Sehnsucht nach der Rolle

Die israelische Star-Soziologin Eva Illouz hat den Erotik-Bestseller Shades of Grey klug und schlüssig auseinandergenommen. Gefunden hat sie eine konventionelle Liebesgeschichte

Von Jana BehrendsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Behrends

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Shades of Grey“ ist ein Phänomen. E. L. James BDSM-Trilogie verkaufte sich weltweit über 100 Millionen mal, der Film startete sensationell Mitte Februar in den deutschen Kinos: Allein am ersten Tag sahen ihn 220.000 Leute, vielerorts gab es bereits Wochen im Voraus keine Karten mehr. Aber was macht die Geschichte um die Studentin Anastasia Steele und den millionenschweren Unternehmer Christian Grey so besonders?

Die israelische Soziologin Eva Illouz, die zuletzt mit der viel beachteten und hoch gelobten Analyse „Warum Liebe weh tut“ selbst einen Bestseller geschrieben hat, zerlegt in „Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey“ den Roman als Musterbeispiel für die moderne heterosexuelle Paarbeziehung. Sie analysiert, warum die Trilogie sich zu einem Bestseller entwickeln konnte, warum sie in der altbewährten Tradition des Liebesromans steht und warum BDSM (was für Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism steht) viele der Probleme des zeitgenössischen Liebeslebens symbolisch löst.

Die Geschichte sollte hinlänglich bekannt sein: Naive Studentin trifft geheimnisvollen, gut aussehenden Millionär, beide fühlen sich zueinander hingezogen. Der Unternehmer Grey lässt die unschuldige Anastasia jedoch einen Vertrag unterschreiben, bevor es ernst wird. Denn der Mittdreißiger steht im Bett auf Lustschmerz und Fesselspiele und will alles zuvor genauestens regeln.

Und schon stecken wir mitten in einer Kernthese von Illouz: „Gleichheit, so heißt es, sei nicht besonders sexy, weil sie Konsens, Verhandlungen und Prozeduren voraussetze“, schreibt die Soziologin. Die Wald- und Wiesenklage, die Gleichberechtigung des modernen  heterosexuellen Paars gehe einher mit Unsicherheiten auf allen Ebenen und folglich mit einem Niedergang des sexuellen Begehrens, führe zum allgemeinen Konsens, dass Frauen sich (zumindest im Bett) nach traditioneller Männlichkeit sehnten, „die sich ihrer selbst und und sexuellen Macht sicher ist“.

Denn die Ungleichheit (also das aus ihr abgeleitete Verhältnis von beschützendem Mann und abhängiger Frau) verfügte auch über angenehme Aspekte, von denen einer die Klarheit der Geschlechterrolle gewesen sei. Zudem führten traditionelle Rollen zu einem „starken emotionalen ‚Klebstoff‘“, nämlich der wechselseitigen Abhängigkeit. BDSM schaffe es, klare Rollen wieder herzustellen, ohne zur traditionellen Geschlechterungleichheit zurück zu kehren – „die Ungleichheit […] ist spielerischer Natur und nicht in eine soziale Ontologie der Geschlechter eingeschrieben“. So könnten die Subjekte eine Position aus der geschlechtlichen Ontologie herauslösen – immerhin seien es häufig Männer in Machtpositionen, die den masochistischen Part übernehmen. „Gleichheit hingegen ist von Haus aus konfuser, weil auf dieser Grundlage keine Rollen festgelegt oder bewertet werden können; in diesem Sinn führt Gleichheit zu Unsicherheit und Zwiespältigkeit.“ Damit muss man in einer stets komplexer und unsicherer werdenden Welt erst einmal umgehen können.

