Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Martin Suters Business-Soap „Alles im Griff“ erscheint zugleich als Buch und Hörbuch

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer sagt denn heute noch, dass man Weltbewegendes nicht im Serienformat schildern kann? In Zeiten, in denen das Quality TV seinen Zenit erreicht (und man schon wieder über seinen Verfall spekuliert), traut man selbst der Soap Opera das Potenzial zu, die Tiefen und Untiefen der menschlichen Existenz auszuloten. Nun legt der Schweizer Martin Suter, einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart, unter dem Titel Alles im Griff seine eigene „Business Soap“ vor. Damit hechelt er keineswegs einem medialen Trend hinterher, denn die rund vierzig Episoden, in denen er jeweils auf Zigarettenlänge das Innenleben des fiktiven Schweizer Mittelständlers CRONSA verfolgt, sind bereits 2004 entstanden, erscheinen nun aber erstmals als Buch und Hörbuch.

Wie in einer „richtigen“ TV-Soap arbeitet Suter mit einem ganzen Arsenal von Figuren, deren Lebensläufe er virtuos miteinander verknüpft. Im Mittelpunkt steht der Aufsteiger Stephan Tobler, der seinen alten Arbeitgeber verlassen hat, um bei der CRONSA endlich nach oben zu kommen – und sich prompt wieder seinem alten Vorgesetzten gegenüber sieht. Da sind Toblers Konkurrent Hottinger, der Firmenpatriarch Wenger, Wengerling genannt, der die Firma schrittweise in Richtung Abgrund manövriert und ebenso seine Affären pflegt wie seine Ehefrau, sein „Head of Security“, der mittels Überwachungskameras zu den wirklichen Machthabern der Firma gehört, und, und, und…

In seinen besten Momenten ist Martin Suter ein Virtuose der feinen Ironie, wie zum Beispiel der zwischen Kunstmilieu und Großbürgertum spielende Roman Der letzte Weynfeldt von 2008 zeigt. Von diesem Gespür lebt auch Alles im Griff. Man hört mit großem Vergnügen zu, wenn Suter seine Intriganten am Stuhl des Gegners sägen lässt, um sie dann mit schöner Regelmäßigkeit auf die eigene Nase fallen zu lassen. Stefan Kurt liest die Texte, die durchgängig um die drei Minuten lang sind, mit der angemessenen Mixtur aus Anteilnahme und Süffisanz.

Dass die Figuren in Alles im Griff nicht die Tiefe Dostojewki’scher Romanhelden erreichen, ist der Kürze des ursprünglichen Kolumnenformats sowie der Annäherung an das TV-Format der Soap geschuldet. Was Suter liefert, ist eine vergnügliche schwarze Komödie, eher ZDF-Fernsehfilm als Breaking Bad. Mit den wirklichen Untiefen und Abgründen des Arbeitslebens hat das kaum etwas zu tun. Auch wenn Suters Intriganten fortwährend scheitern: Wirkliche innere Deformationen, wie sie die Figuren bei Kathrin Röggla, Philipp Schönthaler oder Annette Pehnt erleiden, sind ihnen fremd. Vor sozialem Absturz oder Langzeitarbeitslosigkeit scheint sich hier niemand zu fürchten. Es ist eben doch die saturierte Schweiz, in der das Buch spielt. Aber auch das ist Soap: Sie nimmt auf, was einer Gesellschaft unter den Nägeln brennt und macht Entertainment daraus. Von ihr Sozialrealismus zu verlangen oder gar Lösungen für reale Probleme, wäre vielleicht doch zu viel verlangt.

Titelbild

Martin Suter: Alles im Griff. Eine Business Soap.
Diogenes Verlag, Zürich 2014.
108 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783257300284

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Titelbild

Martin Suter: Alles im Griff [Tonträger]. Eine Business Soap.
Gelesen von Stefan Kurt.
Diogenes Verlag, Zürich 2014.
CDs, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783257803549

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