Parasit Hoffnung

Lena Andersson Roman „Widerrechtliche Besitznahme“ über die Illusionen einer einseitigen Liebe

Von Niels PenkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Niels Penke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lena Andersson ist eine Meisterin des Understatements. Bereits im Saga-Ton des Anfangs ihres Romans „Widerrechtliche Inbesitznahme“ wird eine Schlichtheit suggeriert, die misstrauisch macht: „Ester Nilsson hieß ein Mensch.“ Außerdem gibt sich die nachfolgende Erzählung lediglich als ein Bericht zu verstehen, der die allgemeinen Abgründe zwischen Wort und Gedanke am Beispiel von Ester auszuloten verspricht. Ester, die Protagonistin, ist eine mäßig erfolgreiche Schriftstellerin, deren zufriedener, routinierter Alltag durch einen Anruf gestört wird. Bei einem Vortrag über den Künstler Hugo Rask lernt sie diesen näher kennen und es entspinnt sich eine zunächst platonische Beziehung zwischen den beiden, die kurzzeitig zur Affäre wird und die Ester schließlich mit ihrem Partner und dem bisherigen Leben brechen lässt. Die Beziehung mit dem Künstler stellt sich jedoch als fortwährende Enttäuschung heraus: Rask, der mehrere Partnerinnen hat, vertröstet Ester zunehmend zu einer Bekanntschaft auf Distanz. Weder werden deren Bedingungen transparent gemacht noch die unterschiedlichen Interessen der beiden je angesprochen. Während Rask sein Leben ohne Ester bestreitet, weil Zeit und Arbeit als gleichermaßen gute Vorwände taugen wie sie für Zerstreuung sorgen, besteht ihr Dasein hingegen nur noch aus Warten. Aus Warten und einem unnachgiebigen Hoffen darauf, dass doch noch etwas passiert und es zu einem glücklichen Ende kommt. Doch diesen Gefallen tut Lena Andersson weder Ester noch den Lesenden.

Mit einer „vernichtenden Genauigkeit“, die sie ihrer Protagonistin attestiert und die als Darstellungsverfahren keinen Raum für romantisierende Illusionen lässt, führt Andersson eine psychopathologische Studie über verkorkste menschliche Beziehungen und deren unausgesprochenen Bedingungen vor. Die ‚widerrechtliche Inbesitznahme‘ des Titels kann sich auf Esters Annahme einer unausgesprochenen „Ehrenkultur“, wie sie sagt, beziehen. Einer gegenseitigen Verpflichtung, auf die sie vertraut als sie sich mit Rask einlässt – und von der sie auch dann nicht abzubringen ist, als sie ihren Irrtum begreift. Der wiederholt auftretende Freundinnenchor, durch den sich die Stimme einer relativierenden Vernunft ausspricht, dringt nicht zu Ester durch. Angesichts eines unbedingten Vertrauens auf das Konzept romantischer Liebe setzen Logik und Kritikfähigkeit, durch die sie sich ansonsten auszeichnet, vorübergehend aus.

Unter der scheinbaren Einfachheit von lose aneinandergereihten Begegnungen, spröden Gesprächen und resignativen Selbstbespiegelungen wird die Tragödie, das vielschichtig arrangierte Schauspiel, verborgen. Das Trauerspiel allgemein menschlicher Beziehungsprobleme, die auf falschen Hoffnungen und uneingestandenen Enttäuschungen basieren, und sich als Schweigen, Ausweich- und Täuschungsmanöver äußern. Die Hoffnung auf ein ehrliches Miteinander anstelle eines unverbindlichen Nebeneinanders wird nicht erfüllt, ebenso wenig gelingt es Ester, Rask zum Sprechen zu bringen. In vielem bleibt er ihr gegenüber stumm. Ansätze zur Überwindung des enttäuschenden Scheiterns kommen erst da auf, wo Ester das, was er sagt, kritisch einzuordnen beginnt. Sie erkennt im moralisch phrasenhaft wie politisch einfach argumentierenden Rask einen Schaumschläger, dessen Äußerungen über den „US-Imperialismus“, die Rolle der Taliban und die vermeintlich „Mächtigen in der Welt“ sie als „selbstgerechten“ Unfug durchschaut.

Der Auseinanderfall von gedachter und gesprochener Sprache, von Hoffnung und Tat, von Vermutung und tatsächlichem Gespräch entfaltet in Anderssons Roman eine Doppelbödigkeit, die leicht hinter der sprachlichen Schlichtheit und formalen Einfachheit übersehen werden kann. „Wiederrechtliche Inbesitznahme“ jedoch ist nicht nur eine spröde, desillusionierende Liebesgeschichte, sondern darüber hinaus eine facettenreiche Studie der menschlichen Disposition zur Hoffnung sowie der (Nicht-)Kommunikation insgesamt.

Anderssons mit dem August-Preis ausgezeichneter Roman ist in Schweden seit seinem Erscheinen 2013 enorm erfolgreich. Allerdings ist die öffentliche Wahrnehmung und Diskussion stark durch den vermuteten autobiographischen Gehalt bestimmt. Die Frage, ob hinter Hugo Rask der Regisseur Roy Andersson als Vorbild stehe, interessierte Feuilleton wie Boulevard. Dies ist ein anderer Fall von „Inbesitznahme“, nicht widerrechtlich, aber simplifizierend. Ein Fall, in dem die philosophisch weit ausgreifenden Konstellationen und die ironisch-pessimistische Weltwahrnehmung verschwinden, und die eigentliche Tragödie lediglich als Schmierenkomödie gelesen wird.

Titelbild

Lena Andersson: Widerrechtliche Inbesitznahme. Ein Roman über die Liebe.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs.
Luchterhand Literaturverlag, München 2015.
222 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783630874692

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