Giftpille

Über Jörg Juretzkas Krimi „Platinblondes Dynamit“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es sei Besserung gelobt: Da liegt dieses Buch seit zwei Jahren auf dem Stapel zu lesender Krimis und ist bis eben heute nicht gelesen. Nun, Anfang 2015 endlich, kommt es dran. Die Zeit ist reif, die anderen Krimis sollen es gerade nicht sein, und es ist immerhin ein Juretzka. Und von dem kann man einiges erwarten.

Dabei hat es der Mann sehr sehr schwer. Denn er muss deutsche Krimis schreiben, und die haben immer eine besondere Schwere und heftigen Tiefgang. Wallanders Melancholie hat eben deutsche Vorläufer und ist zutiefst von einem deutschen Paradigma geprägt, von der Verzweiflung an der Komplexität und Dynamik der Moderne, was Walter Benjamin freilich bereits für die frühe Neuzeit beobachtete. Alles zu seiner Zeit.

Dagegen anzuschreiben ist beinahe unmöglich, es sei denn, man verlegte sich auf einen Gegenhelden (den die Spanier, stolz wie sie sind, erfunden haben, der aber auch sein deutsches Pendant gefunden hat). Und Gegenhelden sind nun einmal die wahren Helden, wie wir wissen, spätestens dann, wenn es darauf ankommt, resignieren sie, und tun doch das Richtige.

Oder eben die Geburt des Grandiosen aus dem Trivialen?

„Platinblondes Dynamit“ ist so etwas wie ein kleines Paradestück für literaturtheoretische Seminare (Studium mit Spaßfaktor, vielleicht). Erzählt wird die Geschichte einer Geschichte: Ein erfolgloser und wenig attraktiver, mithin vor allem bei Frauen glückloser Trivialkrimiautor lässt sich auf ein folgenschweres Experiment ein. Nachdem ihm seine Verlegerin die Reihe um seinen fast schon peinlich virilen Helden namens Jack Knife (bedeutungsschwanger) abgeschossen und eine lebensechte weibliche Protagonistin verlangt hat, installiert jener Folkmar Windell ein Programm auf seinem Rechner, das wie eine Art faustischer Pakt agiert. Es schreibt ihm seine Romane mit, aber wenn es ihm nicht gelingt, ein Happy End hinzukriegen, dann sagt das Programm an, wohin die literarische Reise geht.

Da Windell eh nichts mehr übrig bleibt, warum also nicht? Und schon geht’s los. Denn kaum installiert, befreit das Programm die neue weibliche Hauptfigur, die den einfallsreichen Namen Pussy Cat trägt, aus dem Ghetto des literarischen Textes, einem New York, das dem kölnischen Geviert, in dem Windell lebt, verblüffend ähnlich sieht. Jedes Gebäude, die Kneipe, in der Windell verkehrt, die Wohnung, ja jeder hinreichend wahrnehmbare soziale Kontakt hat in diesem Windell’schen Spezialkosmos seine Zweitexistenz.

Da wimmelt es von kriminellen Existenzen, die in der realen Welt eben Vermieterin, Polizistin, Bedienung in der Kneipe oder die Psychiaterin von nebenan sein mögen. Im Krimi-New York Windells sind das hartgesottene Verbrecher oder eben Verbrecherinnen, die allerdings dem Charme des Superermittlers Jack Knife erliegen und ihm reihenweise zu Füßen sinken (und was er dann mit seiner Stehkraft mit ihnen treibt, ist eben auch ein Kapitel der „Wunderwelt Trivialroman“).

Pussy Cat tritt nun einfach durch eine Tür in ihrer Welt und befindet sich auf einmal im Köln der Romangegenwart – worin sie sich mit der Windell’schen Kaltschnäuzigkeit überaus souverän durchsetzt, wenngleich sie eine Spur unzivilisierten Verhaltens zieht. Auch hier verfolgt sie wie gewohnt ihre Gangster, die aber eben doch wieder Vermieterin und sonstiges sind und nicht recht wissen, wie ihnen geschieht. Pussy Cat sucht nach einem geklauten Edelstein. Die Leutchen haben da ganz andere Sorgen.

Zu allem Überfluss aber ähnelt Pussy Cat verblüffend ihrem Erfinder Folkmar Windell – aber eben nur in weiblicher Form und in höchster Ausbaustufe. Das sorgt für heftige slapstickartige Szenen. Es beginnt nun eine fröhliche Hetzjagd, in der Pussy Cat hinter den Bösen her rennt, in der Kommissar Meckenheim wahlweise Pussy Cat oder Windell hinterherjagt und in der Windell versucht, Pussy Cat irgendwie wieder zurück in ihre fiktionale Welt zurückzuschaffen, wohin sie nun auch gehört.

Alles löst sich natürlich vortrefflich, was ja eben auch ein Element des Trivialen ist, aber Windell muss schließlich doch seinen Jack Knife und seine männliche Identität aufgeben und wird zur Hermine Inaway. Ups, sagt man da, wie konnte das geschehen. Aber immerhin ist er nun sehr erfolgreich.

So ändern sich die Zeiten: Mussten Autorinnen bis ins 19. Jahrhundert hinein männliche Pseudonyme wählen, um überhaupt publizieren zu können, müssen Männer in der Romanwelt von „Platinblondes Dynamit“ nun den umgekehrten Weg gehen. Es wäre einmal einen Blick wert, ob so ein Phänomen vielleicht schon beim Fräuleinwunder vorgekommen ist, und es nur bisher keiner gemerkt hat.

Am Ende ist „Platinblondes Dynamit“ doch vor allem heftigste Satire und überaus amüsanter Klamauk, dem man nur den gebührenden Raum geben muss: Und nicht wieder zwei Jahre liegen lassen.

Titelbild

Jörg Juretzka: Platinblondes Dynamit. Roman.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2012.
271 Seiten, 13,95 EUR.
ISBN-13: 9783865323095

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