Der beschädigte Mensch

Die Dramatik von Heinz Uwe Haus, interpretiert von Klaus M. Schmidt

Von Günther RütherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Rüther

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was verbindet Bertolt Brecht mit der griechischen Tragödie? Darüber ließe sich trefflich eine umfangreiche Abhandlung schreiben. Vermutlich mangelt es aber schon heute daran nicht. Die hier aufgeworfene Frage soll eine nahezu triviale Beantwortung erfahren. Sie liegt in dem hier angezeigten Buch verborgen, in der Lebensgeschichte des Autors Heinz Uwe Haus, der in der Tradition der griechischen Tragödie und des epischen Theaters Bertolt Brechts drei dramatische Szenen vorstellt, die von Klaus M. Schmidt interpretiert werden. Beide Autoren, der eine aus Ost- der andere aus Westdeutschland, lehren seit vielen Jahren an amerikanischen Universitäten. Haus ist Theaterwissenschaftler, zudem arbeitet er weltweit als Regisseur. Er inszenierte vor allem Stücke des antiken griechischen Theaters. So verbindet er Theorie und Praxis. Schmidt ist einer der Pioniere der Computerlinguistik. Er erstellte eine Datenbank für mittelalterliche Literatur.

Im Mittelpunkt der drei dramatischen Szenen steht das Aufzeigen der menschlichen Existenz in der Tiefe ihrer Widersprüche, die allzu oft ihre Ursache in den Verstrickungen der Gesellschaft mit der Macht haben. Das Thema ist wie die Stoffe der griechischen Tragödie zeitlos. Davon zeugen auch die das Buch eröffnenden und abschließenden Zitate von Bertolt Brecht. Sie entlarven den Menschen, der nach außen als Einheit auftritt, aber in Wirklichkeit im Inneren eine „kampfdurchtobte Vielfalt“ darstellt. Das Buch schließt mit zwei Dialogzeilen aus Brechts „Galileo“. Sie lauten: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat. / Nein. Unglücklich das Land, das Helden braucht.“

Damit wird der thematische Rahmen abgesteckt. Es geht einerseits um die beschädigte Existenz des Menschen in der Diktatur. Um Lüge und Wahrheit. Um Verrat und Treue. Den Rahmen bildet dafür die eigene Erfahrung von Haus als Meisterschüler und aufstrebender Regisseur am Deutschen Theater in Ostberlin in den siebziger und frühen achtziger Jahren. Er scheiterte, weil er unbequem wurde, an der Zensur. Er musste das Land verlassen. Und sein Weiterleben in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo er auf eine ganz andere Gesellschaftsordnung traf, die sich von ihrem Traum „Gods own country“ zu sein, weit entfernt hat. Die Autoren erblicken in den jüngsten Kriegshandlungen der USA im Irak und Afghanistan, in Falludscha und Kabul, den Verrat der westlichen Werte, „die innere Selbstzerstörung der westlichen Demokratie“, die sie „durch Missbrauch der Macht für billige politische Zwecke mehr und mehr entleert“ sehen. Sie ziehen einen Bogen vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zu den Kriegshandlungen der Gegenwart und fordern, die gesellschaftliche und moralische Heuchelei zu beenden. „Man hat vergessen, dass man sich selbst zuerst dem Test der Heuchelei auszusetzen hat, bevor man als Kreuzritter in die Welt auszieht“, lautet einer der Kernsätze der Interpretation von Klaus M Schmidt. Er gilt für Individuen genauso wie für Gesellschaften.

Die erste der drei dramatischen Szenen: „Anlauf aus der Asche“ besteht aus sechs Teilen, die auf der Bühne eines Theaters stattfinden. Das Theater wird so selbst zum Theater. Es dient als Brennglas der gesellschaftlichen Probleme in der Ära Honecker und Mielke. Haus konzentriert sich dabei auf den Wandel und die Anmaßung der Sprache. Sie bringt „die tiefsten Abgründe des Zynismus im Subtext unter der scheinbar absurd dahin plätschernden Konservsationsoberfläche ans Licht“. Das Theater und die verstümmelte Sprache der beteiligten Darsteller dienen ihm als Bühne und Ausdrucksform des korrumpierten und verlogenen intellektuellen Klimas der Diktatur. Der Bezug zur DDR ist unverkennbar, aber im Grunde sprechen die Szenen für ein unterdrücktes Leben, dem die geistige Freiheit und die spirituelle Erkenntnis versagt bleiben.

