Wie ein Roman

Die kenntnisreiche Essaysammlung von Christine Lang und Christoph Dreher zur Dramaturgie und Ästhetik der Fernsehserie „Breaking Bad“ liegt nun in zweiter überarbeiteter Fassung vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie sei „insofern eine ideale Fernsehserie, als in ihr das Medium in bester Weise zu sich als künstlerisch genutztes Medium findet“, rühmen die selbst nicht ganz unbekannten FilmemacherInnen Christine Lang und Christoph Dreher die Fernsehserie „Breaking Bad“. Begeisteter könnte das Lob aus so berufenem Munde kaum ausfallen. Dabei ist es keineswegs übertrieben sondern wohlbegründet, wie die AutorInnen in ihrer Essaysammlung zur Dramaturgie und Ästhetik der Serie theoretisch nachweisen und die gewöhnliche ZuschauerIn auf einer anderen, vielleicht eher intuitiven Ebene nicht weniger gewiss weiß.

Das alles heißt natürlich nicht, dass die Serie frei von jeder Schwäche wäre. Doch dazu später. Denn schließlich soll ja ein Buch zur Serie und nicht die Serie selbst besprochen werden. Daher zunächst einmal zum Aufbau der vorliegenden Publikation, in der das AutorInnen-Duo die Serie vor dem Hintergrund filmtheoretischer Erörterungen „unter werkästhetischen und vor allem dramaturgischen Gesichtspunkten“ in acht „für sich stehenden Essays“ analysiert.

Das erste berichtet von einem Besuch Langs und Drehers am Set von „Breaking Bad“. Ein etwas unglücklicher Auftakt. Denn gerade dieser Text ist wenig aufschlussreich. Ihm folgen jedoch sogleich erhellende Erläuterungen zur „impliziten Dramaturgie“ und ihrer Umsetzung in der vorgestellten Serie. Ein Essay zu „Ambivalenten Figuren, Amerikanischer Dramaturgie und Intermedialität“ schließt sich nahtlos an. Vielleicht wäre es aber doch sinnvoller gewesen, den Band mit den beiden Essays  zu eröffnen, in denen die AutorInnen detaillierte dramaturgische Analysen des Pilotfilms und der zweiten Folge vorlegen.

Noch ein weiteres Essay konzentriert sich auf eine bestimmte Episode, dem „Kammerspiel mit Fliege“ in der dritten Staffel, anhand dessen die AutorInnen beispielhaft das „metaphorische Erzählen“ in der Serie vorführen. Vor allem aber zeigen Lang und Dreher, dass „Bilder in der Lage sind, komplexere Sachverhalte dar- und reichhaltigere Analogien herzustellen, als dies in der gesprochenen Sprache möglich ist“.  Denn „in künstlerisch komplexen Filmwerken realisieren sich tiefere Bedeutungsdimensionen der Erzählung durch metaphorische Aktivierung des Konkreten“, insbesondere eben durch die Bildsprache. Daher lasse sich „sogar sagen, dass sich die Dinge im Film einer symbolischen Bedeutung gar nicht entziehen können“.

Einer ganzen Staffel, der zweiten, gilt ein Essay mit dem zunächst geheimnisvoll klingenden Titel „Seven Thirty-Seven Down Over ABQ“, in dem die AutorInnen die „Reflexivität und Referenzialität“ der Serie anhand dieser Staffel beleuchten. Das Geheimnis des Titels erweist sich dabei tatsächlich als eines der Serie. Es wird in dem Essay nicht nur gelüftet, sondern als solches allererst erkannt. Beschlossen wird der Essay-Reigen mit einer Untersuchung des Serien-Finales und dem „großen Bogen“, der sich mit ihm schließt und der zugleich vielleicht doch auf ein offenes Ende verweist.

Der Anhang bietet ein für alle lesenden „Breaking Bad“-Fans, die nicht der Gilde der Filmwissenschaft angehören, sehr hilfreiches Glossar, in dem sämtliche Fachbegriffe kurz und verständlich erklärt werden. Außerdem erfreut er mit zahlreichen farbigen Screenshots, die zwar kleinformatig, aber doch deutlich genug sind, um nachvollziehbar zu machen, was – also welche ihrer Thesen und Analysen – die AutorInnen mit ihnen illustrieren möchten.

