Porträt des Mörders als Reinigungskraft

In Dave Zeltsermans Roman „Killer“ sucht ein ausgebrannter Mobster nach seinem wahren Ich

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

14 Jahre hat Leonard March 1993 aufgebrummt bekommen. 14 Jahre für 28 Morde. Von denen die Staatsanwaltschaft aber erst erfuhr, nachdem sie einen Deal mit dem Mann gemacht hatte. Indem er seinen Boss Salvatore Lombard ans Messer lieferte, für den er in Sachen Schutzgelderpressung, Menschenhandel und Prostitution unterwegs war, ja ihm sogar ein versuchter Mord angelastet wurde, kaufte er sich von einer weit höheren Strafe frei. Als er freilich, nachdem das Geschäft mit der Anklage in trockenen Tüchern war, auszupacken begann, wurden sie auf der anderen Seite blass.

Nun ist March wieder draußen. 62 Jahre ist er inzwischen. Seine Frau ist während seiner Haft an Krebs gestorben. Seine Kinder haben den Kontakt zum Vater abgebrochen. Als sich die Gefängnistore hinter ihm schließen, glaubt er nicht, das Leben in Freiheit lange genießen zu können. Lombards Nachkommen, die die Geschäfte des Bostoner Paten übernommen haben, warten auf ihn genauso wie die Familienangehörigen der 28 Menschen, deren Tod er auf seine Kappe genommen hat.

Dave Zeltserman lässt in seinem Roman „Killer“ Vergangenheit und Gegenwart seiner Hauptfigur einander abwechseln. Interessant dabei ist, dass er ausgewählte Episoden aus dem Werdegang des bezahlten Mörders Leonard March im Präsens erzählt, für die unmittelbare Gegenwart aber die klassische Zeitform des Präteritums benutzt. Das holt das Vergangene näher heran, sorgt für die Atemlosigkeit jener Kapitel, die Marchs Killerkarriere punktuell aufarbeiten, und lässt den Leser im nächsten Moment Abstand gewinnen zu einer Figur, die sich erst wieder langsam im Leben einrichten muss.

Zeit für Letzteres wird ihm erst einmal gewährt. Er darf sich seine neue Bleibe langsam wohnlicher machen. Der Job als Reinigungskraft in einem Bürogebäude, den er von 8 Uhr abends bis 2 Uhr nachts ausübt, sorgt dafür, dass er seltener von Schlaflosigkeit, Gewissensbissen und quälenden Träumen heimgesucht wird. Und sogar ein paar erotische Highlights machen seinen trostlosen Alltag erträglicher. Die junge Kellnerin Lucinda, die er vor einer gewalttätigen Discobekanntschaft beschützt, und die so geheimnisvolle wie umwerfend attraktive Sophie Duval, mit der er drauf und dran ist, sein Leben zu einem Buch zu verarbeiten und so die große Kohle zu machen, sind zwar für sexuelle Abenteuer nicht zu haben, aber allein das Zusammensein mit ihnen genügt Leonard, um sich wieder lebendiger zu fühlen.

Es erinnert ein wenig an Zeltsermans „Paria“, der im Original 2009, ein Jahr vor „Killer“, erschien, wenn erneut das Thema der medialen Verwertung von Verbrechen eine Rolle spielt. Und in der Tat sieht der 1959 in Boston geborene Autor beide Romane zusammen mit dem auf Deutsch noch nicht erschienenen Buch „Small crimes“ (2008) als „my ,man out of prison‘ crime thriller series“, wie er auf seiner offiziellen Webseite betont. Wenn es dort weiter zu „Paria“ heißt, der Roman sei „fierce crime novel, as well as a satire on the publishing industry“, so trifft Letzteres auf „Killer“ nicht mehr ganz zu. Denn Leonard March spielt zwar genauso wie Kyle Nevin, Hauptfigur in „Paria“, mit dem Gedanken, aus seinem Leben Gold zu machen, indem er es mithilfe anderer für die sensationsgeile Öffentlichkeit aufschreibt. Allein am Ende kommt es nicht dazu.

Stattdessen präsentiert der Autor uns in „Killer“ einen richtig überraschenden Schluss. Bis es freilich dahin kommt, hat Lennie March sich noch an mehreren Fronten seiner Haut zu erwehren. Und wächst, während er das tut, allgemach wieder in das Leben hinein, von dem er die Leser glauben machen wollte, dass es ein für allemal hinter ihm läge.

Es wäre gemein, hier weiter auszuführen, mit welch ausgebufften Tricks dieser alte, abgekämpfte, scheinbar des Lebens nur noch müde Mann nicht nur die jenseits der Gefängnismauern auf ihn lauernden Gegner allesamt zur Strecke bringt, sondern als scheinbar glaubwürdiger Ich-Erzähler auch noch uns Leser grandios hinters Licht führt. Schließlich enthält jeder Thriller Spannungselemente, die um des lieben Friedens zwischen Rezensent und Leser willen nicht verraten werden sollten. Die Forderung an den kleinen Berliner Pulp Master Verlag und seinen Chef Frank Nowatzki, möglichst schnell den dritten Band der „Man-out-of-Prison“-Serie nachzulegen, der chronologisch ja eigentlich der erste ist, können wir uns dennoch nicht verkneifen.

Titelbild

Dave Zeltserman: Killer.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ango Laina und Angelika Müller.
Pulp Master Verlag, Berlin 2015.
264 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-13: 9783927734500

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