Vergewaltigungen, Pornographie und die Freiheit der Kunst

Der von Jochem Kotthaus herausgegebene Sammelband „Sexuelle Gewalt im Film“ brilliert nur selten mit neuen Erkenntnissen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während in der breiten Bevölkerung Vergewaltigungen gemeinhin als sexuelle Gewalt bezeichnet werden, zieht es die Mehrzahl der FeministInnen vor, in solchen Fällen von sexualisierter Gewalt zu reden. Denn, so die Argumentation, Vergewaltigern gehe es in Wirklichkeit gar nicht darum, sich sexuell zu befriedigen, sondern vielmehr darum, Macht über die Frau auszuüben. Das mag man überzeugend finden oder auch nicht. Hedwig Wagner zum Beispiel ist ganz anderer Auffassung und erklärt, dass schon „Bilder sexueller Gewalt oder allgemein der Pornographie selbst sexuelle Gewalt sind“. Denn da diese Bilder „eine psychosexuelle Verletzung bewirken, sind (gewalttätige) Sexbilder Teil der Sexualität selbst“. Nachlesen lassen sich ihre Überlegungen in ihrem Aufsatz „Sexuelle Gewalt im Film“, der jüngst in einem von Jochem Kotthaus herausgegebenen Sammelband gleichen Titels erschien.

Wie Kotthaus im Vorwort darlegt, „bietet es sich an, die künstlerischen Darstellungen sexueller Gewalt zu untersuchen, liefern sie doch offensichtlich Hinweise auf unseren gesellschaftlichen Umgang mit sowie unsere Einstellungen und unsere Diskurse zu sexueller Gewalt – und damit zu den Verhältnissen, Ordnungen, Rollen und Vorstellungen, die diese Grenzüberschreitung ermöglichen“. Es scheint also kein genuin filmwissenschaftliches Interesse gewesen zu sein, das ihn zur Publikation des Bandes veranlasste.

Die BeiträgerInnen nähern sich dem Thema jedenfalls aus verschiedenen gesellschafts- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie etwa der Militär- und Kulturgeschichte, der Medienwissenschaft, der Soziologie und der Erziehungswissenschaft, der auch Kotthaus selbst entstammt. Die unter die drei Teile „Exposition“, „Genres“ und „Narrationen“ rubrizierten Texte befassen sich mit Mainstreamproduktionen für Kino und Fernsehen sowie mit Pornofilmen.

Nicht immer brillieren die sechzehn AutorInnen mit neuen Gedanken. Julia Reifenberger hat etwa für ihren Text über den „Rape-Revenge-Film als genderpolitisches Verwirrstück“ etliche Passagen aus ihrem 2013 erschienen Buch „Girls with Guns“ ganz unverändert übernommen. In anderen Abschnitten hat sie nur einzelne Worte abgeändert. Das mag nun zwar eine legitime Verfahrensweise sein, der Lauterkeit halber hätte Reifenberger dies aber nicht verschweigen sollen. Tatsächlich erwähnt sie ihr Buch jedoch nicht ein einziges Mal. Nur in den dem Sammelband angehängten biographischen Hinweisen zu den Autoren und Autorinnen wird es genannt. Entsprechend der exzessiven Übernahmen aus ihrer früheren Publikation hat ihr Aufsatz dieser gegenüber wenig Neues zu bieten.

Auch Ivo Ritzer, der in dem vorliegenden Band mit einem Aufsatz „zur medienkulturellen Symptomatik der Repräsentation von Sex und Gewalt in TV-Serien des US-amerikanischen ‚Qualitätsfernsehens‘ vertreten ist, publizierte unlängst ein Buch zu einem nah verwandten Thema. Es trägt den Titel „Fernsehen wider die Tabus. Sex, Gewalt, Zensur und die neuen US-Serien“. Wie Reifenberger bediente auch er sich fleißig des Copy & paste-Verfahrens und übernahm längere Passagen aus seinem Buch, um anschließend einmal hier und da vielleicht gerade einmal ein Wort auszutauschen und etwa aus einem „zugleich“ ein „simultan“ oder aus „durch Zufall“ „aleatorisch“ zu machen. Ebenso wie Reifenberger vergisst er dabei, seine frühere Publikation auch nur zu erwähnen. In seinem Fall sucht man selbst in den angehängten biographischen Anmerkungen zu den Autorinnen und Autoren vergeblich nach einem Hinweis auf sein Buch.

