Revolution im Gewand der Reform

Christina Stange-Fayos‘ Studie zu den Jahrgängen 1893–1914 der feministischen Zeitschrift „Die Frau“ hat zwar Schwächen, aber auch das Zeug zum Standardwerk

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eingangs ihrer Untersuchung zur „Publizistik und Politisierung der Frauenbewegung in der wilhelminischen Epoche“ konstatiert Christina Stange-Fayos, dass der radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung um 1900 „heutzutage in der einschlägigen Forschung bessere Konjunktur“ als der gemäßigte hat. Das trifft zweifellos nicht nur auf die Forschung, sondern auch auf die heutigen FeministInnen zu. Allerdings wird über die FrauenrechtlerInnen der gemäßigten Fraktion jener Epoche durchaus ebenfalls geforscht, wie nicht nur Stange-Fayos‘ eigenes Buch belegt, sondern etwa auch die beiden Helene Lange und Gertrud Bäumer gewidmeten Doppelbiographien von Margit Göttert und Angelika Schaser oder der von Bärbel Meurer herausgegebene Sammelband über Marianne Weber.

Die Studie vom Stange-Fayos gilt hingegen nicht einer führenden Persönlichkeit der Frauenbewegung, sondern einem Periodikum, genauer gesagt dem „bedeutendsten Sprachrohr der ‚Gemäßigten‘“. Es trug den lapidaren Titel „Die Frau“ und erschien von 1893 bis 1943, mithin also über ein halbes Jahrhundert hinweg. Stange-Fayos’ „sprachwissenschaftlich-linguistisch fokussierte Studie“ beschränkt sich allerdings auf die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg.

Die Autorin verhehlt dabei durchaus nicht, dass sich ihre Sympathien zum Flügel der Gemäßigten neigen, da sich deren Positionen zu strittigen Themen innerhalb der Frauenbewegung „oft als nuancierter, also komplexer als die der Radikalen um Anita Augspurg oder der Konservativen um Paula Müller-Otfried“ erwiesen. Ein Befund, den man, soweit er die Radikalen betrifft, nicht unbedingt teilen muss. Auch die Behauptung, ein weiterer Unterschied zwischen den Gemäßigten und den Radikalen habe darin bestanden, dass erstere die Auffassung vertraten, „man müsse sich Zeit lassen, um Reformen durchzudenken und durchzuführen, während „die eigentliche ‚Radikalität‘“ der Radikalen in der Ansicht bestanden habe, „die Änderungen zu Gunsten der Frauen seien dringend“, kann nicht vollständig unwidersprochen bleiben. Denn tatsächlich bestand deren Radikalität viel mehr darin, dass sie Positionen vertraten, die dem heutigen Gleichheitsfeminismus entsprechen, während die Gemäßigten im Unterschied hierzu Vorstellungen anhingen, die dem späteren Differenzfeminismus nicht unähnlich sind. Es waren also nicht nur strategische Differenzen, die beide Flügel (etwa in Sachen Abolition) trennten, sondern auch und gerade inhaltliche.

Was nun Stange-Fayos Untersuchungsgegenstand betrifft, so hat es sich ihr zufolge bei der Monatsschrift um ein echtes „Kampfblatt“ gehandelt, das nicht weniger als eine „Revolution intendierte, allerdings im Gewand der Reform“. Diese „Strategie“ sei „zielstrebig und konsequent, aber langsam und bedacht“ verfolgt worden. Zudem, habe sich das Periodikum durch „mutige Stellungnahmen“ und eine „anspruchsvolle Gestaltung“ ausgezeichnet.

Stange-Fayos gliedert ihre Untersuchung in zwei Teile, deren erster eine „allgemeine Charakterisierung“ der Zeitschrift bietet, während der zweite ein „spezifisches Profil“ des Journals zeichnet und dessen „Beitrag zur Differenzierung und Politisierung der bürgerlichen Frauenbewegung“ herausarbeitet. Gerade für den ersten Teil hat die Autorin in einer zweifellos immensen Fleißarbeit zahlreiche Statistiken und Tabellen erstellt und ausgewertet. So erfährt man beispielsweise, dass der Inhalt des Hauptteils „etwa 70 % der Zeitschrift ausfüllte“ (von denen wiederum 1-3 % auf Bilder entfielen) und der Anhang „sich aus 10 % Nachrichten, 4 % Anzeigen sowie 16 % Bücherschau und Verschiedenem zusammensetzte“. Auch hat Stange-Fayos ein Verzeichnis der „wichtigsten Mitarbeiter“ während des Untersuchungszeitraums erstellt, das sie nach Geschlecht, Lebensdaten und der Anzahl der von ihnen jeweils zu welchen Schwerpunkten veröffentlichten Beiträge auswertet, um „eine Skizze des menschlichen Kapitals der ‚Frau‘ zu umreißen“ und „heraus zu arbeiten, welchen spezifischen Beitrag jede dieser Personen zum Unternehmen ‚Die Frau‘ geleistet hat“. Außerdem werden Familienstand und Religionszugehörigkeit herangezogen. Dass „die Hauptmitarbeiter zu zwei Drittel evangelisch und zu einem Drittel jüdisch“ waren, habe etwa für eine „protestantische Prägung“ der Zeitschrift gesorgt.