Zudem seien moderne Liebesbeziehungen „von einer diffusen Form des seelischen Leidens“ gekennzeichnet, etwa von Verängstigung, Unsicherheit sowie der Schwierigkeit, Autonomie und Bindung unter einen Hut zu bringen. BDSM übersetze dieses seelische Leid in körperlichen Schmerz, mache ihn aber kontrollierbar und dank eines Codewortes jederzeit beendbar. Bei BDSM müssen die Parameter der Erfahrung, auf die man sich einlässt, sorgsam definiert und inszeniert werden. Es handele sich folglich um eine „reine Form von Konsens – ohne jenen Rest dessen, was sich aus den endlosen Verhandlungen des alltäglichen Lebens in ‚reinen Beziehungen‘ an Nichtvereinbartem und Improvisiertem ergibt.“

Das mögen zwei Aspekte sein, die Shades of Grey so irre erfolgreich machen: Das Buch beschreibt ein weit verbreitetes soziokulturelles Problem (die Unsicherheiten, die mit der Aufhebung klassischer Geschlechterrrollen einhergehen) und vermag es zeitgleich, es durch die klare Rollenverteilung in der BDSM-Sexualität aufzulösen. Auch wenn es oberflächlich fast nur um Sex ginge, so steckten in dem Roman doch jede Menge nicht-sexuelle Botschaften, führt Illouz weiter aus. Etwa, dass in modernen Gesellschaften ein chronisches Defizit an Anerkennung herrsche. Beide Protagonisten litten unter einem mangelnden Selbstwertgefühl und versuchen, sich zu bestärken und gegenseitig die Unsicherheit zu nehmen (dabei werde „an Superlativen nicht gespart“), was schlussendlich zur Heilung Greys führe. Die Liebe vermag es hier, „die Einschreibung symbolischer Gewalt in den Körper und das Selbst ungeschehen zu machen“; unsere Durchschnittlichkeit könne zu unserer Einzigartigkeit werden, „wenn unser innerer Wert durch Liebe bestätigt wird“.

Dies führt natürlich zwangsläufig auf ein Happy End zu, und natürlich heiratet das Paar im dritten Teil der Trilogie. Einen Ehevertrag wird es übrigens nicht geben – konsequenterweise, wie Illouz anhand zahlreicher Textbeispiele ausführt. Denn Grey sei der Prototyp traditioneller Männlichkeit, eben ein echter Beschützer. Und welcher Beschützer sorgt sich schon mehr um sein Vermögen als um die Angebetete?

Das Magazin „Vice“ geht allerdings mit einem Aspekt aus Shades of Grey kritisch um, den Illouz in Die neue Liebesordnung nur kurz beleuchtet: Christian Grey, heißt es in E.L. James‘ Vorlage, sei als Heranwachsender von einer Freundin seiner Mutter als Sexsklave jahrelang missbraucht worden, aus dieser Erniedrigung sei sein sexuell ungewöhnliches Verhalten hervorgegangen – im Buch werde er aber „zum ultimativen Sexgott“ stilisiert, so das Magazin.

„Das hat ihn erst zu diesem sexy und zugleich tiefgründigen Biest gemacht, das er jetzt ist. Denn Missbrauch ist kein Verbrechen, sondern macht Menschen erst so richtig begehrenswert und interessant“, so die Autorin weiter, die fassungslos „über die Art und Weise, mit welcher Nonchalance die Autorin sexuellen Missbrauch an Minderjährigen mit halbgaren Sadomaso-Fantasien vermengt“, war. Das soll die treffende Analyse Illouz jedoch keineswegs schmälern, sondern nur um einen weiteren Punkt ergänzen. Allen, die sich für Geschlechterrollen, Sexualität, Paarbeziehungen oder einfach nur den kometenhaften Aufstieg von Shades of Grey interessieren, sei dieser schmale, weiß-pink gestaltete Band jedenfalls ans Herz gelegt.

Titelbild

Eva Illouz: Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey.
Übersetzt aus dem Englischen von Michael Adrian.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
88 Seiten, 7,99 EUR.
ISBN-13: 9783518064870

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