Vorgeschichte rechtsextremen Terrors

Hermann Gilbhards Standardwerk zur Thule-Geellschaft in seiner neuen Bearbeitung

Von Albrecht Götz von OlenhusenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Götz von Olenhusen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gehörten die Thule-Gesellschaft und der ihr vorgelagerte geheime Germanenorden zu den Keimzellen und Wegbereitern der NSDAP? Wie bedeutsam waren damals und in der Folgezeit die okkultistischen Vorläufer und Einflüsse?

Die Fragen sind nicht nur von akademischem Interesse. Denn die Thule reicht nicht nur als Schlüsselbegriff bis in das heutige Netzwerk des weitgefächerten Rechtsextremismus. Hermann Gilbhard, Historiker und langjähriger Journalist beim Bayerischen Rundfunk, legt in zweiter, gründlicher Neubearbeitung sein 1994 erstmals erschienenes Standardwerk vor. Minutiös werden die historischen deutschvölkischen Ursprünge dieses radikal antisemitischen, gegenrevolutionären Geheimbundes entfaltet.

Ihren politischen Höhepunkt erreicht er, mehr oder weniger offen und vor allem finanziell gefördert von Protagonisten der konservativen bayerischen Elite, im Kampf gegen die Münchener Räterepublik. Mit ihrem paramilitärischen Kampfbund Thule hatte sie, vom Hotel Vierjahreszeiten als unverdächtig prominenter Operationsbasis aus, bei fast allen putschistischen Aktionen ihre Hände mit im Spiel. Der von dem umtriebigen Abenteurer Rudolf von Sebottendorff erworbene „Münchener Beobachter“, alsbald der „Völkische Beobachter“, wurde zum Sprachrohr zunächst der Deutschsozialistischen Partei (DSP) und einer Vielzahl von völkischen Gruppen. Nicht wenige der späteren NS-Prominenz tauchen – schon vor Adolf Hitlers Auftritt als Spitzel in der DAP – als Helfer und Aktivisten auf. Die eminent politische Funktion von Thule, DSP und DAP als wichtige Wegbereiter der NSDAP wird deutlich.

Gilbhard räumt mit einer Vielzahl von historischen Legenden, etwa der um den sogenannten Geiselmord in München und um die allerdings auch nicht zu vernachlässigende Relevanz der okkultistischen Ursprünge und Querverbindungen auf. Die Thule ist nicht nur eine Tarnorganisation des völkisch-antisemitischen Germanenordens. Sie fungiert eine Zeitlang als Kern der Gegenrevolution in den Jahren 1918/1919 mit engen Verbindungen zur Politik und vor allem zur Reichswehr bis hin zur Gründung des „Freikorps Oberland“. Ideologische und personelle Verbindungen überdauern trotz ihres Gangs in die Bedeutungslosigkeit und ihres Endes zu Beginn des „Dritten Reichs“ bis in die Gegenwart der Neuen Rechten.

Die Linien, die von dem völkischen Ursprüngen über die terroristische Gegenrevolution bis hin zu den Fememorden der Weimarer Republik und dann über die Anfänge Hitlers und der NSDAP bis zur Machtergreifung reichen, hat kaum ein anderer archivalisch so gut belegt und systematisch so überzeugend erforscht wie Gilbhard. Seine Studie ist umso bedeutender, als sie die Genese von rechtsextremem Terror aus kleinsten radikalen rassistischen Grüppchen bis zu den Mordaktionen der Organisation Consul aufzeigt.

Wer Geschichte und Gegenwart von NSU und anderer Geheimorganisationen untersucht, wird in den historischen „Vorbildern“ Entstehungs- und Deutungsmuster finden, die bis zu jenen Vorstellungen reichen, die Gilbhard die „Sehnsucht nach der Diktatur einer biologistischen Elite“ nennt.

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Hermann Gilbhard: Die Thule-Gesellschaft. Vom okkulten Mummenschanz zum Hakenkreuz.
2. neu bearbeitete Auflage.
Kiessling Verlag, München 2015.
234 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783930423033

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