Urheberrecht, analog

Heinrich Bosses Klassiker „Autorschaft ist Werkherrschaft“ ist neu erschienen

Von Johannes SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Debatte um Urheber- und Verwertungsrechte ist kein neues Phänomen. Auf eindrückliche und lesenswerte Art hat dies zuletzt Monika Dommanns Arbeit zur „Geschichte des Copyrights im Medienwandel“ („Autoren und Apparate“, u.a. hier besprochen) deutlich gemacht: Schon durch das Aufkommen von Fotografie und Tonaufnahme kam es zum Konflikt zwischen Produzenten geistiger Werke und reproduzierenden Konsumenten, die mit der Vervielfältigung aus dem geistigen Eigentum anderer Kapital schlagen konnten und wollten. Nicht erst die Errungenschaften der voranschreitenden Digitalisierung werfen also die Frage auf, was man mit dem Werk eines Anderen tun darf und was nicht, auch wenn sie der Debatte zweifellos den nachhaltigsten Impuls ihrer Geschichte geben. Dass es dabei nicht mehr nur um die wirtschaftliche Zweitverwertung geht, sondern auch um die Ausweitung privater Nutzungsmöglichkeiten, markiert eine Zäsur – der einzelne Schöpfer sieht sich nicht länger nur den wenigen gewinnorientierten Interessenten gegenüber (Verlage, Produkionsfirmen et cetera), sondern der Masse des Publikums, das freien Zugang zu seinen Erzeugnissen verlangt und ihn sich immer häufiger eigenmächtig verschafft.

Vom historischen Standpunkt aus betrachtet mutet das wie eine Revolution an. Denn es ist kaum 200 Jahre her, dass Autoren überhaupt zu einem eigenen Recht kamen, wie man in der Neuausgabe von Heinrich Bosses Klassiker „Autorschaft ist Werkherrschaft“ endlich wieder nachlesen kann. Und sie kamen zu diesem Recht nur durch einen langen, polyphonen Diskurs, der dem aktuellen erstaunlich ähnlich ist. Wer heute fordert, dass Kunst (gegenwärtig zumeist Filme und Musik) frei zugänglich sein solle, der bedient sich eines Argumentationsmusters, das sich mindestens bis zum Freiherrn von Knigge zurückführen lässt, für den zwischen öffentlich gesprochenem und für die Öffentlichkeit gedrucktem Wort kein Unterschied bestand. So, wie man die Predigt des Pfarrers nacherzählen dürfe, dürfe man sich Schriftwerke zu eigen machen, wurden sie von ihrem Urheber doch in dieselbe flüchtige Freiheit entlassen wie die Worte des Geistlichen auf der Kanzel.

Bosses Werk ist allerdings kein Brandbeschleuniger der Debatte. Im Gegenteil: Evolution, nicht Revolution ist das Wort, das dem Leser in den Sinn kommen muss. So, wie sich zwischen 1770 und 1830 erstmalig ein modernes Urheberrecht entwickelte, am Autor als Schöpfer und ,Herrscher‘ orientiert (Bosse) und wie zwischen 1880 und 1960 im Streit von Verwertungsgesellschaften und Reproduzenten eine Differenzierung dieses Rechts stattfand (Dommann), so ist auch seit den 1990er-Jahren ein Prozess der Umwandlung im Gang, den man mit Fug und Recht als notwendige, oder zumindest unausweichliche Fortsetzung jenes andauernden Diskurses sehen kann, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seinen Anfang nahm. Der Blick zurück auf frühere Höhepunkte dieser Debatte kann entlarvend für die Gegenwart wirken, er kann neue Munition liefern, vor allem aber kann er beruhigen und versachlichen: Neue Möglichkeiten erfordern neue Regelungen, die nicht zuletzt auch dem Zweck dienen, dem Urheber unter veränderten Bedingungen vergleichbare Sicherheiten zu bieten. Das war vor 200 Jahren nicht anders als jetzt – und Bosses Studie ist ein probates Mittel, uns daran zu erinnern.

Dass dies auch der Verlag erkannt hat, zeigt sich am Nachwort von Wulf D. v. Lucius, welches sich in groben Zügen mit der Frage beschäftigt, wie es im 21. Jahrhundert um die „Werkherrschaft“ steht. Es ist eine wichtige Ergänzung zum Haupttext, kann aber an einem Missstand nichts ändern: Die Neuausgabe ist äußerst lieblos gestaltet. Druckbild und zahlreiche Fehler erwecken den Eindruck, als habe man einfach die Erstausgabe mithilfe einer automatischen Texterkennung eingescannt und maschinell in das neue Format einfügen lassen – abenteuerliche Seitenumbrüche, in den Haupttext gerückte Fußnotenziffern und absurde Druckfehler schmälern die Freude über den Neudruck. Gerade hier entbehrt der sorglose Umgang mit dem Werk nicht einer gewissen Ironie, gerät das Buch doch damit zum digital geborenen Nachfahren jener analogen Qualitätsausfälle, die von den Nachdruckern produziert wurden, deren Treiben maßgeblich für die Entwicklung des Urheberrechts in der Goethezeit war.

Titelbild

Heinrich Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit.
Neue, mit einem Nachwort von Wulf D. v. Lucius versehene Auflage.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014.
236 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783770557875

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