Die zweite dramatische Szene: „Fernrottung. Aktenkundig“ umfasst sechs kurze Prosa-Gesänge. Sie schildern „Zwei Mal Endzeit“, 1945 die Phase kurz nach dem Tod Hitlers im Führerbunker und nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989. Zweimal gingen Deutschlandbilder in Trümmer, die sich einer totalitären Ideologie verschrieben hatten. Schmidt leitet sie wie Haus aus F. Tomasso Marinettis Manifest „Le Futurisme“ aus dem Jahr 1909 ab, das dem Faschismus und Kommunismus gleichermaßen den Weg bereitete. Haus verdinglicht diese Endzeiten in der Geschlechterbeziehung.

Die aufregendste und kompositorisch anspruchsvollste dramatische Szene bietet die Minitragödie „The Hard Way Out“. In ihrem Zentrum steht die Geschichte eines Marinesoldaten, der nach Kämpfen in Falludscha und in Helmand durch eine Autobombe den Heldentod stirbt und von der Nation gefeiert und betrauert auf dem Friedhof in Arlington begraben wird. Dieser Heldentod steht nicht für einen Mann oder eine Frau der US Marines, er steht steht für Hunderte Gefallene, die für ihr Vaterland kämpften, um Gutes zu tun. Sie glaubten auf der richtigen Seite zu stehen und lernten, das auch die richtige Seite mehrere Seiten hat. Viele von ihnen wurden schuldlos schuldig. Sie verloren den Glauben an ihren Auftrag. „They feel like if we weren’t here, bombs wouldn’t be in the ground“. Sie hatten das Gefühl, für die Bomben im Boden mitverantwortlich zu sein, weil die Kriege moralische und völkerrechtliche Grenzen überschritten.

Helden werden gesichts- und geschichtslos, wenn sie dicht gereiht auf dem Soldatenfriedhof liegen. Ihre Individualität geht verloren. Sie werden zur Rechtfertigung politischer Entscheidungen, deren Berechtigung immer mehr in Zweifel gezogen wird, je weniger ihr Auftrag für den sie in den Krieg zogen überzeugt. Haus fragt nach dem warum. Der Hinweis auf den 11. September reicht ihm nicht mehr aus. Schade, dass diese dramatische Szene nur in amerikanischer Sprache nachzulesen ist. Eine deutsche Übersetzung wäre in dem ansonsten deutschsprachigen Buch von Vorteil gewesen. So wirkt sie fremd. Oder soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass sie aus dem historischen Rahmen herausfällt?

Das Wagnis des Buches besteht darin, die großen Geschichten der Erinnerung 1945, 1989, 2001 miteinander in Verbindung zu setzen. Niemand wird daran zweifeln, dass es zwischen diesen Ereignissen Verbindungslinien gibt. Sie zeigen sich am auffälligsten in der Rolle der Vereinigten Staaten, ohne deren politisches und militärisches Engagement Europa wohl kaum vom Joch der totalitären Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts befreit worden wäre. Aber ist es erlaubt, von dort den Bogen zu den Kriegen der Gegenwart zu ziehen, in die ja auch Europa und Deutschland zum Teil mit eingebunden sind? Die Chance des Buches besteht darin, deutlich zu machen, dass es auch im Ungleichzeitigen und Ungleichen Parallelen gibt. Diese Parallelen zeigen sich vor allem im Schicksal einzelner Menschen. Seine Bedrängnisse haben auch mit dem Ende der großen Erzählungen des zwanzigsten Jahrhunderts nicht aufgehört.

Titelbild

Heinz-Uwe Haus / Klaus M. Schmidt: Die Macht und der Verlust der Seele. Anlauf - Schwarze Sonne - Hard Way. Trilogie der Suche nach einer neuen Welt. Drama und Kritik.
MackingerVerlag, Bergheim bei Salzburg 2014.
132 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783902964007

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch