Lustig ist das alles nicht

Über Anna Croissant-Rust

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ob ich eigentlich die Anna Croissant-Rust kenne, hat mich Bernhard Setzwein einmal gefragt. Ich kannte sie nicht. Das war vor einem Vierteljahrhundert, kurz bevor sein wunderbares Buch Käuze, Ketzer, Komödianten erschien, mit elf Aufsätzen über Literaten in Bayern, unter ihnen ein Porträt dieser „bayerisch-pfälzischen Erzählerin“. In seinem prägnanten und einfühlsamen Essay – Setzwein hat ihm den Titel Naturalistin im Biedermeierhäuschen gegeben – steht schon alles drin, was man über diese 1860 in Bad Dürkheim geborene, in Amberg und München aufgewachsene, vor allem zwischen 1893 und 1914 durchaus namhafte und mit einigen Texten sogar recht erfolgreiche Schriftstellerin wissen könnte. Dass ihr äußerst vielfältiges und umfangreiches Werk – Anna Croissant-Rust wurde fast 83 Jahre alt – heute nahezu unbekannt ist, haben diverse Wiederbelebungsversuche, zum Beispiel der von Heinz Puknus in der Verlagsanstalt Bayerland, nicht verhindern können. Ob das ein Jahrhundert nach Beginn des Ersten Weltkriegs anders werden könnte? In einem verdienstvollen Lesebuch mit exemplarischen Prosatexten bayerischer Schriftstellerinnen ist sie mit der eindrucksvollen, 1896 erstmals publizierten Erzählung Kirchweih vertreten. Nicht nur ihr düsteres Thema – Armut, Krankheit, Verzweiflung, schließlich ein totes Kind – mag nicht jedermanns Sache sein, sondern auch ihre höchst expressive Stakkatosprache: „Nach! nach! – Jetzt! – Endlich! Sie halten an, starren … Sie stößt das junge Mädchen zur Seite, stürzt auf ihn, hoch hält sie das Kind. – ‚Du! – – du!‘ – – Schrill, vergurgelnd.“ Das war auch um 1900 harte Kost, literarisch innovativ durchaus, für die meisten Leser aber doch zu ungewöhnlich.

Das Elend der Welt, besonders die haarsträubenden Lebensumstände von Frauen aus der Unterschicht, die oft nicht wissen, wie sie sich und ihre kleinen Kinder durchbringen sollen, hat Anna Croissant-Rust zeitlebens tief bewegt. Lustig ist das alles nicht. Das muss man aushalten als Leser von heute, denn sonst wird man den von Edda Ziegler nach dem Text der Erstausgabe von 1914 neu herausgegebenen Erzählzyklus Der Tod erst gar nicht in die Hand nehmen wollen. In diesen 17 Prosatexten von maximal je drei Seiten Umfang, die durch 17 meisterliche Zeichnungen des berühmten Willi Geiger (1878–1971) eher aufgeschlossen als nur illustriert werden, sind großartige Entdeckungen zu machen. Bilderreiche, ausdrucksstarke expressionistische Dichtung ist das, die mit den weithin bekannten Prosastücken der großen zeitgenössischen Wortkünstler spielend mithalten kann. Im Zentrum dieser tief bewegenden Prosaskizzen steht natürlich, vielfach variiert, eine alle Träume, Wünsche oder Erinnerungen der grundsätzlich sozial deklassierten Protagonisten am Ende unweigerlich bezwingende Gestalt – der Tod. Dass diese Geschichten so faszinierend sind, hat vor allem, wie die Herausgeberin ganz zu Recht betont, mit der „metaphorisch aufgeladenen Sprache einer belebten, vermenschlichten Natur“ zu tun: „Der Föhn stöhnt“, „ein blasser Mond stürmt“. Oder der erste Satz von Frühlicht: „Grauweißer Schnee zergeht in den Straßen, fällt faul vom Nachthimmel und klebt sich an die Fenster der Kellerwohnung.“ Klar: Wer mag sich ausgerechnet den Tod auf den Nachttisch legen? Wenige wahrscheinlich. Die anderen aber haben was versäumt.

Weitere Literatur:

Dietlind Pedarnig / Edda Ziegler (Hg.): Bayerische Schriftstellerinnen. Ein Lesebuch. München: Allitera Verlag, 2013. 235 S.

Bernhard Setzwein: Käuze, Ketzer, Komödianten. Literaten in Bayern. Pfaffenhofen an der Ilm: W. Ludwig Buchverlag, 1990. 299 S., seit Jahren vergriffen.

Titelbild

Anna Croissant-Rust: Der Tod. Ein Zyklus von siebzehn Bildern mit siebzehn Zeichnungen von Willi Geiger.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Edda Ziegler.
Allitera Verlag, München 2014.
91 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783869066233

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