen Universität. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Bettina Gruber / Rolf Parr (Hg.): Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen – Gesamtkunstwerke.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2015.
197 S. , 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783770549962

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