Stets sind die Analysen und Auskünfte Langs und Drehers wohlfundiert und in den allermeisten Fällen auch überzeugend. Dass das Fernsehen mit Autorenserien „seine genuin ästhetischen Mittel aktiviert“, mag man allerdings nicht unterschreiben, ohne hinzugefügt zu haben, dass dies recht eigentlich erst in der Verknüpfung mit einer ständigen Verfügbarkeit etwa durch DVD, Blue Ray Disk oder das Internet geschehen kann. Denn sie sind es, die den ZuschauerInnen eine Rezeption ermöglichen, ohne die Fernsehserien wohl kaum von Series, deren einzelne Episoden je in sich abgeschlossene Geschichten erzählen, ohne dass eine Gesamthandlung über eine Staffel oder gar die ganze Serie voranschreitet und sich Charaktere entwickeln, zu Serials herangereift wären, deren Reiz genau dies ausmacht. Wie auch das AutorInnen-Duo erkennt, erlaubt es daher erst die ständige Verfügbarkeit, „eine Fernsehserie“ so zu rezipieren, „wie man ein Buch liest“, und die von Lang und Dreher konstatierte „Einführung der Qualitäten von Literatur“ in das Genre der Autorenserie zu genießen.

Ähnlich wie mit der These, das Fernsehen habe mit den Autorenserien quasi zu sich selbst gefunden, verhält es sich mit einem weiteren Befund des AutorInnen-Duos, der besagt, „Breaking Bad“ zeichne sich „durch außergewöhnlich dicht und gut geschriebene Drehbücher aus; Handlungen und Ereignisse geschehen niemals ‚einfach so‘, sie sind stets motiviert und haben Konsequenzen, oftmals erst mehrere Folgen oder gar Staffeln später“. Das trifft zwar im Ganzen zu, aber doch nicht ganz. Tatsächlich sind die Drehbücher – soweit man das als bloßer Konsument der Serie beurteilen kann – herausragend, vermutlich geschieht und ereignet sich auch nichts in der Serie „einfach so“. Die Geschehnisse sind zweifellos motiviert und haben – oft späte – Konsequenzen. Allerdings haben sie sie mitnichten „stets“, wie die Autorinnen meinen, womit wir bei den eingangs erwähnten Schwächen der Serie angelangt wären. So werden Handlungsfäden keineswegs immer zu Ende gesponnen. Maries Kleptomanie etwa baumelt als loses Ende durch die ersten Staffeln, um sich dann unbemerkt zu verlieren.

Eine Schwäche der vorliegenden Essays wiederum ist, dass sie ihr Lob doch allzu freizügig auf fast jeden Aspekt der Serie verteilen. So werden etwa die „ambivalenten Figuren“ und der Verzicht auf „die schlichte Gegenüberstellung von Gut und Böse“ positiv hervorgehoben. Es gibt wohl tatsächlich kaum eine ausschließlich gute Figur in „Breaking Bad“, sieht man einmal von Walter jr. (der vielleicht noch zu jung ist, um wirklich böse Persönlichkeitsanteile entwickelt zu haben) und Jesse Pinkmans zweiter Freundin Andrea Cantillo ab, der Vince Gilligan als Creator und Showrunner der Serie eine denkbar blasse Opferrolle zugedacht hat. Ausschließlich böse Figuren jedoch gibt es sonder Zahl. Angefangen von diversen kleinen Fischen aus dem Drogenmilieu bis hin zu den mächtigen und scheinbar übermächtigen Angehörigen des mexikanischen Familienclans und Drogenkartells bis hin zu Gustavo Fring, wobei zugegebenermaßen nur wenige von ihnen zu den wirklich wichtigen Charakteren der Serie zählen. Aber auch an Saul Goodman, dem ebenso skrupellosen wie gerissenen und eloquenten Anwalt, lässt sich schwerlich eine gute Seite entdecken.

Ebenfalls positiv heben Lang und Dreher hervor, dass Mr. White, Jesse, Skyler und Hank „im Verhältnis zu traditionellen Fernsehserien ungewöhnliche, gravierende Veränderungen durchlaufen“. Auch dem lässt sich nur mit gewissen Abstrichen zustimmen. Denn wie die AutorInnen an anderer Stelle selbst einräumen, bleibt sich zumindest Skyler „im Kern“ gleich, „nämlich an der Seite ihres Ehemanns“. Doch auch Hank verändert sich im Laufe der Serie wenig, sieht man einmal von dem ihn bedrückenden Intermezzo im Rollstuhl ab. Und Walter jr., der sich doch gerade in dem Alter umstürzender Veränderungen befindet, macht überhaupt keine Entwicklung durch. Gerade mal dass er, der stets seinen Vater verteidigt hat, sich auf die Seite seiner Mutter schlägt, als dieser sie angreift.

