Quecksilbrige Bewegungen

Zur Einführung in die Bildtheorie von Wolfram Pichler und Ralph Ubl

Von Barbara MariacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Mariacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine ebenso kompakte wie komplexe Einführung in das vielschichtige Forschungsfeld der Bildtheorie haben die Universitätsprofessoren Wolfram Pichler und Ralph Ubl 2014 im Junius Verlag vorgelegt. Beide Autoren sind Experten: Wolfram Pichler arbeitet als Dozent an der Universität Wien im Forschungsschwerpunkt Bildtheorie. Ralph Ubl lehrt als Spezialist für Gegenwartskunst am Institut für Neue Kunstgeschichte an der Universität Basel.

Besonders bemerkenswert an der anspruchsvollen Einführung ist, dass unterschiedliche Theorien darin nicht einfach referiert und in ihrer historischen Bedingtheit dargestellt werden. Vielmehr gelingt es den Autoren, ihre ganz eigene Sicht auf den Gegenstand deutlich zu machen, genauso wie es das Verlagsprogramm des Junius Verlages für den Idealfall vorsieht. Dies zeigt sich bereits an der von den Verfassern hantierten Auffassung von Theorie, die sie als „konstruktive Arbeit an und mit Begriffen“ präzisieren. Diese Arbeit bietet ihnen und dem Leser die Möglichkeit, „sich manches von dem, was man zwar im Grunde längst weiß, aber dennoch nie wirklich bedacht hat, denkend zu Bewusstsein zu bringen“. Mit diesem so formulierten Anspruch gewinnen sie schon am Beginn die Neigung des Lesers, der sich bereitwillig auf das vielschichtige Gebiet der Bildtheorie einlässt.

Wie andere vergleichbare Einführungen beginnen auch Wolfram Pichler und Ralph Ubl zunächst mit der Frage, was denn ein Bild sei. Aber sie formulieren einen überraschenden Ausgangspunkt, auf dem das erste große Kapitel ihrer Einführung basiert. Dieser beruht auf einer Definition von Kindern, die das Wesen von Bildern wie folgt beschreiben: „Ein Bild ist etwas, worin etwas Anderes erkannt werden kann.“ Von dieser Bestimmung ausgehend, die von den Gedanken des Bildtheoretikers Gottfried Boehm wissenschaftlich untermauert wird, gewinnt die Einführung ihre zweigliedrige Struktur. So handelt der erste Abschnitt vom „Vom Wiedererkennen in Bildern“, während der zweite Teil des Buches die unterschiedlichsten „Bildformatierungen“ behandelt. Ziel der Darstellung ist es, dem Leser das „Abbild im Gebilde“ und das „Gebilde im Abbild“ näher zu bringen.

Um den Vorgang des Wiedererkennens in Bildern präzisieren zu können, werden zunächst einige Basisbegriffe der gegenwärtigen Bildtheorie vorgeführt und diskutiert: „Bildobjekt“, „Bildvehikel“ und „Bildreferent“. Der Bildbegriff wird in der Folge als die „zwiespältige Einheit von Bildvehikel und Bildobjekt“ näher bestimmt. Doch lässt sich der Begriff des Bildes damit keineswegs vollständig erfassen, so die Autoren. Denn das Bild zeigt die Tendenz, sich „im Spielraum aller bildtheoretischen Instanzen […] quecksilbrig zu bewegen“ und „dem theoretischem Zugriff ständig auszuweichen“. Es geht den Autoren mit dem Bild also ähnlich wie mit dem Sinn: „Fortwährend entwischt da etwas.“

Nicht allein das Wiedererkennen in Bildern, also der rezeptionsästhetische Ansatz, spielt in der Bildtheorie eine wichtige Rolle. Auch die Produktion von Bildern und das damit verbundene Durchbrechen von Wahrnehmungsmustern bietet immer wieder neue Erkenntnismöglichkeiten und Diskussionsanlässe der Bildtheorie. Deswegen widmet sich der zweite Abschnitt der Einführung dem vielfältigen Kapitel unterschiedlicher Bildformatierungen. Die Aufmerksamkeit des Lesers  verlagert sich so vom Bildobjekt auf das Bildvehikel. In insgesamt zwölf Teilkapiteln werden nun unter anderem Begriffe und Themen wie Bildraum, Flächigkeit, Palimpsest und Perspektive verhandelt.

Die Gegenüberstellung von Gebilde und Abbild, die die vorliegende Einführung charakterisiert, ist eine interessante Basis, von der aus die verschiedensten Bildtheoretiker zu Wort kommen können: Aby Warburg, Jean-Paul Sartre, Meyer Schapiro, Jacques Lacan, Ernst Gombrich, Nelson Goodman, Richard Wollheim, Hans Belting, Gottfried Boehm, Horst Bredekamp, Wolfgang Kemp, David Summers und Whitney Davis; sie alle finden in der Einführung ihr theoretisches Echo.

Auf diese Weise besticht das Buch nicht nur durch die eigenständige Gedankenführung seiner Verfasser, sondern bietet auch einen souveränen Überblick über die Materie und eignet sich so zum erneuten Lesen.

Titelbild

Wolfram Pichler / Ralph Ubl: Bildtheorie. Zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2013.
237 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783885060741

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