Erinnerungen und Bekenntnisse eines Kommunisten

Über eine enttäuschende Neuausgabe von Stephan Hermlins „Abendlicht“

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stephan Hermlin wäre am 13. April 100 Jahre alt geworden, ein guter Grund um sein wohl bekanntestes Werk „Abendlicht“ neu aufzulegen, bei welchem sich immer noch die Geister scheiden: Denn die große Frage, ob „Abendlicht“ nun autobiografisch zu lesen sei oder nicht, spaltet immer noch die Gemüter. Legt man dem Text eine autobiografische Lesart zugrunde, so würde man zu dem Schluss kommen, dass das in „Abendlicht“ dargestellte Leben des Erzählers sich nicht mit dem Leben von Stephan Hermlin deckt – man müsste sogar zu dem Schluss kommen, dass sich Hermlin mit dem Text ein neues Leben erdichtet. Obwohl man schon eingestehen muss, dass es Hermlin nie so genau mit seiner Biografie genommen hat, er hat sie in einigen Bereichen verändert und sich so eine eigene Legende erschaffen. Aber vielleicht hat der Autor mit „Abendlicht“ keine Autobiografie vorgelegt, sondern der Text ist als eine in Worte gefasste Atmosphäre der Zeit zu begreifen – wie der Text selber zu verstehen gibt, ist die Atmosphäre eines Buches wichtiger als dessen Inhalt.

Egal wie man nun „Abendlicht“ lesen will, als Autobiografie oder Fiktion, der Text selbst ist immer noch lesenswert: Ein Ich-Erzähler (oder Hermlin) berichtet in kleinen Bildern und Traumvisionen von seinem Leben. Mal erinnert sich der Erzähler an seine Kindheit, welche in einem bildungsbürgerlichen Haushalt, in der man unter anderem auch Wassily Kandinsky empfing, stattfand. Dann erinnert er sich an seinen Onkel, der von der Familie ausgehalten wurde, oder an den viel zu früh gefallenen Bruder, der sich als englischer Kampfflieger verdingte. Aber nicht nur die Kindheit steht im Blickpunkt der Erinnerungen, auch die schwierigen und dunklen Zeiten, die Rede ist vom Nationalsozialismus, rücken in den Fokus. Der Erzähler ist überzeugter Kommunist und sieht der aufziehenden Barbarei besorgt entgegen: Unheimlich mutet dessen Schilderung an, als sich zwei Männer überglücklich weinend in den Armen liegen, während die braune Masse in der Finsternis an ihnen vorüberzieht.

Die dargestellte Atmosphäre ist dabei die große Stärke von „Abendlicht“: Die schönen Naturschilderungen wechseln sich mit dunklen Beschreibungen vom nationalsozialistischen Deutschland ab. Hermlin vermag es, die Stimmung mittels Wörtern so zu verdichten, dass man sich dem nicht entziehen kann. Gleichzeitig ist „Abendlicht“ ein Bekenntnis des Autors gegen die Barbarei und für den Kommunismus, obwohl es hier gewisse Differenzen in der Auslegung der Worte Karl Marxʼ in Bezug auf die Rolle des Individuums und der Kunst gibt.

„Abendlicht“ mag einerseits durch seine Atmosphäre fesseln, anderseits ist die Diskussion, die um das Buch und Hermlin als Person entbrannte, immer noch reizvoll. Als Leser möchte man darüber mehr erfahren, was es nun damit auf sich hat und wie die Positionen dazu sind. Es schmerzen daher die verpassten Chancen, die man mit der Neuausgabe hatte, denn der Anhang hätte so wunderbar umfangreich und informativ werden können. In der vorliegenden Ausgabe findet man die Grabrede auf Stephan Hermlin, gehalten von Klaus Wagenbach, und ein Nachwort von Kathrin Schmidt. Die Grabrede wirkt fehl am Platz, zwar wird in ihr kurz auf „Abendlicht“ eingegangen – und hier wird es als autobiografisches Dokument von Hermlin gelesen –, dennoch wird nicht recht klar, warum man sie gerade diesem Werk von Hermlin beigefügt hat. Auch geht die Rede weniger kritisch mit Hermlin um, sie trägt eher zur Verklärung und Legendenbildung desselben bei.

Das Nachwort von Kathrin Schmidt ergibt hier schon eher Sinn: Sie beschreibt ihr persönliches Leseerlebnis von „Abendlicht“, wobei sie etwas auf den Skandal um Hermlin eingeht, der sich seine eigene Biografie mittels Legendenbildung und Verschleierung aufgebessert hatte, verurteilt ihn dafür jedoch nicht. Auch weigert sie sich in diesem Zusammenhang, „Abendlicht“ als autobiografisches Dokument zu lesen. Schmidts Worte lesen sich recht schön, umschiffen aber die eigentliche Problematik und Diskussion großräumig. Legt man die Grabrede und das Nachwort jedoch nebeneinander, so fällt direkt auf, dass hier beide Lesarten von Autobiografie und Fiktion indirekt bedient werden. Keine schlechte Idee, mit zwei Texten die beiden Lesarten anzubieten, aber dennoch ein verpasste Chance: Anstatt zwei sich diametral entgegengesetzter Texte wäre ein größeres und besser aufbereitetes Nachwort angebrachter gewesen. Dieses hätte die beiden Positionen objektiv in den Blick nehmen können und wäre damit ein gewichtiger Beitrag zur Aufbereitung des Falles Hermlin gewesen.

Oder man hätte eine kleine Materialsammlung und kleinere Texte zu diesem Fall versammeln können: ein kritisches Lebensbild oder Porträt von Hermlin, in dem man auf die Aufbesserungen und Verschleierungen in Hermlins Biografie eingehen hätte können. Daneben hätte man weiter auf die Thesen Karl Corinos Bezug nehmen können, der in seinem Buch „Außen Marmor, innen Gips. Die Legenden des Stephan Hermlin“ ausgehend von „Abendlicht“ mit der Dekonstruktion der Legende um Hermlin begonnen hatte. Die daraus resultierende Diskussion hatte etliche Äußerungen von anderen Autoren und Kulturträgern provoziert. Man hätte versuchen können, diese wenigstens zum Teil hier wieder abdrucken zu können.

Ein Traum wäre es natürlich gewesen, Auszüge aus Corinos Buch hier zu versammeln oder diesen selbst in kleinen Texten zu Wort kommen zu lassen. Damit hätte die Neuausgabe nicht nur den Text an sich geboten, sondern auch umfangreiches weiterführendes Material, das sich mit dem Fall Hermlin und dem Skandal beziehungsweise mit der Diskussion darum beschäftigt und so auch diesen aufgearbeitet hätte. Eine umfangreichere Neuausgabe wäre wohl angemessener für das Jubiläum gewesen. Aber so hat man das Gefühl, dass sich die beiden Texte nur am Rande mit der alten Problematik beschäftigen und sie eher zu umschiffen versuchen, als aufzuklären oder aufzuarbeiten.

Titelbild

Stephan Hermlin: Abendlicht.
Mit einem Nachwort von Kathrin Schmidt und einer Rede von Klaus Wagenbach.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2015.
128 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783803132710

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