Glockenähnliche Geräusche

Desmond Morris porträtiert mit der Eule einen Vogel mit zwei Gesichtern

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vierzehn Halswirbel haben die Eulen. Wir Menschen nur sieben. Deswegen können sie den Kopf so weit herumdrehen (und wir nicht) – sie schaffen immerhin 270 Grad. Und das müssen sie auch, denn ihre Augen sind starr geradeaus gerichtet, wenn sie zur Seite sehen wollen, müssen sie den ganzen Kopf drehen. Dafür haben sie weitere, besondere Fähigkeiten: Sie können „bei schlechten Lichtverhältnissen sehen und noch die kleinste Bewegung auf dem Boden erfassen. Lichtempfindlichkeit und Schärfe sind für die nächtlichen Jäger überlebenswichtig“. Ihre Augen sind 35 mal lichtempfindlicher als die eines Menschen, Eulen sind sozusagen mit Restlichtverstärkern ausgerüstet.

Wir alle kennen Eulen, aber die wenigsten haben sie jemals in der freien Natur gesehen.  Als Symbol ist sie allerdings in aller Welt berühmt. Oder berüchtigt. Denn, wie Desmond Morris in seinem neuem Buch feststellt: Die Eule bedeutet entweder etwas Gutes oder etwas Schlechtes: Todesvogel oder Schutzgeist. Das liegt vor allem an ihrem Auftreten: Tagsüber sieht man sie nie, entweder versteckt sie sich in einer Baumhöhle oder schmiegt sich derart an den Baum an, dass sie mit ihm quasi verschmilzt. Nachts geht sie auf Jagd. Sie durchdringt mit ihren Augen die Dunkelheit. Sie stößt seltsame Laute aus, die weder an Greif- noch an Singvögel erinnern – manchmal ein unheimliches Huhuuuu! Und sie fliegt lautlos: sehr gespenstisch. Man hört sie nicht kommen, und husch, schon ist sie vorbei.

Für all das kann sie nichts. Lautlos fliegt sie, weil die langen Schwungfedern an den Flügelspitzen nicht wie bei anderen Vögeln versteift sind, mit einer rauen Oberfläche und rauhen Kanten versehen, sondern samtartig weich und daunenartig, mit einer fein gezähnten Außenkante: „Diese Besonderheit reduziert die Luftverwirbelung beim Flügelschlag und dämpft so das Rauschen, das andere Vögel beim Fliegen verursachen.“

Sehr präzise beschreibt der Zoologe Morris die anatomischen Besonderheiten der Eulenvögel, die Augen, die Ohren, die Krallen (zwei nach vorn, zwei nach hinten) erläutert das Jagdverhalten, das Gewölle (die herausgewürgten Reste ihrer Mahlzeiten), Balz und Brut, die Hassreaktion anderer Vögel und ihren Ruf:

„In Wirklichkeit ist es eher ein Kreischen, Schreien und Krächzen. Manche knurren, schnarchen, brummen, husten oder machen glockenähnliche Geräusche; manche klingen wie Apparaturen, die dringend geölt werden müssten, oder als versuche man ein Auto trotz leerer Batterie zu starten. Wieder andere hören sich an wie Riesenheuschrecken oder eine Kreuzung aus bellendem Terrier und Gibbon. Einzig die größten Eulen geben weichere, sanftere Laute von sich, und auch die klingen noch so, als spiele jemand Gespenst, um ein Kind zu erschrecken.“

Dieser ornithologische Teil ist mit knappen 30 Seiten Umfang allerdings relativ kurz. Den Hauptteil des schön gestalteten Buchs aus der Porträt-Reihe des Naturkunden-Verlags (vorher gab es Bücher über Krähen, Heringe und Esel) mit seinen vielen, sorgfältig ausgewählten Abbildungen macht wie gewohnt die Kulturgeschichte des Tiers aus. Und hier ist Morris etwas zu ausführlich und auf Dauer sogar ermüdend. Zwar erläutert er sehr schön, wie die Vorurteile der Menschen entstanden sind (wegen des unheimlichen Flugs und der großen starren Augen, die so angeordnet sind, dass die Eule ein menschenähnliches Gesicht hat), wie die Griechen und Römer die Eulen gesehen haben und welche Rolle sie in ihrer Religion gespielt hat, wie die Mythen in Afrika und dem indianischen Amerika aussehen. Zwar beschreibt er auch, wie und wo die Eule in der Literatur und in der bildenden Kunst vorkommt, aber an vielen Stellen bleibt er doch recht kursorisch. Er beschränkt sich zu oft auf pure Aufzählungen beispielsweise der Indianerstämme, in denen Eulen mythologisch gedeutet werden, oder der Bilder von Pablo Picasso oder René Magritte, in denen Eulen vorkommen, ohne näher darauf einzugehen. Und das ist das Hauptmanko dieses Buchs: dass es redundant ist, indem es immer wieder die Zweigesichtigkeit dieses Vogels nennt, die Doppeldeutigkeit dieses Wesens aber nicht spannend genug zu beschreiben vermag.

Titelbild

Desmond Morris: Eulen. Ein Portrait.
Übersetzt aus dem Englischen von Meike Herrmann und Nina Sottrell.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2014.
168 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783957570888

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