Zu den wenigen Kritikpunkten, die das AutorInnen-Duo sich an der Serie erlaubt, zählt, dass die „traditionellen Gender-Zuschreibungen in Bezug auf Männer und Frauen eingehalten“ werden. Dem ist ganz zweifellos so. Dass sie „dabei aber“ zugleich „aktualisiert und interessant gestaltet“ werden, trifft nur in Maßen und auf weiblicher Seite allenfalls ein wenig auf Skyler zu. Insgesamt sind die Frauen fast ausnahmslos sehr schwach. Und zwar nicht nur fiktionsintern, sondern auch deren Charaktergestaltung und Figurenzeichnung. Nicht selten werden sie zu Opfern, wie etwa Jane Margolis und Andrea Cantillo, die beiden Freundinnen von Jesse. Schaut Mr. White tatenlos zu, wie erstere stirbt, so wird letztere von hinten erschossen. Hinzu kommt, dass die Gründe des Todes der beiden Frauen nicht in ihnen selbst liegen, sondern dass sie um Jesses Willen sterben müssen. Andrea wird von einem Killer erschossen, um ihn gefügig zu machen, und Mr. White lässt Jane sterben, damit Jesse nicht gemeinsam mit ihr in absehbarer Zeit am Heroin zugrunde geht. Allerdings muss eingeräumt werden, dass Lang und Dreher die These vertreten, Mr. White habe Jane sterben lassen, da sie wusste, dass er sich hinter dem Crystal-Meth-Koch Heisenberg verbirgt. Er fürchtete, so die These der AutorInnen, von ihr verraten oder erpresst zu werden.

Auch die Konzeption der Figur Marie bestätigt traditionelle Weiblichkeitsvorstellungen. Die Schwägerin von Mr. White übt den weiblich konnotierten Beruf einer Krankenschwester aus und umsorgt ihren zeitweilig an den Rollstuhl gefesselten Mann Hank. Skyler wiederum steht trotz eines Seitensprungs letztlich doch stets zu Walter. Ihre Loyalität zu ihrem Ehemann wird nur noch durch die Sorgen um ihre Kinder übertroffen. Selbst die verbrecherische, aber eben auch „nervöse Logistik-Chefin“ Lydia Rodarte-Quayle zeigt in ihrer geradezu pathologischen Ängstlichkeit ‚typisch weibliche‘ Schwächen. Sie ist im übrigen – abgesehen von einer im Entzugsdelirium ihren Partner tötenden Randfigur – die einzige Frau der Serie, die über Leichen geht, während die mordenden Männer kaum zu zählen sind.

Ähnlich konventionell ja konservativ wie die Gender-Rollen ist nur noch ein einzig anderer Aspekt der Serie: „Das Wohl der Familie steht über allem, und zu deren Schutz ist alles erlaubt.“ So gilt dieses überaus traditionelle und höchst amerikanische Gut nicht nur bei den AmerikanerInnen Walter White, Hank, Marie und Skyler, sondern auch in der mexikanischen Familien-Bande. Die Familie überwindet als Kulturen verbindendes Höchste Gut nicht nur die Grenze zwischen den USA und Mexiko, sondern eint auch Gut und Böse. Dem Polizist Hank ist die Familie ebenso Alles, wie dem Verbrecher Mr. White oder den Angehörigen des mexikanischen Familien-Clans. Selbst der coole Killer Mike Ehrmantraut begleitet sein Enkeltöchterchen regelmäßig auf den Spielplatz und will all seine Millionen nur ihr zukommen lassen. Sein Wunsch spiegelt das zentrale Movens der Serie, dem zufolge Mr. White böse wird, um seiner Familie nach seinem bald zu erwartenden Krebstod einen Geld-Betrag hinterlassen zu können, der nach seinem Ableben ihr weiteres Auskommen sichert. Dass Mr. White seiner Frau am Ende der Serie versichert, er habe alle seine Verbrechen nicht der Familie wegen verübt, sondern weil er sich gut dabei fühlte, mag zwar Skyler glauben, wirkt aber tatsächlich wenig überzeugend. Vermutlich handelt es sich hierbei wohl eher um ein weiteres Manöver des Meistermanipulateurs, das darauf zielt zu verhindern, dass Skyler und Walter jr. noch nach Jahren dahinter kommen, von wem die etlichen Millionen Dollar tatsächlich stammen, die sein Sohn zu seinem 18. Geburtstag erhalten soll. Denn er weiß nur zu genau, dass Skyler und Walter jr. es in diesem Fall nicht annehmen würden. Nun glaubt zwar nicht nur Skyler ihrem Mann, sondern auch die AutorInnen der vorliegenden Essaysammlung. Nicht so jedoch deren Rezensent.

Ungeachtet dieses Dissenses gilt abschließend festzuhalten, dass Lang und Dreher sehr kluge und aufschlussreiche Analysen vorgelegt haben, die Serien-Junkies helfen dürften, nicht nur „Breaking Bad“, sondern Autorenserien überhaupt bewusster zu sehen und besser zu verstehen.

Titelbild

Christine Lang / Christoph Dreher: Breaking Down Breaking Bad. Dramaturgie und Ästhetik einer Fernsehserie.
2., überarbeitete Auflage.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2015.
178 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783770558131

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