Ringen mit teuflischen Künsten

Die neue Ausgabe des Faust-Jahrbuchs widmet sich Martin Luther und Faust als „Symbolfiguren deutscher Geschichte“

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eine eigentümliche Sache mit dem Faust-Jahrbuch. Eigentümlich ist bereits der Umstand, dass der Gestalt des Erzmagiers und Schwarzkünstlers Faust, die als berühmteste Figur der deutschen Literatur gelten darf und die nicht selten zum „typischen Deutschen“ hypostasiert wurde, erst seit 2004 überhaupt ein eigenständiges Periodikum gewidmet ist. Dieses wiederum erscheint nicht etwa jährlich, sondern in unregelmäßigen Abständen (bislang im Francke-Verlag, nun bei Aisthesis), so dass die Bezeichnung „Jahrbuch“ großzügig zu verstehen ist. Ein solch großzügiges Verständnis ist auch bei der aktuellen Ausgabe angezeigt, die die Jahre 2010 bis 2013 umfasst und, so das Inhaltsverzeichnis, den Schwerpunkt „Luther und Faust als Symbolfiguren deutscher Geschichte“ aufweist.

Nun ließe sich einiges über das Verhältnis von Faust und Martin Luther sagen. Diese „Symbolfiguren“ verdeutlichen das geistige Klima des 16. Jahrhunderts wie wenige andere: Der eine als umwälzender und sprachgewaltiger Theologe, der andere als rebellischer Grenzüberschreiter und Teufelsbündler, der zwar selbst keine Schriften hinterlassen, als literarische Figur aber eine einzigartige Karriere vorzuweisen hat. Ob sich die beiden begegnet sind, ist nicht bekannt – schon mangels aussagekräftiger zeitgenössischer Dokumente über die Existenz Faustens. Bekannt ist aber, dass es in Luthers „Tischreden“ Erwähnungen eines Schwarzkünstlers namens Faustus gibt, die dem „Doctor Martinus“ aber vor allem Anlass sind, über sich selbst und sein Ringen mit teuflischen Künsten zu reden. Doch um derlei Fragen geht es hier nicht. Wer von den Beiträgen dieses Schwerpunkts eine Aufarbeitung der Konstellation Faust – Luther erwartet, wird enttäuscht. Das gilt nicht nur für deren etwaiges historisches, theologisches oder weltanschauliches Verhältnis, sondern auch für ihre Rolle als „Symbolfiguren“. Die Klammer, die durch die beiden Namen gegeben ist, erweist sich als lockere. In welcher Weise es sich um spezifisch deutsche Symbolfiguren handelt und warum just diese beiden hier im Mittelpunkt stehen, wird von den wenigsten Beiträgen explizit aufgegriffen.

Hervorzuheben ist der Beitrag Tim Lörkes, der den Rollen Fausts und Luthers in den kulturtheoretischen Entwürfen Oswald Spenglers, Ernst Bertrams und Egon Friedells nachgeht und in diesem Zusammenhang den problematischen Begriff des „Faustischen“ insbesondere bei Spengler und in Bertrams Nietzsche-Buch diskutiert – das, wie unerwähnt bleibt, auch für Thomas Manns „Doktor Faustus“ von Bedeutung ist. Die „Faust-Luther-Konstellation“ in Manns Roman hingegen wird von Silke Grothues bedacht. Inwiefern ein theoretischer Beitrag über Feindbilder (von Peter Tepe und Tanja Semlow) für den Zusammenhang „Luther – Faust“ von Bedeutung ist, erschließt sich jedoch allenfalls indirekt. Ähnliches gilt für Hansgeorg Schmidt-Bergmanns Text über die Faust-Dichtung Nikolaus Lenaus, der für sich betrachtet anregend (wenn auch nicht allzu innovativ) ist, mit dem genannten Schwerpunkt aber schwerlich in thematischer Verbindung steht. Michael Jaegers Text schließlich bedenkt den „lutherischen Kontext“ der „Protestation“ des Protagonisten der „Historia von D. Johann Fausten“, bevor er das Ungenügen des goetheschen Faust am Hier-und-Jetzt nachzeichnet.

In der zweiten Hälfte des Buches sind (thematisch wie auch qualitativ) heterogene Beiträge versammelt. Karl S. Guthke beschäftigt sich mit der Frage, wieso bei Fausts Reisen in der „Historia“ Amerika ausgespart bleibt und zieht vergleichend auch das sonst weniger beachtete „Wagner-Buch“ hinzu. Conny Loders englischsprachiger Aufsatz vergleicht die Konzeptionen der Hauptfigur im sogenannten „English Faustbook“ und Christopher Marlowes Faust-Drama, bei Helena Kusters Darstellung von Johann Wolfgang von Goethes Einfluss auf die slowenische Kultur wiederum tritt der Faust-Bezug weit zurück. Bernd Mahl legt eine Materialsammlung zu Musical-Bearbeitungen von Goethes „Faust“ vor, bevor Heiko Rebstock knapp von „Veranstaltungen für Kinder“ im Faustmuseum in Knittlingen berichtet.

Bedauerlich ist die große Zahl editorischer Nachlässigkeiten. Fehlende bibliographische Angaben, unkorrekte Werktitel, stehengebliebene Fragezeichen bei Vers- und Seitennennungen fallen ebenso unangenehm auf wie Zitate aus der „Historia“ (nicht das unbekannteste Werk der Stoffgeschichte), die den Text mit abgesetzten Versen präsentieren – obwohl es sich um einen Prosatext handelt. Das wäre in jedem publizistischen Kontext verblüffend, bei einem Faust gewidmeten Jahrbuch wirkt es besonders befremdlich. Kurz: Diese Ausgabe eines – auch nach über einem Jahrzehnt seit Erscheinen des ersten Bandes – noch jungen und überaus zu begrüßenden Periodikums weist konzeptionelle und redaktionelle Probleme auf. Dennoch bleibt die Hoffnung, dass sich das Faust-Jahrbuch als regelmäßiges Organ etabliert, das unterschiedliche Phänomene einer 500-jährigen Stoffgeschichte vorstellt, miteinander in Beziehung setzt und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. An (teilweise wenig bekannten) Gegenständen aus dem weiten Feld des, wie nicht zuletzt dieses Jahrbuch beweist, sehr lebendigen Faust-Stoffes, die der kritischen Aufarbeitung bedürfen, ist kein Mangel.

Titelbild

Jan Badewin / Tim Lörke (Hg.): Faust Jahrbuch. 2010-2013.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2015.
232 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783849810351

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