Jünger, Apostel und Erz-Evangelisten eines bekennenden Atheisten

Das von Daniel Schubbe und Matthias Koßler herausgegebene Schopenhauer-Handbuch empfiehlt sich zur Konsultation

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach Kant, Heidegger und einigen anderen Philosophen wurde nun auch der Meisterpessimist Arthur Schopenhauer mit einem Metzler-Handbuch gewürdigt. Dies würde ihn sicher umso mehr gefreut haben, als diese Ehre solchen „Windbeuteln“ wie Fichte und Schelling bislang verwehrt blieb. Nur, dass er diese Auszeichnung mit einem „Afterphilosophen“ wie Hegel teilen muss, würde ihn ziemlich sicher mächtig wurmen. Man weiß das natürlich nicht positiv, aber die Vermutung liegt doch nahe.

Sicher ist hingegen, dass Daniel Schubbe und Matthias Koßler das dem Willensmetaphysiker gewidmete Handbuch herausgegeben haben und zu seinem Gelingen rund fünfzig AutorInnen beitrugen. Die Herausgeber selbst sind nicht nur mit eigenen Textbeiträgen vertreten, sondern haben auch für den sinnvollen Aufbau des Buches sowohl hinsichtlich der Gliederung wie auch der Gewichtung der einzelnen Abschnitte gesorgt. Eher knappen Angaben zum Leben Schopenhauers folgt als umfangreichstes Kapitel der Abschnitt zu seinem „Werk“, in dem wiederum derjenige zu seinem opus magnum „Die Welt als Wille und Vorstellung“ am ausführlichsten ausfällt. Neben ihm und den weiteren zu Lebzeiten Schopenhauers veröffentlichten Schriften werden der handschriftliche Nachlass und die Briefe Schopenhauers sowie seine Übersetzung von Garcias „Handorakel“ vorgestellt. Den Kapiteln „Leben“ und „Werk“ folgt ein Abschnitt, der die wichtigsten „Einflüsse“ auf Schopenhauer von den „Asiatischen Philosophien und Religionen“ über Platon bis zu Kant und der Romantik beleuchtet und den „Kontext“, in dem seine Werke entstanden, darlegt. Sodann wird die „Wirkung“ aufgezeigt, die sein Schaffen auf „Personen“, „Philosophische Strömungen“ und die „Kunst“ ausübte, und die „Rezeption in einzelnen Ländern“ nachgezeichnet. Der Anhang schließlich bietet neben einer Auswahlbibliographie und einem Personenregister eine Liste mit „Institutionen der Schopenhauer-Forschung“ sowie eine Seitenkonkordanz der Werkausgaben, die allseits als hilfreich begrüßt werden dürfte.

Nun lassen sich in einem solchen Buch Leben, Werk und Wirkung eines so namhaften Philosophen natürlich nicht erschöpfend darstellen, insbesondere die Abschnitte zu „Einflüssen und Kontexten“ sowie zur „Wirkung“ „erforderte die Auswahl von Schwerpunkten“, wie die Herausgeber einräumen. Doch dessen ungeachtet gelang es ihnen, das Vorhaben mehr als zufriedenstellend umzusetzen, „sowohl dem Laien als auch dem Kenner einen guten Überblick über die Philosophie Schopenhauers zu geben“ und ihnen „geeignete ‚Sprungbretter‘“ zu bieten, „die jeweils schnell Anknüpfungspunkte für weitergehende Lektüre und Forschung ermöglichen“.

Schopenhauers Schriften werden konzis und verlässlich vorgestellt. Gleiches gilt insgesamt für die „Einflüsse“ auf ihn und für seine „Wirkung“. Dort, im Abschnitt „Wirkung“, findet sich etwa das von Domenico M. Fazio verfasste Kapitel zur „Schopenhauer-Schule“. Der Autor beginnt seine Ausführungen mit kenntnisreichen Erläuterungen zur Unterscheidung Schopenhauers zwischen seinen „Jüngern“ und den „Aposteln“. Wobei der bekennende Atheist dem einen oder anderen seiner Proselyten auch den Ehrentitel eines „Erz-Evangelisten“ zusprach. Neben dieser „Schopenhauer-Schule im engen Sinne“ gab es eine weitere „Gruppe von Denkern, die zwar keine direkten Anhänger des Frankfurter Philosophen gewesen waren, sich jedoch durch seine Lehre inspirieren ließen und selbständige, ja manchmal originelle Denkrichtungen entwickelten“. Fazio beschließt den Abschnitt mit einem kurzen Abriss darüber, wie sich die Schopenhauer-Schule „im weiteren Sinne“ von heute aus gesehen darstellt. Sie lasse sich in drei Schüler-Gruppen einteilen: „Erstens die, welche eine neue, an der Lehre Schopenhauers orientierte Metaphysik aufbauten, zweitens die, welche einige wesentliche Aspekte des Schopenhauerschen Denkens originell entwickelten, drittens die, welche in der Schopenhauerforschung arbeiten, um die Lehre des Philosophen zu behaupten, zu verbreiten und zu verteidigen.“

In einem allerletzten kleinen Absatz erwähnt der Autor geschwind noch einige Philosophinnen, „die durch Schopenhauer inspiriert wurden“. Die wenigen Zeilen heben mit der Wendung an: „Endlich muss man an eine Gruppe von Denkerinnen, die durch Schopenhauer inspiriert wurden erinnern“. Das klingt so, als sei es dem Autor eine lästige Pflicht, die er nur mit einem gewissen Widerwillen erfüllt. Vier Denkerinnen sind es, die er nennt: Helen Zimmern, „die Schopenhauer in England einführte“, Olga Plümacher, „die die erste Historikerin der Schopenhauerschule war“, und als solche von Fazio auch zuvor schon genannt wurde, die „radikale Feministin“ Helene von Druskowitz, „die 1887 eine Schrift über die Begriffe von Verantwortung und Zurechnung veröffentlichte, welche, eine ausgesprochene Schopenhauersche Tendenz offenbart“, und die „Wiener Schriftstellerin, Kulturphilosophin, Malerin und Vertreterin der Frauenbewegung“ Rosa Mayreder.

Spät, doch immerhin erwähnt er also auch die ‚weibliche Seite‘ des Pessimismus im Anschluss an Schopenhauer. Schamhaft (?) verschwiegen wird hingegen – sowohl von ihm, wie auch im gesamten Buch – Carl Peters, der 1883 die Schopenhauers Metaphysik variierende Schrift „Willenswelt und Weltwille“ veröffentlichte. Allerdings war es auch nicht sie, die dem Mann zu einiger Bekanntheit verhalf, sondern sein rassistisch-mörderisches Treiben als Kolonialherr in Ostafrika. Das allerdings machte ihn weniger berühmt, als vielmehr berüchtigt. Angesichts der von den Herausgebern erwähnten Notwendigkeit einer Auswahl ist es darum durchaus verständlich, dass ihr Peters und seine Schrift zum Opfer fielen.

Das herausragende Dreigestirn der Schopenhauer-SchülerInnen wurde zweifellos von Eduard von Hartmann, Julius Bahnsen und Philipp Mainländer gebildet und ist selbstverständlich als solches in dem Handbuch vertreten. Es erhielt sogar einen eigenen Abschnitt. Die Herausgeber konnten mit Winfried Müller-Seyfarth den zweifellos besten Kenner zumindest Bahnsens und Mainländers gewinnen, deren Schriften er vor einigen Jahren edierte. Die Herkulesaufgabe, das umfangreiche Werk von Hartmanns, der zu seiner Zeit nicht nur die höchsten Auflagen unter den Schopenhauer-SchülerInnen, sondern der Philosophierenden überhaupt erzielte, als ganzes zu edieren, wurde hingegen bislang noch nicht in Angriff genommen. Doch einige seiner Schriften, darunter das Hauptwerk, „Die Philosophie des Unbewussten“ und „Die Gefühlsmoral“, wurden in den letzten Jahren und Jahrzehnten immerhin wieder zugänglich gemacht.

Wer immer sich schnell und zuverlässig über Schopenhauers Leben, sein Werk oder seine Wirkung informieren möchte, ist mit dem vorliegenden Handbuch alles in allem bestens bedient.

Titelbild

Matthias Koßler / Daniel Schubbe (Hg.): Schopenhauer Handbuch. Leben-Werk-Wirkung.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2014.
436 Seiten, 59,95 EUR.
ISBN-13: 9783476024442

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