Allianz von Wort und Wahrheit

Vor 100 Jahren wurde Georg-Büchner-Preisträger Karl Krolow geboren

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

 „Die Worte werden beliebig, wenn man sie oft genug spricht und einige erst ergiebig, wenn man sie schließlich bricht, wenn man genug geheuchelt, sie seien das A und O, hat man sie endlich gemeuchelt, braucht man sie nirgendwo.“ Wie die resignative Quintessenz aus einem langen Dichterleben klingen diese Verse in Karl Krolows Gedicht „Worte“ aus dem 1995 erschienenen Lyrikband „Die zweite Zeit“.

Fast unüberschaubar ist das Werk, das Karl Krolow in über fünf Jahrzehnten literarischer Arbeit vorgelegt hat. In dieser Zeit erschienen um die 30 Gedichtbände, ebenso viele Bände Skizzen, Essays, theoretische Abhandlungen über die Lyrik, Prosa, zahllose Aufsätze, Übersetzungen und Rezensionen. Trotz der offenkundigen Vielseitigkeit galt Krolows Hauptaugenmerk stets der Lyrik. 1943 debütierte er mit dem Band „Hochgelobtes, gutes Land“. Die erste lyrische Periode im gigantischen Œuvre ist geprägt von Stilmerkmalen der Naturlyrik Oskar Loerkes und Wilhelm Lehmanns.

Durch die intensive Auseinandersetzung mit der spanischen und französischen Lyrik erhielten Krolows Gedichte Ende der 50er-Jahre einen völlig neuen Impetus. Der Reim verschwand, die Metaphorik dominierte in den Versen dieser Epoche, in denen man Verbindungen zu Garcia Lorca, Mallarmé und Else Lasker-Schüler entdecken kann. Der nächste Bruch vollzog sich Mitte der 1960er-Jahre, als Krolow – unter dem Einfluss junger US- Lyriker – das prosaisch-narrative Gedicht favorisierte. Zwei Jahrzehnte später – beginnend mit dem Band „Herbstsonett an Hegel“ (1981) – wandte sich der 1956 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnete Autor zu seinen dichterischen Anfängen zurück. Dieser Rückkehr zum Reim, zu Sonett, Terzine und Sestine haftete der Odem der  Altersmelancholie an.

Bei kaum einem anderen Nachkriegslyriker war die Wechselwirkung zwischen Leben und Werk, die in den wiederholten Brüchen zum Ausdruck kommt, so stark erkennbar wie bei Karl Krolow, der als Bindeglied zwischen der älteren Lyrikergeneration um Peter Huchel und Günter Eich und den jüngeren Poeten wie Heinz Piontek, Walter Helmut Fritz und Jürgen Becker auftrat und als nahezu unantastbare Instanz sowohl Tradition als auch formale Experimentierfreudigkeit verkörperte. Krolow fungierte stets ungewollt als eine Art lyrischer Seismograph, der äußerst sensibel Erschütterungen,  Veränderungen und Trendwenden nicht nur registrierte, sondern oftmals auch selbst einleitete.

Sichtlich unterschätzt wurde stets der Prosa-Autor Krolow, der 1979 mit dem autobiographisch gefärbten Text „Das andere Leben“ und dem malerischen Prosaband „In Kupfer gestochen“ (1987) zwei erzählerische Meisterwerke vorlegte, die ihn als subtilen Beobachter scheinbarer Alltagsbanalitäten ausweisen. Krolow, der am 11. März 1915 als Sohn eines Beamten in Hannover geboren wurde, hat sich über viele Jahre hinweg als Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung in seinem Wohnort Darmstadt auch als Förderer des literarischen Nachwuchses betätigt. Seinen Sachverstand und seine enorme Belesenheit dokumentierte er auch als Verfasser des umfangreichen Kapitels über die deutsche Lyrik nach 1945 in „Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart“.

Krolows Wertschätzung reicht weit über die eigenen Veröffentlichungen hinaus, denn auch als „Literatur-Vermittler“, als Kritiker und Juror war er federführend an der Entwicklung der deutschen Nachkriegslyrik beteiligt. Als ihm 1988 der Friedrich-Hölderlin-Preis verliehen wurde, charakterisierte ihn Peter Rühmkorf mit den Worten: „Karl Krolow, dieser eindrucksvoll stabgehämmerte Name, steht für die unverbrüchliche Allianz von Wort und Wahrheit, Sinn und Form, Literatur und Leben.“ Am 21. Juni 1999 ist Karl Krolow im Alter von 84 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung in Darmstadt gestorben. Er war mehr als nur ein herausragender Lyriker seiner Zeit, als Vermittler, Förderer, Juror und Kritiker hat er Literatur förmlich gelebt.