Das Überleben war seine Kunst

Reinhold Messners Erkenntnisse und Bekenntnisse

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Frage, warum wir auf Berge steigen, haben sich schon viele beschäftigt, aber nur wenige finden darauf befriedigende Antworten. Nun hat sich einer der berühmtesten Bergsteiger wieder einmal zu Wort gemeldet und erklärt: „Der traditionelle Alpinismus braucht keine Rechtfertigung!“ Pünktlich zu seinem 70. Geburtstag erschien im vergangenen Herbst die Autobiografie des Alpinisten, der Autor zahlreicher Bücher ist. Dieses Mal spielt nicht nur das Bergsteigen eine Rolle, sondern vor allem das Leben.   

Bereits als 5-Jähriger bestieg der 1944 in Südtirol geborene Messner mit seinem Vater einen Dreitausender, als 16-Jähriger durchstieg er mit seinem Bruder Günther die Nordwand des Sass Rigais. Es folgten Besteigungen aller 14 Achttausender der Welt und schließlich auch die Durchquerung der Wüste Gobi. Sein Fersenbein zertrümmerte sich Messner nicht bei seinen Extremtouren, sondern beim Klettern an seiner heimischen Schlossmauer in Südtirol, nämlich auf dem Weg zu einem Ersatzschlüssel für das verschlossene Schlosstor. Beinahe hätte ein fehlender Schlüssel die Karriere des Alpinisten also beendet. Doch dieser gab nicht auf, fing wieder unten an und beschloss auf Extremtouren zu verzichten. Dafür ließ er sich ins Europaparlament wählen, gründete die Messner Mountain Foundation, die Bergvölker unterstützt, und entwickelte ein Museumskonzept (Messner Mountain Museum). Aus diesem bemerkenswerten Projekt, das er seinen „15. Achttausender“ nennt, sind fünf Museen hervorgegangen.

Messners Buch „Über Leben“ thematisiert nicht nur das Überleben am Berg („das Überleben war meine Kunst“), sondern widmet sich grundlegenden Lebensfragen. Den spielerischen Umgang mit dem Wort setzt er in seinem Buch konsequent fort: Drei Kapitel tragen die Namen „Üb erleben“, „Überleben“ und „Über Leben“, alle Unterkapitel sind mit plakativen Begriffen wie „Heimat“, „Geburt“, „Sinn“, „Schicksal“, „Schönheit“ oder „Gott“ betitelt. 

Die Verknüpfung von Bergsteigen und Lebenswissen bzw. Erkenntnis am und auf dem Berg ist natürlich keineswegs neu, sondern findet sich bereits in biblischen Texten, bei Petrarca und nicht zuletzt in der jüngsten Gegenwartsliteratur. Thomas Glavinics Roman „Das größere Wunder“ ist dafür nur ein Beispiel. Tatsächlich wird bei Messner deutlich, dass sich die Erfahrungen am Berg zu Lebenserfahrungen kristallisiert haben, die er in Form von Grundsätzen zu verkünden sucht. Ihm geht es um die Erkenntnis, so erklärt er in seinem Vorwort, wie der Mensch „tickt“. Seine Erkenntnisse formuliert Messner oft in einem lehrmeisterhaften Tonfall: „Wenn wir das ‚Richtige‘ tun und intensiv bei unserer Sache sind, stellt sich weder die Frage nach dem Glück noch jene nach dem Sinn. Wir selbst sind dann der Sinn, nach dem Glück brauchen wir uns dabei nicht mehr umzusehen. Es stellt sich von selbst ein.“ Der Alpinist als Philosoph oder Küchenphilosophie? Für manche Erkenntnis muss man wohl keinen Gipfel bezwungen haben, zum Beispiel wenn es schlicht heißt: „Sprache aber bleibt das großartigste Instrument der Kommunikation.“    

Messner beginnt seine Autobiografie mit ersten Erfahrungen auf der Höhe, nämlich als hustender Einjähriger, den die Eltern zur Genesung auf eine Alm bringen und beendet seinen Text mit dem Bekenntnis: „Und ich gehe weiterhin in die Wildnis: um einer gezähmten Welt zu entkommen, der wahren Menschennatur auf der Spur.“ Er inszeniert sich als überzeugter Modernisierungsgegner: Die urbane Kultur habe den Menschen entmündigt, in der Kommunikationsgesellschaft seien Gespräche zum Austausch gelebter Erfahrungen kaum mehr möglich und die „Digitalisierung aller Lebensbereiche“ stelle einen Verlust an Freiheit für den Menschen dar. Bei Messner, der die Natur zum höheren Gesetzgeber deklariert und im Menschen ein Stück „Urmensch“ zu erkennen glaubt, scheint hinter diesen pessimistischen Worten ein Lebens-, Kletter- und natürlich Vermarktungsprinzip zu stehen. Stolz ist er auf seinen „Trad(itional) Adventure Alpinism“, der die „Wildnis“ Infrastrukturen vorzieht, präparierte Wege meidet und ein Minimum an Material verwendet. Der Bergsteiger Messner demonstriert, dass es ein alternatives Leben gibt und zeigt sich gleichzeitig lebensfern, wenn er bekennt: „Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Sosehr ich die arbeitende Bevölkerung respektiere, sie ist Teil jener Welt, der ich mich nie unterworfen habe.“ Dass Messners Konzept kaum konsequent durchführbar ist, zeigt er nicht zuletzt selbst. Wettert er in seiner Autobiografie vehement gegen das Internet, so brilliert er mit einer ausgetüftelten Homepage: http://www.reinhold-messner.de/.

In „Über Leben“ verarbeitet Messner nicht nur seinen eigenen Lebensweg, sondern lässt Höhepunkte der Geschichte des Alpinismus einfließen, verurteilt den Faschismus, der den Alpinismus zum Ersatzkrieg gemacht habe. Seine Überlegungen zu Umwelt und Nachhaltigkeit sind sympathisch, bestimmte Bekenntnisse allerdings auf Dauer unerträglich: „Ich persönlich gehe lieber in die Berge als ins Internet. Einer Lawine kann ich ausweichen, einem Shitstorm nicht.“ Messner sieht sich oft als Opfer, hinter jedem Berg lauert ein Gegner. Allerdings ist das mit dem Hintergrund der Vorwürfe zum Tod seines Bruders vielleicht auch berechtigt. Immer wieder kommt er auf Günther zu sprechen, der bei einer gemeinsamen Bergtour am Nanga Parbat ums Leben kam. Noch Jahre später machte man Messner Vorwürfe, so dass er resigniert feststellt: „Wäre auch ich damals umgekommen – an Erschöpfung gestorben –, niemand hätte je erfahren, was beim Abstieg vom Gipfel wirklich geschehen ist. Die vielen böswilligen Unterstellungen hätte es nie gegeben.“ Oft klingt Messner verbittert, im Kapitel „Rache“ spricht er sogar von einer „Dämonisierung“ seiner Person, im Kapitel „Gefühle“ erklärt er sich von Außenstehenden missbraucht. Kein Wunder, dass der Grenzgänger sich also oft für den Alleingang entschied, aber trotzdem überlebte.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Reinhold Messner: Über Leben.
Malik Verlag, München 2014.
336 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783890294506

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