Röhre oder Schlag

Vom Coolbleiben – in den jüngsten Romanen von Dietmar Sous und Arno Geiger

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ganz ähnlich und ganz anders geht es in Dietmar Sous neuem Roman Roxy zu, seinem insgesamt schon 14. Buch und sechsten Roman seit 1981: Wieder kehrt der Blick des titelgebenden Ich-Erzählers, Roxy genannt, weil er ein glühender Verehrer der britischen Rockgruppe „Roxy Music“ ist, in die frühen 70er Jahre zurück, und wieder ist auch eine Portion Wehmut mit dabei – nach den Zeiten von Willy Brandt und den vielen offenen Möglichkeiten, nach dem Duft junger Mädchenblüte und dem Gestank der Kneipen und Discos. Nur sind diesmal die Schnitte härter gesetzt, konfrontiert Sous seinen jugendlichen Helden mit einer grausamen Realität. „Das Leben“, orakelt Kroll, der Vorarbeiter, mit dem der Protagonist zu Beginn des Romans als Hilfsarbeiter gemeinsam jobbt, „ist eben kein Zuckerschlecken.“ Am Ende begegnet Roxy, der inzwischen als Zivi in einer Klinik arbeitet und seiner Volljährigkeit entgegensieht, diesem Kroll im Treppenhaus der Klinik wieder: „‚Was machst du denn hier?’ ‚Meine Frau. Krebs.’ ‚Scheiße.’ ‚Kannst du laut sagen.’ Erdgeschoss. Die Tür ging auf. ‚Dann mach’s mal gut’, sagte ich. ‚Du auch’, sagte Kroll.“ Abblende. Nein: Das Schlusstableau ist – wieder einmal – ein unverwechselbares Sous-Finale: In einem geschenkten Porsche GT 911, der dem Zivi nach der Wette mit einem vermeintlich schwerstkranken Unternehmer zufällt, der ob seiner Freude über die Geringfügigkeit seines Krankheitszustands dem jungen Pfleger seinen Wagen vermacht, düsen Roxy und die verehrte wie begehrte Sonja in die weite Welt. Wer weiß wohin. Ende gut. Ein Märchen halt.

Davor liegen zahllose Episoden, in denen Sous sein Erzähltalent unter Beweis stellen kann: Schnell, treffsicher und pointengenau vermittelt Roxy ein ungeheuer dichtes Bild der 1970er Jahre – von der Zerstrittenheit der Linken ist da in Andeutungen die Rede, von nervtötenden Sitzungen der SDAJ, die der Held nur deshalb besucht, weil dort Zippi, eine von Roxys verschiedenen Liebschaften, das große Wort führt; Rock- und Popmusik begleiten uns auf Schritt und Tritt, wobei Dietmar Sous das Hohelied aufs alte Transistorradio anzustimmen weiß. Aber auch die Arbeitswelt – das zeigt er immer wieder in seinen Texten – ist Sous vertraut, und eine kleinbürgerlich-proletarische Lebenswelt, wie die der Mutter des Erzählers, wird im Wechsel der Töne beschrieben, mal grell und schrill, dann wieder überaus liebenswert. Glück hat die Mutter dabei allerdings nicht; denn ihr Lebenstraum, das Wunschauto Mercedes 190 SL Cabrio – endlich vom Munde abgespart und angeschafft – fährt ihr neuer Freund Rico im besoffenen Kopf zu Schrott. Dennoch: „Der Arsch hat mir gutgetan. Wie sonst keiner vor ihm“, raunt die Mutter ihrem greinenden Sohn zu. In dieser Welt der Gegensätze und Antagonismen – zu Systemzeiten halt – können solche Fragen wie die nach der Kleiderordnung ebenso lebens- wie liebesentscheidend sein: Röhre vs. Schlag bzw. Maxi vs. Hot Pants!

Jetzt ein noch härterer Schnitt. Wie befinden uns im Hier und Jetzt, genauer: im Wien dieser Tage, wo Arno Geiger seinen neuen Roman Selbstporträt mit Flusspferd ansiedelt. Er erzählt darin die Geschichte des postpubertären 22jährigen Studenten Julian, der sich und uns nach der Trennung von seiner ersten Freundin Judith über die Verarbeitung dieser Erfahrung aufklärt und – mindestens zum Erschrecken einer älteren Generation, die die eigene Pubertät längst hinter sich gelassen hat, – die Larmoyanz einer Jugend vor Augen führt, die maniakalisch bloß um sich selbst kreist und den eigenen Nabel für den der ganzen Welt hält. Das ist – mit Verlaub – fürchterlich langweilig und – fürchte ich – durchaus von Geiger so gewollt, zeigt er doch anhand des Protagonisten und seiner Freundinnen und Freunde schließlich eine sich im ungesunden Egoismus einrichtende Generation, die in der Konfrontation mit dem wirklichen Leben und der harten Politik einzig noch Gefühle der Leere und Ohnmacht zu offenbaren in der Lage ist. Aber ‚harte Politik’ ist eben weit weg, etwa in Beslan, und wird bloß über Fernsehbilder vermittelt. Wirklich betroffen ist dieser Westentaschen-Dandy, der „die Asche [s]einer Ferien in den Wind“ streut, zwischen maßloser Romantik und der Attitüde des Coolbleibens hin und her schwadroniert und dabei tatsächlich zutiefst verunsichert ist, allerdings nicht.

Hinweis: Der Beitrag ist erstmals erschienen in: junge Welt (12.02.2015).

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Dietmar Sous: Roxy.
Transit Buchverlag, Berlin 2015.
144 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-13: 9783887473150

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Arno Geiger: Selbstporträt mit Flusspferd. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2015.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783446247611

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