Das Heilige und der Autor

Matthias Schaffrick untersucht unter anderem die Autorschaft bei Martin Mosebach

Von Kay WolfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Wolfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Werk eines Gegenwartsautors ist literaturwissenschaftlich immer ein besonderes Wagnis. Anders als bei den uns Vorausgegangenen befindet sich sein Werk im permanenten Wandel, neueste Äußerungen mögen unsere Argumentationen zerschlagen, und mit unpublizierten oder im Anschluss an unsere Analysen veröffentlichten Texten werden der Sachlage neue Facetten hinzugefügt. Ein weiteres Wagnis bedeutet es, sich mit dem Schriftsteller Martin Mosebach zu beschäftigen, der wie kaum ein anderer aus vielerlei Gründen als „umstritten“ gilt. Sowohl auf seine Feinde und Kritiker bezogen als auch im Hinblick auf seine Bewunderer beruhen diese Zuschreibungen allerdings meist auf Missverständnissen. Umso lobenswerter scheint es, dass sich der Siegener Germanist Matthias Schaffrick in seiner Dissertation schwerpunktmäßig diesem Autor gewidmet und der literaturwissenschaftlichen Debatte um ihn höchst lesenswerte Gedanken hinzugefügt hat.

Im Kern seines wissenschaftlichen Anliegens steht die Frage nach der Autorschaft, welcher er als Schüler Martina Wagner-Egelhaafs gerade in Kapiteln wie „Autorschaft. Zur gesellschaftlichen Bedeutung einer literaturwissenschaftlichen Kategorie“ und „Text, Autor, Gesellschaft. Ein systemtheoretischer Beitrag zur Theorie der Autorschaft“ nicht verleugnen kann. Nicht zufällig reichern sich seine Überlegungen immer wieder mit aus dem Werk Niklas Luhmanns entlehnten Gedanken an. Dabei geht es Schaffrick gerade auch um die gesellschaftliche Dimension von Autorschaft: „Autorschaft ist eine Voraussetzung für alle Selbstbeschreibungen der Gesellschaft. Allerdings hat sich die Literaturwissenschaft bislang darauf beschränkt, Autorschaft und ihre Inszenierungen anhand von literarischen Texten zu untersuchen.“ In diesem Punkt will Schaffrick Abhilfe schaffen, indem er seine Perspektive sowohl auf Essays und Reden (im Falle Mosebachs) ausdehnt, indem er allerdings auch andere Autoren hinzunimmt, wie namentlich Papst Benedikt XVI. und den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Dies bedingt zwar eine zunächst etwas seltsam erscheinende Mischung der Untersuchungsgegenstände, die aber imstande ist, das aufzuschlüsselnde Phänomen der Autorschaft auch im Hinblick auf Religion und Politik zu klären. „Die Beziehung zwischen Autor und Text, die mit dem Schreiben entsteht, ist selbst ein gesellschaftliches Phänomen, weil jeder Text einen Beitrag zur Selbstbeschreibung sowohl seines Autors als auch der Gesellschaft, in der dieser Autor schreibt, leistet. Die gesellschaftliche Bedeutung der Autorschaft ist ein blinder Fleck der Literaturwissenschaft, der in dieser Arbeit ins Zentrum rückt“, schreibt Schaffrick treffend zur Begründung.

Im lesenswertesten Teil des Buches geht es – wie schon eingangs verraten – um die „Inszenierung und Ritualisierung von Autorschaft“ am Beispiel von Martin Mosebach, dessen Büchner-Preisträgerschaft die Literaturkritikerin Sigrid Löffler mit einem unvergessenen „Literaturen“-Artikel unter der Überschrift „Als man zum Kitsch noch Horreur sagte. Der aufhaltsame Aufstieg des Martin Mosebach zum Georg-Büchner-Preisträger 2007“ replizierte. Schaffrick konzentriert sich vollends auf eine religiös angereicherte Autorschaft bei Mosebach, wenn er insbesondere die für die Heilige Messe nach dem alten Ritus der katholischen Kirche plädierende Essaysammlung „Häresie der Formlosigkeit“ (2002) in den Blick nimmt. Mag dies eine der Fragestellung geschuldete Perspektivenverengung sein, so führt Schaffrick allerdings vor, wie produktiv sein Vorgehen ist, wenn er auch konstatiert, „dass Mosebachs Essays zwar nicht den Stand der theologischen Forschung halten können, aber doch anschlussfähig sind“, obwohl es Mosebach um Wahrheitsfragen geht, zu denen theologisch noch keineswegs Konsens besteht.

