Nicht-buchförmige Literatur

Ein Sammelband von Nicola Kaminski, Nora Ramtke und Carsten Zelle untersucht Journal- und Fortsetzungsliteratur und zeigt die Relevanz einer stärkeren Berücksichtigung des Publikationskontextes auf

Von Katharina GrabbeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Grabbe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Sammelband Zeitschriftenliteratur/Fortsetzungsliteratur publiziert die Beiträge eines 2012 an der Ruhr-Universität Bochum durchgeführten germanistischen Werkstattgesprächs und versteht diese als Vorstudien für ein weiter zu verfolgendes Forschungsprojekt zur Zeitschriftenliteratur. Dieses Selbstverständnis macht bereits deutlich: Es geht dem Band weniger um das Zusammentragen abgeschlossener Einzelergebnisse als vielmehr darum, Forschungsfragen aufzuwerfen und ein Forschungsfeld auszuloten, dem bisher zu wenig Beachtung zugekommen ist.

In diesem Sinn eröffnen die Herausgeber_innen Nicola Kaminski, Nora Ramtke und Carsten Zelle mit ihrem Beitrag nicht nur einleitend den Band, sondern sie fächern ein ganzes Spektrum an Forschungsfragen auf. Die Einführung beginnt mit einer Aufschlüsselung des Schrägstrichtitels Zeitschriftenliteratur/Fortsetzungsliteratur und erläutert den Gegenstandsbereich der Beiträge als einen dreidimensionalen: Untersucht wird (1.) Literatur, die in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen ist, (2.) Literatur, die in Fortsetzungen publiziert wurde und (3.) Literatur, auf die die beiden ersten Merkmale gemeinsam zutreffen, die also fortsetzungsweise in Zeitschriften gedruckt wurde. Dieser Gegenstandsbereich bringt eine Fülle von Herausforderungen mit sich, denen in der germanistischen Forschung bisher – so macht der Band deutlich – noch nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. Sich diesen Herausforderungen zuzuwenden, sie deutlich als Desiderat zu benennen und in präzisen Einzelanalysen produktive Perspektiven zu ihrer Weiterbearbeitung zur Diskussion zu stellen, ist der Verdienst dieses Bandes.

Mit der Definition von ‚Zeitschriftenliteratur‘, also der Frage, was als Literatur in Zeitschriften gelten kann, ist die generelle Problematik eines Literaturbegriffs verbunden, der Fakt und Fiktion, Journalistisches und Literarisches kategorisch voneinander trennt. Literarische Texte als ‚Fortsetzungsliteratur‘ zu betrachten, macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass nicht nur der Literaturbegriff, sondern auch und insbesondere der Werkbegriff kritisch zu hinterfragen ist. In dieser Hinsicht konstatiert der Sammelband eine Art ‚blinden Fleck‘ der germanistisch-literaturwissenschaftlichen Praxis, die dazu neigt, Literatur mit dem medialen Format des Buchs zu assoziieren. Da das ‚Werk‘, um als geschlossene Einheit und Produkt eines Autors wahrgenommen zu werden, die es umschließenden Buchdeckel braucht, verengt sich die Perspektive einer solchermaßen werk- und Autor-zentriert arbeitenden Literaturwissenschaft auf die Publikationsform des Buches. Diese Kritik der Einführung mag auf den ersten Blick die aktuelle, mit kulturwissenschaftlichen Konzepten und Theoriemodellen im produktiven Dialog stehende Literaturwissenschaft verfehlen, in der ein weiter Textbegriff längst Konsens ist und in der die theoretischen Ausrichtungen, auf die die Beiträge verweisen, wie etwa Intertextualitäts- und Text-Kontext-Theorien, New Historicism und Diskursanalyse fest verankert sind. Jedoch – und hier setzt die Kritik insbesondere an – erfolgt der Textzugriff, gerade in der Arbeit mit kanonisierten Texten, in der Regel über den Gebrauch von Werkausgaben, die wiederum auf eine editorische Praxis zurückgehen, in der Umfeld und Umstand von Erstpublikationen in periodischen Medien häufig nicht vollständig erfasst und zu erschließen sind. Bereits das Einführungskapitel liefert dafür eine ganze Reihe anschaulich dargestellter Beispiele.

In dieser Hinwendung zum Exemplarischen und sorgfältigen Auseinandersetzung mit Einzelbeispielen in genauen Analysen liegt eine weitere Stärke des Bandes und der Beiträge. So bietet der Sammelband mit den Beiträgen eine Fülle von detaillierten Einzellektüren, die dabei deutlich auf gemeinsame Fragestellungen Bezug nehmen und durch den gemeinsamen Rahmen verklammert sind. So fällt der Sammelband trotz durchaus sehr unterschiedlicher Erkenntnisinteressen, eigenständiger Ausrichtungen und der Wahl von Untersuchungsgegenständen aus unterschiedlichen Jahrhunderten (die zeitliche Spanne der untersuchten Texte reicht vom frühen 18. Jahrhundert bis in die 1920er-Jahre) der einzelnen Beiträge nicht auseinander.