Hat Stange-Fayos die Texte der untersuchten Zeitschrift auch sehr genau gelesen, so ist das bei ihren anderen Quellen offenbar nicht immer in gleichem Maße der Fall, wie ihre These vermuten lässt, dass die „Metapher der Welle“ durch einen 1897 erschienenen Bericht in der „Frau“ über den im gleichen Jahr in Zürich abgehaltenen Internationalen Kongress für Arbeiterschutz in Zürich und die Frauenfrage „Eingang in die Historiographie der Frauenbewegung gefunden“ habe. Jeanette Schwerin hatte ihn verfasst und die konservative Haltung verschiedener KongressteilnehmerInnen mit den Worten „Es war, als ob die Wellen der Frauenbewegung nie in das Alpental gedrungen wären“ kritisiert. Nachdem Stange-Fayos diese Passage zitiert hat, erläutert sie die Bedeutung der Wellenmetapher unter Verweis auf Ute Gerhards Darlegungen in ihrem Buch „Frauenbewegung und Feminismus“, ohne allerdings darauf einzugehen, dass der Ursprung der Metapher Gerhard zufolge auf eine irische Feministin namens Frances Power Cobbe zurückzuführen ist, die sie bereits 1884 und nicht erst 1897 verwandte, als sie erklärte, die Frauenbewegung gleiche einer „einströmenden Flut“, die sich „in verschiedenen Wellen“ bewege, wobei „jede einzelne dem gleichen Gesetz gehorcht und ihren Teil dazu beiträgt, die übrigen mitzureißen“.

Den relativ niedrigen Verbreitungsgrad der untersuchten Zeitschrift, die nie eine höhere Auflage als gerade einmal 8.000 Exemplare erreichte, erklärt Stange-Fayos damit, dass sie sich keineswegs an „breitere Leserschichten“, sondern vielmehr an „die Gebildeten und Wohlhabenden“ gerichtet habe. Denn ihre Gründerin und langjährige Herausgeberin Helene Lange, die das Periodikum nicht nur über den Untersuchungszeitraum hinweg ganz maßgeblich prägte, „war dem Elitegedanken des Bildungsbürgertums verhaftet und wollte nur ungern dazu beitragen, die Frauenbewegung in eine Massenbewegung zu verwandeln“. Obgleich Lange zwar durchaus bewusst gewesen sei, „dass die Feministinnen ihre Basis erweitern mussten, um ihre Forderungen durchzusetzen“, sei die von ihr herausgegebene Zeitschrift „eher für die fortgeschrittenen Frauenrechtlerinnen bestimmt“ gewesen, weshalb das „theoretische Niveau sehr hoch sein musste“. So wurde jeder einzelne eingereichte Text „genau auf Inhalt und Form geprüft“ und die AutorInnen, unter denen durchaus auch einige Männer waren, mussten ihre Beiträge gegebenenfalls „den Wünschen der Redaktion gemäß ändern“.

Der erste Teil der vorliegenden Studie schließt mit einer akribischen Analyse des Editorials der ersten Ausgabe der „Frau“, in dem Helene Lange programmatisch darlegte „was wir wollen“. Stange-Fayos‘ Interpretation des „Grundlagenartikels“ erstreckt sich über fast 20 Seiten. Im zweiten Abschnitt „widmet“ sich die Autorin „neben dem ‚was wird gesagt?‘ stärker dem ‚wie wird es gesagt?‘“. Ausgehend von „Feinanalysen einzelner Diskursfragmente“, arbeitet sie nun „Diskursstränge und Diskursstrangveränderungen“ heraus, um mit „deren Interpretation die spezifische(n) Position(en) der ‚Frau’ in der Medienlandschaft des Kaiserreichs“ zu verdeutlichen.

Hierzu zitiert sie ausführlich aus den Quellen und lässt ganz bewusst „nicht nur die ‚berühmten‘ Texte, die üblicherweise in Betracht gezogen werden, zu Wort kommen“. Unberücksichtigt bleiben hingegen ausdrücklich „allzu anekdotisches“ und „fiktionale (wie literarische) Beiträge“. Ziel dieses Abschnittes ist es, zu zeigen, „dass es in den Aufsätzen der ‚Frau’ darum geht, die Argumente der Gegner zu entschärfen, Publizität zu erlangen, die Sympathie der allgemeinen Öffentlichkeit zu gewinnen“. Diese Feststellung steht allerdings in einem gewissen Spannungsverhältnis mit dem im ersten Teil konstatierten Befund, dass sich die Zeitschrift geradezu ausschließlich an Intellektuelle und theoretisch beschlagene FrauenrechtlerInnen richtete. Ein Widerspruch, der von Stange-Fayos nicht weiter problematisiert wird. Zutreffend ist hingegen fraglos, dass es dem Periodikum darum ging, „durch Gegendiskurs Gegenöffentlichkeit herzustellen“. Die „Teilung“ der bürgerlichen Frauenbewegung in miteinander wettstreitende Flügel sei dabei in der Zeitschrift jedoch „rhetorisch vertuscht und verharmlost“ worden.

Ungeachtet der nicht immer zutreffenden Charakterisierung des radikalen Flügels der Frauenbewegung und der oft etwas lästigen Redundanzen des Textes hat Stange-Fayos doch ein für die künftige Forschung unhintergehbares Standardwerk über die Zeitschrift „Die Frau“ in den Vorkriegsjahren vorgelegt.

Titelbild

Christina Stange-Fayos: Publizistik und Politisierung der Frauenbewegung in der wilhelminischen Epoche. Die Zeitschrift „Die Frau“ (1893-1914). Diskurs und Rhetorik.
Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2014.
310 Seiten, 59,95 EUR.
ISBN-13: 9783631650455

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