Die Opfer grausamer Späße

Hans Joachim Schädlich stellt zwei „Narrenleben“ vor

Von Erhard JöstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erhard Jöst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein „Bravourstück“, wie vom Rowohlt-Verlag im Klappentext angekündigt, ist Schädlichs Roman „Narrenleben“ nicht geworden. Wenn der Leser aber bis zum zweiten Teil durchhält, dann findet er in diesem immerhin Historien, die gute Einblicke in das Leben der Stände-Gesellschaft des 18. Jahrhunderts vermitteln. Das liegt daran, dass Schädlich die 1789 erschienene Autobiografie des Tiroler Handschuhmachers Peter Prosch (1744-1804) für seine Erzählung ausgewertet und Zitate übernommen hat.

Prosch zog mit neun Jahren aus seiner Heimat fort und von einem Fürstenhof zum anderen, um den Adel um Geld zu bitten, mit dem er sich eine Schnapsbrennerei aufbauen wollte. Er agierte als Narr zur Belustigung des Adels und schildert in seiner Biografie, wie übel man mit ihm umgegangen ist. Mit einem fiktiven Brief, den er Prosch an Joseph Fröhlich (1694-1757), den Hofnarren Augusts des Starken, schreiben lässt, stellt Schädlich eine Verbindung zwischen den beiden Personen her. Als die Post 1774 in dem Dresdner „Narrenhäusel“ ankommt, ist der Hofnarr bereits 17 Jahre tot.

Der aus Alt-Aussee in der Steiermark stammende Fröhlich kommt dank der Fürsorge seines Herrn mit dem Leben viel besser zurecht als Prosch, mit dem grausame Scherze getrieben werden. Anhand von Prosch und Fröhlich beleuchtet Schädlich die Rolle des Narren im 18. Jahrhundert.

Karl Friedrich Flögel (1729-1788) war einer der ersten, der über die „Geschichte der Hofnarren“ geschrieben hat. Inzwischen ist die literaturwissenschaftliche Fachliteratur zu diesem Thema ungemein gewachsen. Aufgrund zahlreicher Dokumente wissen wir, dass vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit die Anstellung eines Narren an den Höfen üblich war. Sogar verschiedene Städte hielten sich einen Narren. Diese traten in komischer Kleidung auf und unterhielten ihr Publikum als Possenreißer, Zauberkünstler, Seiltänzer, Taschenspieler und Gaukler. Auch Goethe streift das Thema in seinem „Faust II“. In der Szene „Saal des Thrones“ beseitigt Mephisto den Hofnarren, nimmt seine Stelle ein und stellt dem Kaiser „am Throne kniend“ ein Rätsel: „Was ist verwünscht und stets willkommen? / Was ist ersehnt und stets verjagt? / Was immerfort in Schutz genommen? / Was hart gescholten und verklagt? / Wen darfst du nicht herbeiberufen? / Wen höret jeder gern genannt? / Was naht sich deines Thrones Stufen? / Was hat sich selbst hinweggebannt?“ Die Lösung des Rätsels ist die Narrheit bzw. der für sie stehende Hofnarr.

Die Mediävistik hat sich in den letzten Jahren verstärkt mit der Frage beschäftigt, worüber man im Mittelalter gelacht hat. Dazu wurden die Schwänke und Fastnachtspiele ausgewertet. Als Grundlagen für die Studien wurden Schwanksammlungen herangezogen, wie sie zum Beispiel Felix Bobertag in seinem erstmals 1884 erschienenen „Narrenbuch“ vorgelegt hat. Es handelt sich um den Pfarrer vom Kalenberg, Peter Leu, Neithart Fuchs, Salomon und Markolf, Bruder Rausch. Die Untersuchung der mittelalterlichen Lachkultur hat ergeben, dass sie den verächtlich machenden Humor in den Mittelpunkt stellte.

Bereits Norbert Elias hat in seiner grundlegenden Studie „Über den Prozeß der Zivilisation“, 1969 erschienen, darauf verwiesen, dass das Verlangen nach lustiger Unterhaltung mit der Freude am Quälen eng verbunden war: „Die Freude am Quälen und Töten anderer war groß, und es war eine gesellschaftlich erlaubte Freude.“ Dies war auch noch die Einstellung zur Zeit der Aufklärung, in der Joseph Fröhlich und Peter Prosch lebten, die Protagonisten in Schädlichs Roman. Ihr Schicksal, ja überhaupt das Leben eines Hofunterhalters in der beginnenden Neuzeit, ist überaus interessant, denn es liefert Grundlagen für soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Durch den Vergleich humoristischer Zeugnisse aus verschiedenen Epochen kann man Übereinstimmungen und Wandlungen herausarbeiten. Diese lassen Schlussfolgerungen darüber zu, welchen (in der Regel äußerst geringen) Stellenwert die Humanität in diesen Zeiten eingenommen hat.

In ihrer grundlegenden Studie „Lustige Gesellschaft“ hat Elfriede Moser-Rath 1984 „Schwank und Witz des 17. und 18. Jahrhunderts in kultur- und sozialgeschichtlichem Kontext“ untersucht. Sie hat dargelegt, „wie übel die Hofgesellschaft ihrerseits oft mit den Spaßmachern umgegangen ist, wie man diese meist aus ländlichem Milieu stammenden und dementsprechend weltfremden Burschen gefoppt, gequält, erschreckt oder zum Gaudium des ganzen Hofstaates in beschämenden Weise malträtiert hat.“

Schädlichs Protagonist Peter Prosch bezeugt diese grausamen Schikanen. „Die Herren quälen mich zu ihrem Vergnügen“, stellt er betrübt fest. Karl Pörnbacher hat 1964 „Leben und Ereignisse des Peter Prosch, eines Tyrolers von Ried im Zillerthal, oder Das wunderbare Schicksal. Geschrieben in den Zeiten der Aufklärung“ neu herausgegeben. Neben diesem Buch hat Schädlich noch zwei weitere, die sich mit Joseph Fröhlich beschäftigen, für seinen „Narrenleben“-Roman herangezogen: Rainer Rückert: Der Hofnarr Joseph Fröhlich 1694 – 1757. Taschenspieler und Spaßmacher am Hofe Augusts des Starken, Offenbach 1998, und Carl Willnau: Ein Schelm, der‘s gut meint. Des Hofnarren Fröhlich ergötzlicher Lebensroman, Leipzig 1942. Außerdem hat er Fachliteratur und Schriften ausgewertet, zum Beispiel Ulrich Bräkers viel zitierten Bericht „Der arme Mann im Toggenburg“, aus dem er ebenfalls Passagen zitiert.

Wie bei seiner zuvor veröffentlichten Novelle „Sire, ich eile. Voltaire bei Friedrich II.“, unternimmt Schädlich den Versuch, Vorgänge historisch aufzuarbeiten und mit fiktiven Passagen zu verbinden. In der Tat bietet diese Vorgehensweise dem Schriftsteller viele Möglichkeiten der Gestaltung, durch die er sein Thema wissenschaftlich ergründen und künstlerisch veranschaulichen kann. Dieter Kühn hat dies mit seinen Büchern über Oswald von Wolkenstein, Neidhart und Wolfram von Eschenbach bewiesen. Aber leider ist Schädlich sein Vorhaben nicht gelungen, einen „meisterhaft verdichteten, im Kleinen das Große zeigenden Roman über Macht und Moral, Abhängigkeit und Selbstachtung“ zu schreiben. Das liegt vor allem daran, dass er falsche Schwerpunkte setzt. Zum Beispiel lässt er den Hofnarren Fröhlich im Jahr 1729 ein Gespräch mit Johann Christian Crell, Dresdner Buchhändler und Chronist, führen. Fröhlich fragt „nach den Frauen und Kindern Augusts“. Zwölf Seiten lang werden nun Namen, Orte und Daten aufgezählt. Der Leser fragt sich gelangweilt, welche Erkenntnisse dieses Intermezzo liefern soll.