Schaffrick interessiert an Mosebach vor allem, dass dieser „für die Beschreibung der Liturgie eine Semantik [verwendet], die auch für die Autorschaftsdebatte in der Literaturwissenschaft kennzeichnend ist“, und bezieht so die von Mosebach der Liturgie konstatierte Auslöschung des Subjektiven und damit der Autorschaft und die Unveränderbarkeit des Rituals auf dessen literarisches Werk zurück. „Allerdings werden bei Mosebach nicht sprachliche Formeln aus der Liturgie in die Literatur transponiert. Er überträgt stattdessen die Strukturmerkmale der Liturgie auf Kunst und Literatur und macht den Gedanken, Autorschaft durch Ritualisierung auszublenden, für das Literarische produktiv.“ Dabei ist nicht von Belang, ob Martin Mosebach diese Übertragung bewusst oder intentional vornimmt – anderenfalls wäre diese Behauptung wohl kaum tragbar.

Schaffrick gelingt es, mit seinen Ausführungen aufzuzeigen, wie fruchtbar die literaturwissenschaftliche Konzentration auf Mosebachs Autorschaft werden kann und wie oft man in seinem Roman- und Essaywerk dazu fündig wird. So wird auch Mosebachs Büchner-Preis-Rede ausführlich gewürdigt. Insgesamt neigt Schaffrick dazu, den (realen oder aus den Texten extrahierten?) Autor in eine katholische oder katholisierende Richtung zu biegen, was trotz der pointierten Positionen Mosebachs zweifellos eine Verkürzung darstellt, ist Mosebach insgesamt doch ein Autor, der einem die Kategorie des Katholischen – obwohl immer wieder bemüht – ständig aus der Hand schlägt.

„Die Moderne ist für Mosebach keine Fortschritts-, sondern eine Rückschrittsgeschichte. […] Mosebach polemisiert also nicht nur gegen die nachkonziliare Liturgie, sondern gegen moderne Autorschaft insgesamt“, schreibt Schaffrick. Ist das jedoch zutreffend? Tatsächlich weiß Mosebach doch um den Wert der Moderne, agiert innerhalb der von ihr eröffneten Freiheiten und ist gar nicht ohne eine spezifisch moderne Form von Autonomie und Selbstbestimmung zu denken. Zwar scheint er Modernität in diesem Sinne mit seinen publizistischen Interventionen häufig zu unterlaufen oder – erfolgreich – zu provozieren, wodurch er sie in einer paradoxen Weise allerdings zugleich in Anspruch nimmt. Mag er auch gegen moderne Autorschaft polemisieren, ist er nicht, so betrachtet,  als ein gerade im Sinne der Autorschaft besonders starker und eigensinniger Autor zu verstehen?

Bislang liegt nur eine knappe Reihe akademischer Arbeiten zu Martin Mosebachs literarischem wie essayistischem Werk vor. Dazu sind zwei Publikationen von Steffen Köhler zu rechnen, die größtenteils versuchen, Mosebach als katholischen Autor zu lesen, ferner ein wissenschaftlich-poetischer Essay in Buchform, den Markus Lorenz vor allem Mosebachs Roman Der Mond und das Mädchen gewidmet hat. Außerdem hat Kirsten Rathjen mit ihrer Close-reading-Studie bereits Teile von Mosebachs Werk aufgeschlüsselt. Stellt man dies in Rechnung, so bildet das vorliegende Buch nicht nur eine lesenswerte Ergänzung, die man gerne zu Rate ziehen wird und von der man hoffen darf, ihr Autor möge (mit all seiner Autorschaft) seinen Untersuchungen bald weitere folgen lassen, sondern auch einen höchst lesenswerten Beitrag zur sich weit verzweigenden Frage nach der Autorschaft bei Mosebach, mit der Schaffrick einen Beleg erbracht hat, wie erhellend und lehrreich die Beschäftigung mit diesem Literaten ist. Martin Mosebach ist ein Autor mit einer ganz besonderen Beziehung zum Heiligen, egal ob man dieses nun in der religiösen Sphäre findet oder auf der Ebene der Autorschaft, wo der Autor einerseits an seinem Verschwinden arbeitet, andererseits wieder hinter seinem Text hervortritt. Es wird alles andere als eine langweilige Aufgabe sein, hier die weitere kontroverse Werkentwicklung Mosebachs zu beobachten.

Titelbild

Matthias Schaffrick: In der Gesellschaft des Autors. Religiöse und politische Inszenierungen von Autorschaft.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2014.
249 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783825363031

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch