Von gefühllosen Teenagern und mordenden Börsianern

Sarina Schnatwinkels Monographie „Das Nichts und der Schmerz“ analysiert die extremen Emotionswelten von Bret Easton Ellis‘ Romanen und Erzählungen

Von Jonas ReinartzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Reinartz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bret Easton Ellis ist ein interessanter Fall. Ein wenig nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“ pflegt der einstige junge Wilde sein ramponiertes Image. Eigenwillig stilisierte Interviews, Drehbücher zu eher weniger gelungenen Filmen, Tweets en masse – für den stilistischen Minimalisten ist dieses Netzwerk ja wie geschaffen – und eine scheinbar beliebig fortgeführte Thematisierung seiner Lieblingsthemen: Sex, Konsum und Einsamkeit.

„Less Than Zero“ (1985) und „American Psycho“ (1991) haben ihm allerdings einen Platz in der US-amerikanischen Literaturgeschichte, Rubrik: Postmoderne, gesichert. Denn bei aller banalen Oberfläche sind seine Romane und Erzählungen weitaus komplexer, als es zunächst den Anschein hat. Sarina Schnatwinkel nimmt sich nun vor, der verstörenden Wirkung von Ellis‘ Stil auf den Grund zu gehen. Dessen Kern diesbezüglich sieht sie in der Verfasstheit seiner seltsam emotional unbeteiligt wirkenden homodiegetischen Erzähler.

Um dies zu bewerkstelligen, entwickelt sie eigene Definitionen: Zentral ist die Unterscheidung zwischen emotionslosem Erzählen (auf Emotionsworte wird verzichtet, der Text signalisiert jedoch implizit Emotionen des Erzählers/Protagonisten) und affektlosem Erzählen (keine affektiven Beweggründe), wobei hier noch einmal unterschieden wird. Das affektlose-vermeidende Erzählen verzichtet komplett auf emotionale Schilderungen und gefühlsmäßige Gründe für eine Handlungsentscheidung, während affektlos-postulierendes Erzählendes Emotionen, wie bereits an der Bezeichnung ersichtlich, lediglich behauptet.

Das ist ein geeignetes Mittel, um etwa die verstörende Wirkung von „American Psycho“ zu erklären, welcher der Kategorie des affektlos-postulierenden Erzählens zugeordnet wird. Der Leser werde gewissermaßen zum Komplizen Batemans, aber eben nicht mit dessen Emotionen konfrontiert, die nur vorgegeben werden – sondern mit den eignen, die durch gezielte Schocktechniken gereizt würden.

Vor allem zeichnet sich diese Monographie durch Fleiß aus. Ellis-Interessierte finden hier viele interessante Punkte, gerade durch den informativen Forschungsüberblick und die Berücksichtigung des gesamten bisherigen Œuvres. Auch die im Schlusskapitel genannten weiteren Desiderate und Texte, auf die man diese Kategorien anwenden könnte, wissen zu gefallen, wie auch eine praktische Übersicht aller Ellis-Figuren mit Beschreibung.

Sehr lesenswert ist auch der Überblick über die psychologische und soziologische Emotionsforschung. Nun ist die Erläuterung dieser Modelle auch für den literaturwissenschaftlich interessierten Leser von Belang. Die Bedeutung der Beziehungen zwischen Wissen und Literatur in der Forschungslandschaft ist kaum zu überschätzen. Sei es der Austausch zwischen schöner Literatur und Disziplinen wie Medizin, Pädagogik und Biologie oder jemand wie Michel Serres, der beispielsweise in Zolas „Rougon-Macquart“-Zyklus (1871–1893) die Thermodynamik vorweggenommen sieht: Hieran führt kein Weg vorbei.

Wie gesagt, in der Identifizierung der Erzähltechnik fördert Schnawinkels Arbeit bemerkenswerte Erkenntnisse zutage. Allerdings legt sie Ellis‘ Figuren gewissermaßen auf die Couch, was dann Erkenntnisse wie diese ergibt: Neben eindeutigen Formulierungen spreche für die Depression einer Figur in „The Rules of Attraction“ (1987) eben „[a]uch ihre Fixierung auf den unerreichbaren Victor, ihre Bindungsunfähigkeit und schnell wechselnden Sexualpartner, ihr ständiger Drogen- und Alkoholmissbrauch und die redundante Struktur ihrer Lebensführung“.

Das ist korrekt, doch was ist damit groß gesagt? Auch wenn es natürlich nicht das Thema der Arbeit ist: Wäre es nicht interessanter, zu schauen, inwieweit Ellis auf die Diskurse seiner Zeit reagiert, sie aufnimmt, variiert oder unterläuft? Das Abklopfen der Figuren auf Anzeichen psychischer Defekte wird zudem der Komplexität von Literatur bei weitem nicht gerecht und liest sich zudem recht redundant (im Gegensatz zu den erzähltheoretischen Passagen, die sehr gelungen sind). In diesem Punkt erscheint die Arbeit ausgesprochen anachronistisch. Gerade in einem Bereich wie der Amerikanistik, die ja stets an progressiven Debatten beteiligt ist und sich dadurch auszeichnet, theoretisch besonders avanciert zu sein, erscheint dies eher unglücklich.

Hinzu kommen leider weitere Kritikpunkte. Obwohl die Übersicht zur Affekttheorie an sich gründlich ausfällt und Autoren wie Aristoteles oder Freud direkt zitiert werden, reicht es wohl nicht aus, bei einer Zusammenfassung der Position Platons lediglich auf einen Lexikonartikel zu verweisen. Und obwohl die Reaktion absolut nachvollziehbar ist und es natürlich gerade bei dieser Thematik durchaus einleuchtet, muss man sich zumindest die Frage stellen, ob die Emotionen der Verfasserinnen und Verfasser einer wissenschaftlichen Arbeit für die Leser relevant sind. Anlässlich der Rezeption von „American Psycho“ bekennt Schnatwinkel: „Auch ich hatte beim ersten Lesen des Romans stellenweise mit Ekel und Abscheu zu kämpfen, fühlte mich beschmutzt und vom Gelesenen regelrecht geschändet.“ Ein solches Pathos findet sich auch an anderen Stellen (dort jedoch eher auf die Reaktion des idealen Lesers bezogen) und wirkt unsachlich, bei aller Berechtigung der Reaktion.

Insgesamt ist also „Das Nichts und der Schmerz“ ein interessante und ambitionierte Arbeit, wobei allerdings das Literaturverständnis und die konkrete Anwendung wissenschaftlicher Erklärungsmodelle von Emotionen auf literarische Texte zu kritisieren sind. Denoch lohnt sich die Lektüre für Leser, die sich für das Universum von Ellis interessieren, auf jeden Fall. Hier bietet sich eine Fülle von präzisen Analysen. Eine letzte Anmerkung: Obwohl dies ja gerade früher gang und gäbe war, ist es ja leider fraglich, ob eine in deutscher Sprache verfasste Arbeit über Ellis überhaupt in gebührender Aufmerksamkeit wahrgenommen wird.

Titelbild

Sarina Schnatwinkel: Das Nichts und der Schmerz. Erzählen bei Bret Easton Ellis.
Transcript Verlag, Bielefeld 2014.
371 Seiten, 39,99 EUR.
ISBN-13: 9783837627916

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