Für Irritation sorgt auch der ständige Wechsel der Perspektive: Mal lässt Schädlich einen Narren aus der Ich-Perspektive erzählen, mal schildert ein Erzähler ausgewählte Vorfälle. Ansprechend gestaltete Dialoge und trockene Berichte wechseln sich ab. Fröhlich, dessen Narrenlaufbahn in Bayreuth begann, teilt mit, dass es ihm nicht besonders schwer gefallen sei, „den Unterhaltungsanspruch des Markgrafen und der Markgräfin, ja der Bayreuther höfischen Gesellschaft zu erfüllen“: Er lässt Rosen die Farben wechseln, er lässt aus dem Wasser Feuer aufflammen, sorgt dafür, „daß eine Nadel auf einem Spiegel aufrecht fortging“ und so weiter. Durch seine Kunststücke erhält er eine Anstellung am Hof in Dresden. Fröhlich berichtet: Der König „winkte mich näher zu sich heran und sagte: ‚Willkommen, Monsieur Fröhlich. Ich habe schon auf dich gewartet. Für mich bist du Joseph. Du darfst als einziger ‚du‘ zu mir sagen.‘“ Wieso gerade Fröhlich zu dieser Ehre kommt, wird nicht erläutert.

Schädlich schildert in knapper Form anhand von Auszügen aus Fröhlichs Biografie die Aufgaben und den Alltag eines Hofnarren. Er zeigt auf, dass es auch für einen Narren herbe Schicksalsschläge gab, zum Beispiel, wenn seine Frau mit 36 Jahren starb und er nun allein für seine drei Kinder zu sorgen hatte. „Wie konnte Fröhlich fröhlich sein? Er mußte es. Es war sein Beruf.“

Und insgesamt konnte Fröhlich dank der Fürsorge Augusts des Starken ein recht angenehmes Leben führen. Ganz im Gegensatz zu Peter Prosch, der keine feste Anstellung erhält und ständig das Opfer grausamer Scherze wird, zum Beispiel wenn man ihm einen falschen Bart anheftet und diesen in Brand steckt: „Am Ende hingen mir Hautfetzen vom Kopf. Die Herren konnten sich vor Lachen nicht lassen.“ Als der Chirurg ihn unter Schmerzen verbindet, denkt er: „Die Herren quälen mich zu ihrem Vergnügen. Ich muß mich für ihre Gunst demütigen lassen.“ Auch wenn die Herrschaften Prosch einen Likör trinken lassen, der eine blaue Stichflamme in seiner Nase auslöst, schütteln sie sich vor Lachen, während das Opfer traurig feststellt: „Aber das war kein Spaß!“

Die Frage, die sich Prosch stellt, kommt immer wieder auf: „Es wollte lange nicht in meinen Kopf, daß die Herrschaften freundlich zu mir sind und mir gleichzeitig üble Streiche spielen.“ Außerdem kommt Prosch über die vermeintlich lustigen Streiche, die man ihm spielt, zu der Erkenntnis: „Es ist doch eine harte Sache, mit großen Herrschaften umzugehen. Man zieht immer den kürzeren.“ Dazu trägt auch bei, dass sich die Gleichgestellten und Unterdrückten nicht solidarisch verhalten. Als der Hofnarr Fröhlich die Freundschaft zu seinem preußischen Kollegen Jacob Paul Freiherr von Gundling sucht, wird er von diesem schroff abgewiesen. Er zieht daraus die Schlussfolgerung: „Hochmut tut niemand gut. Narren sollten einander nicht geringschätzen. Wir sollten Bruderschaft miteinander trinken.“ Solche Fragen, Erkenntnisse und Denkanstöße sind die Höhepunkte in Schädlichs Buch. Aber ein Roman besteht nicht nur aus ein paar gut formulierten Sätzen. So bleibt insgesamt festzuhalten, dass Schädlich ein dankbares Thema verschenkt hat.

Titelbild

Hans Joachim Schädlich: Narrenleben. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2015.
175 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783498064280

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