Eröffnet aber wird die Aufsatzsammlung nicht mit Untersuchungen sexueller Gewalt in Filmen. Marianne Kosmanns, die erste Rubrik eröffneter Beitrag gilt vielmehr „sexualisierter Gewalt als soziale[r] Praxis“ und „sozialwissenschaftlichen Diskursen zum Phänomen sexueller Gewalt“. In der zweiten Rubrik „Genres“ geht Marcus Stiglegger der „Phänomenologie des Terrorkinos“ nach und Maja Bächler untersucht „sexuelle Gewalt im Kriegsfilm“, wobei sie ein besonderes Augenmerk auf den „Funktionswandel sexueller Gewalt in der Darstellung alter, klassischer bzw. neuer, asymmetrischer Kriege“ legt, um aufzeigen zu können, „wie sexuelle Gewalt im Kriegsfilm zu welchem Zweck eingesetzt wird“. Dabei nimmt sie zugleich eine „Funktionsbestimmung im Rollenverhältnis von (sexuellen  Gewalt-)Tätern und Opfern“ vor. Wie sie zeigt, „kann die vergewaltigende Seite nur gewinnen“. Denn entweder töten sich die vom Feind vergewaltigten Frauen, „weil sie mit der ‚Schande‘ nicht weiter leben wollen bzw. zu stark traumatisiert sind oder sie kehren traumatisiert zurück“. Im einen wie im anderen Fall werde „die Frau als Sexualpartnerin und Teil des Fortpflanzungsprozesses eingeschränkt bzw. vernichtet“. Daher teilt Bächler die Auffassung, dass Kriegsvergewaltigungen keineswegs nur „bedauerliche Nebeneffekte“ des Krieges sind, sondern viel mehr als „biologische Kriegsführung anerkannt“ werden müssen. Die „Kriegsstrategie“ der Vergewaltigungen zielt der Autorin zufolge nicht nur auf die individuelle Frau, sondern auch „auf die ‚Ehre‘ der Gesellschaft als Ganzes“, die sich gezwungen sieht, sich zur vergewaltigten Frau zu verhalten. So stehe der Körper der vom Gegner vergewaltigten Frau „für einen gesellschaftlichen Gesamtkörper“, der durch die Vergewaltigung seinerseits „sexuell versehrt“ werde. Darüber hinaus, so ließe sich anfügen binden Kriegsvergewaltigungen gesellschaftliche und individuelle Kräfte, die nun benötigt werden, die Frauen zu heilen.

Nicht dem Kriegsfilm, sondern sexueller Gewalt in Vampir-Serien gilt das Interesse von Janina Scholz. Am Beispiel der Inszenierung von (versuchten) Vergewaltigungen in den Fernsehserien „Buffy the Vampire Slayer“ und „True Blood“ diskutiert sie „Zusammenhänge zwischen Vampirismus und Vergewaltigung als schwerwiegendster Form sexueller Gewalt und Grenzverletzung“. Zugleich erörtert sie, inwiefern das „fantastische Setting“ der Serien von deren MacherInnen „dazu genutzt wird, um eine kritische Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt zu ermöglichen“.

Der Herausgeber des vorliegenden Bandes selbst erklärt zwar in seinem dem sadomasochistischen Pornofilm gewidmeten Aufsatz „‚Red‘ is the saveword“ keineswegs seinen „persönlichen Standpunkt“ darlegen „oder über Wert und Unwert pornographischen Materials in Relation zu seiner angenommenen oder tatsächlichen Wirkung referieren“ zu wollen. Das hindert ihn jedoch nicht daran, „hardcore-pornographische BDSM-Videos“ gegen eine seiner Meinung nach „naive“ feministische Kritik zu verteidigen und zu monieren, dass diese „jede sexualisierten Darstellungen von Frauen in Text und (bewegtem) Bild unabhängig des Kontext irgendwie der Pornographie zurechnen“. Diese „sich spontan entfaltende Definitionsmacht“ derjenigen, „die sich hierdurch gestört, beeinträchtigt oder bedroht fühlen können“, mache Pornographie zum „Instrument der Wahl jeglichen unliebsamen Inhalt verbieten zu können“. Als vermeintlichen Beleg für seine Kritik zitiert er einen Text von Andrea Dworkin und Catharine McKinnon, in dem sie sich gegen Werke wenden, die Frauen „as submissive objects for conquest and domination“ und „as submissive in matters sexual or as enyjoying humilitation“ darstellen. „Eine Freiheit der Wissenschaft oder der Kunst“ sei „damit nicht mehr gegeben“, lautet seine Anklage. Statt sich an „feministischer Pornografiekritik“ abzuarbeiten, hätte er als Belege für die Bedrohung der Freiheit der Wissenschaft und Kunst  – aktueller und mit mehr Recht – einschlägige Zensurmaßnahmen heutiger Internetriesen wie Apple, Google oder Facebook beklagen können, die selbst noch jede Brustwarze in historischen Gemälden verpixeln. Die restriktiven Zensurmaßnahmen von Apple gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen obszönen Inhalten etwa veranlassten die „Bild“-Zeitung in vorauseilendem Gehorsam, die Brüste von ‚Pinup-Mädchen‘ für die I-Phone-Variante unkenntlich zu machen, damit der App Store ihren Account nicht sperrt, wie es einige Zeit zuvor der Illustrierten „Stern“ wegen der Abbildung einiger barbusiger Frauen widerfahren war. Google droht seinen Werbekunden mit Vertragskündigung, wenn ihre Erzeugnisse von dem Unternehmen als pornographisch eingeschätzte Bilder zeigen, wozu der Konzern aus dem Silicon Valley etwa Michael Peeds Gemälde „New Orleans Police Beating“ rechnet. Facebook wiederum zensierte etwa eine Ausgabe des „Zeit-Magazins“, weil es einen nackten Mann zeigte, und sperrte einen Bericht des ZDF über Brustimplantate. Dabei erklärt der Internetgigant ganz unumwunden: „Wir entfernen Fotos von Personen, auf denen Genitalien oder vollständig entblößte Pobacken zu sehen sind. Außerdem beschränken wir Bilder mit weiblichen Brüsten, wenn darauf Brustwarzen zu sehen sind.“

Der Kontext, in dem die Darstellungen erfolgen – ob also beispielsweise ein nackte Pornodarstellerin oder ihre Figur zur Befriedigung von Voyeuren erniedrigt wird, ob Femen ihre Brüste für feministische Ziele entblößen, ein Museumskatalog oder eine anatomische Abhandlung einschlägige Illustrationen enthält –,  ist dem unsozialen Netzwerk dabei völlig schnuppe. Nicht zu Unrecht warf die „Süddeutsche Zeitung“ Facebook unlängst „Zensur wie im Mittelalter“ vor.

Zwar kann der eine oder andere Beitrag des Bandes wie etwa Hedwig Wagners „Überlegungen zum Darstellungsaspekt von Sexualität“, Janina Scholz’ Vergleich der Vergewaltigungsdarstellungen in zwei Vampir-Serien oder Angela Kochs Untersuchung von „Fiktionalisierung und Fiktion der sexuellen Gewalt“ am Beispiel der Spiel- respektive Dokumentarfilme „Boys don’t Cry“ und „The Brandon Teena Story“ und auch Maja Bächlers Untersuchung von Kriegsfilmen positiv hervorgehoben werden. Die Mehrzahl der Aufsätze jedoch ist eher enttäuschend, auch weil einige von ihnen wenig innovativ bleiben.

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Jochem Kotthaus (Hg.): Sexuelle Gewalt im Film.
Juventa Verlag, Weinheim 2015.
332 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783779929659

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