Mit der Kritik an der Abwertung des Fortsetzungs- und generell des Journaldrucks als „bloßer ‚Vorabdruck‘“ verbinden die Herausgeber_innen die Forderung, den einzelnen Text stärker in seinem Eingebundensein in das „Beitragsgeflecht einer Zeitschrift“, wie es Carsten Zelle in seinem Beitrag bezeichnet, zu betrachten. Um dieses begrifflich genauer fassen und damit beschreibbar machen zu können, stellen die Herausgeber_innen im dritten Teil der Einführung ihre terminologischen Vorschläge zur Diskussion.  ‚Paratextualität‘ wird – unter aktzentverschiebender Abgrenzung von der Begriffsprägung durch Genette – vorgeschlagen als Begriff, der die Nachbarschaft von Texten innerhalb einer Zeitschrift bzw. innerhalb einer Zeitschriftennummer beschreibt. Rahmungen wie Titel, Untertitel, Autorname et cetera ließen sich (durchaus in Übereinstimmung mit Genette) als ‚Peritext‘ fassen.

Der in der Einführung systematisch hergeleiteten und exemplarisch begründeten Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der paratextuellen Umgebung von Journalliteratur und einer weitergehenden Beschäftigung mit dem  „Kommunikationsensemble“ aus Beiträger, Herausgeber, Redaktion und Leserschaft einer Zeitschrift kommen die Analysen der Sammelbandbeiträge nach.

So beschäftigt sich Gunhild Berg in ihrem Beitrag mit belletristischen Zeitschriftenbeiträgen in Moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts und erarbeitet an diesen Untersuchungsgegenständen die durch die spezifischen medialen Bedingungen entstehenden seriellen Erzähltechniken und insbesondere die narrative Gestaltung des seriellen Anschlusses. Der Beitrag nimmt seinen Ausgang in der Frage, welche Textstrategien es sind, die die Leserschaft trotz der Abgeschlossenheit der einzelnen Publikationen und der darin angebotenen Erzählungen dazu bringt, die nächste Publikationseinheit zu kaufen und zu rezipieren: Wie wird aus dem Leser/der Leserin ein Serienrezipient beziehungsweise eine Serienrezipientin gemacht? Dies gelingt, so zeigt Berg im Anschluss an Jürgen Habermas, indem die Moralischen Wochenschriften an die Geselligkeitskultur ihrer Zeit anknüpfen und in der Imitation eines idealen geselligen Gesprächs die Leserschaft zum Dialog einladen. Berg arbeitet in ihren Analysen heraus, wie die Texte dies durch den Einsatz konkreter erzähltechnischer Mittel gestalten, die die Leserschaft einbinden und aktivieren.

Daniela Gretz spricht sich in ihrem Beitrag für eine Neubetrachtung kanonischer Texte in ihrem jeweiligen historischen Publikationskontext aus und führt eine solche Re-Lektüre anhand von Theodor Fontanes ‚Frauenromane‘ Cécile, 1886 im Universum erschienen, und Effi Briest, Erstdruck 1894/95 in der Deutschen Rundschau, exemplarisch vor. Dabei fokussiert Gretz den zeitgenössischen Afrikadiskurs, der sich in den Zeitschriften der Zeit nachzeichnen lässt und an dem auch Fontanes Texte Anteil haben. Gerade die diskursanalytische Erweiterung des Blicks bringt hier zahlreiche Befunde und produktive Anschlussstellen zum Vorschein.

Der Sammelband bietet viele Thesen für eine weitergehende Auseinandersetzung mit der Journalliteratur und führt in den Einzelbeiträgen vor, wie eine solche aussehen kann. Dem Band ist eine von Nora Ramtke zusammengestellte Bibliographie zur (deutschsprachigen) Zeitschriftenliteratur sowie ein Namensregister beigegeben. Beides stellt einen guten Service dar und unterstreicht noch einmal, dass es dem Band um mehr zu tun ist, als die Beiträge eines Symposiums zu versammeln. Denn Bibliographie und Register können im Sinne des Bandes als ‚leseraktivierende Strategien‘ bzw. paratextuelle Angebote verstanden werden, laden sie doch dazu ein, einzusteigen und die Forschung an der Fortsetzungszeitschriftenliteratur fortzuschreiben.

Titelbild

Nicola Kaminski / Nora Ramtke / Carsten Zelle (Hg.): Zeitschriftenliteratur / Fortsetzungsliteratur. Bochumer Quellen und Forschungen zum 18. Jahrhundert.
Band 6.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2014.
241 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783865253323

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